Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

8 19 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit. 88 
  
Die Zivilbehörde muß den Gegenstand und den Zweck der Requifition so bestimmt angeben 
daß das Militär seine Maßnahmen mit Zuverlässigkeit treffen kann. Greift das Militär ein, so 
geht die Leitung auf den militärischen Befehlshaber über. Derselbe macht von der Waffe Gebrauch, 
wenn nach dreimaliger Aufforderung (mit Trommelwirbel) die Menge nicht auseinandergeht. 
Das Gesetz über den Waffengebrauch des Militärs vom 28. März 1872 enthält zwar 
keine ausdrückliche Bestimmung darüber, daß das Militär grundsätzlich nur auf Requifition der 
Zivilbehörde eingreifen darf, doch versteht sich dies nach dem Vorhergesagten von selbst. Nach dem 
genannten Gesetze vom 28. März 1872 kann das Militär ohne Requisition der Zivilbehörden nur 
eingreifen: 1. bei direkten Angriffen gegen das Militär (Notwehr); 2. bei der gegen Militärpersonen 
gerichteten Militärpolizei; 3. bei einem Notstand der Zivilbehörde, falls also deren Kräfte nicht 
ausreichen; 4. bei Gefahr im Verzug, wenn polizeiliche Hilfe nicht zur Stelle ist, bei Hilferuf oder 
Notschrei, insbesondere aus dem Innern eines Hauses, bei der Notwendigkeit der Verwahrung von 
Personen in deren eigenem Interesse. 
Solange sich Festungen im Friedenszustande befinden, hat das Militär daselbst keine 
weitergehenden Befugnisse als an anderen Plätzen. 
Sechster Abschnitt. 
§ 19. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Vor der Einführung der deutschen 
Herrschaft bestand in Elsaß-Lothringen eine wohlgefügte Verwaltungsgerichtsbarkeit 
mit dem Conseil d'’Etat als letzter Instanz, der vermöge des „recours pour exchs 
de pouvoir“ in der Lage war, jeden Verwaltungsakt der Regierung, einschließlich 
derjenigen des Staatsoberhaupts, darauf hin zu untersuchen, ob nicht fseine Über- 
schreitung der Zuständigkeit vorliege. Bei der Einrichtung der deutschen Verwaltung 
in Elsaß-Lothringen wurden nicht nur die bestehenden Sonderverwaltungsgerichte nicht 
ersetzt, sondern auch für den beseitigten Staatsrat kein vollgültiger Ersatz geschaffen 1. 
An die Stelle der Präfekturräte traten die Bezirksräte und an die Stelle des Staats- 
rats der Kaiserliche Rat, aber nur insoweit, als er über Rekurse gegen die Entscheidungen 
der Bezirksräte in streitigen Sachen zu erkennen hatte. 
Die Zuständigreit der Bezirksräte und des Kaiserlichen Rats ist nicht etwa 
allgemein geregelt, vielmehr sind dieselben nur insoweit zuständig, als ihnen bestimmte 
Angelegenheiten ausdrücklich übertragen worden sind. Durch das Gesetz vom 13. Juli 
1898 (G.Bl. S. 55) ist vorgesehen worden, daß die Zuständigkeit des Kaiserlichen 
Rats im Wege der Verordnung erweitert werden kann . 
Das Verfahren vor den Bezirksräten und vor dem Kaiserlichen Rat ist im 
wesentlichen demjenigen der C.P.O. nachgebildet ; es ist mündlich und von dem Grund- 
satz der freien Beweiswürdigung beherrscht. Die Verhandlungsmaxime ist insofern 
durchbrochen, als auch bei Nichterscheinen der Parteien entschieden werden kann. 
Der Bezirksrat wird dadurch mit einer Angelegenheit befaßt, daß innerhalb der 
regelmäßigen Ausschlußpflicht von einem Monat seit Eröffnung bzw. Zustellung der 
Entscheidung der Verwaltungsbehörde eine Klage eingereicht wird. Der für jede Sache 
seitens des Vorsitzenden zu ernennende Berichterstatter kann vor der mündlichen Schluß- 
verhandlung Erhebungen veranlassen ". Die Hauptverhandlung ist öffentlich; die Parteien 
müssen persönlich erscheinen oder sich vertreten lassen; die nicht erfolgte Ladung einer 
Partei bewirkt einen wesentlichen Mangel des Verfahrens 5. Die Verkündung der 
(F 19) 1 Der Kais. Rat ist überhaupt kein oberstes Verwaltungsgericht im Sinne des § 11 Abf. 2 
Ziff. 2 E. G. G. V. G. Vgl. R.G.E. (Civ.) 5 S. 48, 52 S. 107 u. R.G.E. (Str.) 16 S. 197, 32 S. 322. 
Der Wunsch der Bevölkerung nach einem ordentlichen Verwaltungsgerichtshof kehrt daher 
auch bei allen parlamentarischen Debatten wieder. Die Einführung des Verwaltungsgerichtshofes 
wird sich wohl nur zusammen mit der geplanten Verwaltungsreform bewirken lassen, beides Neue- 
rungen, die wohl noch einige Jahre auf sich warten lassen werden. 
2 Eine Aufzählung der einzelnen „Fälle findet sich bei Leoni-Mandel S. 120 f. und 
Rosenberg in Annal. 1906 S. 822 f. Uber die Zuständigkeit des Kais. Rats in Zuwachssteuer- 
sachen —71 v. 14. Juni 1913, betr. die Ausf. des Zuwachssteuergesetzes v. 14. Febr. 1911 
Bl. S. 71). · 
sGek.v.80.D-z1871§§8,13:Ver.v.23.Mäkz1889(G.Bl.S.35). 
«Kms.RatNr.338. 5 Kais. Rat Nr. 264. 
6“
	        
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