Full text: Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts.

$ 11. Öffentliche Pflichten und öffentliche Rechte. 169 
Aus der dargelegten Auffassung heraus ist endlich eine Beur- 
teilung der Frage möglich, ob und wie weit ein Verzicht auf 
öffentliche Rechte zulässig ist. So sehr auch die einzelne Leistung 
das individuelle Interesse der einzelnen Bürger befriedigen mag, 
so bleibt sie doch stets ein Teilstück eines Gesamterfolges. Dieser 
Gesamterfolg aber wird vom Gesetze im Gemeininteresse an- 
gestrebt. Man mache sich nur klar, welche höheren Ziele der 
Gesetzgeber erreichen will, z. B. mit der Arbeiterversicherung 
oder der Gewährung von Beamten-Gehalt und -Pension oder 
‚der Anerkennung der Gewerbefreiheit. Daraus folgt, daß grund- 
sätzlich ein Verzicht auf ein Öffentliches Recht unwirksam 
ist. Wohl aber kann der Berechtigte von der Ausübung seines 
der individuellen Freiheitsrechte in der Schweizerischen Bundesverfassung 
v. 29. Mai 1874 zu. Die kantonalen Rechte haben vor dem Jalıre 1874 
Beschränkungen der natürlichen Handlungsfähigkeit der Bürger in sehr 
verschiedenem Maße zugelassen. Die Schweiz ist deshalb weit entfernt 
gewesen von der Gemeinsamkeit der Anschauungen, wie sie heute 
zwischen den verschiedenen Landesgesetzgebungen Deutschlands besteht. 
Dieser Rechtszersplitterung hat die Bundesverfassung v. 29. Mai 1874 
ein Ende bereitet. Sie hat von Bundeswegen die kantonalen Einschrän- 
kungen der individuellen Freiheit auf bestimmten Gebieten aufgehoben 
und dies dadurch sichergestellt, daß sie jedem Bürger ein Individualrecht 
(„verfassungsmäßiges Recht‘‘) auf Nicht-Einmischung der kantonalen 
Staatsgewalt in die in der Bundesverfassung einzeln aufgeführten in- 
dividuellen Betätigungen (Glaubensfreiheit, Gewerbefreiheit usf.) zuge- 
billigt hat. Die Garantierung gewisser Freiheitsrechte in der Bunde- 
verfassung zielt deshalb nicht auf eine Verstärkung einer ohnehin gewähr- 
leisteten Rechtslage ab, sondern auf eine Beschränkung der kantonalen 
Staatsgewalten. S. auch Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung, 
S. 122. 
836 Daher ist ein allgemeiner Verzicht auf Gehalt, Pension, Armen- 
und Krankenunterstützung, Unfallentschädigung u. dgl. unwirksam. 
Kormann, Rechtsgeschäftliche Staatsakte 9. 311. Urteil des Kgl. Sächs. 
Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 1906 (Jahrbücher des Kgl. 
Sächs. Oberverwaltungsgerichts Bd. IX S. 249 und Wachler und Naun- 
dorff, Rechtsgrundsätze des Kgl. Sächs. Oberverwaltungsgerichts Bd. 2, 
8.54 Nr. 6). Für die Arbeiterversicherung: Reger, Entscheidungen der 
Gerichte und Verwaltungsbehörden XXIX S. 655. Soergel, Jahrbuch 
der Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht I S. 389 Nr. 141. Reichs- 
versicherungsordnung $ 139. Vgl. dazu W. Schönborn, Studien zur 
Lehre vom Verzicht im öffentl. Recht, 1908. Wach, Handbuch des 
Deutschen Zivilprozeßrechts Bd. I S. 96. — Gesetz und Gewohnheitsrecht
	        
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