$ 14. Beschwerde. 225
Die Einlegung der Beschwerde schiebt die ganze Angelegen-
heit vor die Beschwerdeinstanz (Devolutiveffekt).'* Diese tritt
nach allen Richtungen an die Stelle der unteren Behörde. Auch
sie hat daher den Tatbestand von Amteswegen festzustellen, und
dem Beschwerdeführer seinerseits ist es nicht verwehrt, neue
Anträge und neue Beweismittel vorzubringen. Hat die ange-
fochtene Verfügung das Recht verletzt, so muß sie von der Be-
schwerdebehörde aufgehoben werden. Hat dagegen die untere
Behörde bei Erlaß der Verfügung lediglich ihr freies Ermessen
unzweckmäßig gehandhabt, so soll ebenfalls eine Abänderung
eintreten, es wäre denn, daß die höhere Instanz fände, mit der
Aufhebung der Verfügung sei für das Gemeininteresse ein größerer
Nachteil verbunden, als mit der Bestätigung.'?” Die Beschwerde-
instanz hat den Beschluß zu begründen, mit dem sie Antwort
auf die Beschwerde erteilt.”” Erachtet sie die Beschwerde für be-
gründet, so hat sie in der Regel die Sache nicht an die untere
Instanz zurückzuweisen, sondern an die Stelle der aufgehobenen
Verfügung eine eigene neue zu setzen. Darf sie die angefochtene
Verfügung auch zum Nachteil des Beschwerdeführers abändern,
ist eine reformatio in pejus zulässig?!*! Wenn die Beschwerde-
instanz gleichzeitig die Aufsichtsbehörde der Instanz darstellt,
S. auch oben S. 185.— Die meisten Gesetze ermächtigen jedoch die Behörde,
welche die Verfügung erlassen hat, oder die Rekursinstanz eine ange-
fochtene Verfügung trotz Einreichung einer Beschwerde in Vollzug zu
setzen. Es müssen jedoch stets besondere Gründe (Rücksichten des öffent-
lichen Wohls u. dgl.) für eine solche Maßnahme vorliegen. Preuß. Landes-
verwaltungsgesetz von 1883, $ 53. Bad. Landesh. Verordnung vom 31. Aug.
1884, das Verfahren in Verwaltungssachen betr., $ 33. — Über Ausnahmen
von diesem Grundsatze: Bitters Handwörterbuch der preuß. Verwaltung,
Art. „Aufschiebende Wirkung‘, 12 S. 137.
18 Die Beschwerde muß den ‚Ausdruck der Unzufriedenheit‘ mit
einer genau zu bezeichnenden Verfügung und eine Angabe darüber ent-
halten, was mit der Anrufung der höheren Instanz bezweckt wird. Ent-
scheidungen d. Preuß. OVG. X 350.
19 L,aband, Staatsrecht, II® S. 195.
20 Württ. Verfassungsurkunde von 1819, $ 37.
321 Beispiel: Die Steuerbehörde setzt in einem bestimmten Fall den
Betrag der Erbschaftssteuer auf 1000 Mark fest. Der Steuerpflichtige
beschwert sich bei der höheren Instanz. Diese läßt Liegenschaften und Wert-
papiere des Erblassers neu taxieren und setzt einen höheren Steuersatz
fest, als die erste Instanz. Ist dies zulässig }
Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts. 3. Aufl. 15