12 $ 2. Trennung der Gewalten.
gesprochen,? und das Reichsrecht hat ihm im Gerichtsverfassungs-
gesetz vom 27. Januar 1877 reichsrechtliche Geltung verschafft.
„Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem
Gesetze unterworfene Gerichte ausgeübt.“ (Reichsgerichtsver-
fassungsgesetz $ 1.) ‚Die Gerichte entscheiden über die Zulässig-
keit des Rechtswegs‘‘ ($ 17 Absatz 1). Aber schon das Einfüh-
rungsgesetz zum Reichsgerichtsverfassungsgesetz hat ($ 4) den
Grundsatz abgeschwächt: ‚Durch die Vorschriften des Gerichts-
verfassungsgesetzes über die Zuständigkeit der Behörden wird
die Landesgesetzgebung nicht gehindert, den betreffenden Landes-
behörden jede andere Art der Gerichtsbarkeit, sowie Geschäfte der
Justizverwaltung zu übertragen. Andere Gegenstände der Verwal-
tung dürfen den ordentlichen Gerichten nicht übertragen werden.“
Die angeführten Gesetzesstellen beweisen, daß in Deutschland
die Verteilung der staatlichen Aufgaben an Gerichte, Verwaltungs-
behörden und Gesetzgebungsorgane nicht nach einem abstrakten,
mechanischen Ausscheidungsprinzipe vorgenommen worden ist.
Der Kompetenzbereich der Gerichte, Verwaltungsbehörden
und Gesetzgebungsorgane ist nicht reinlich abgegrenzt. Weder
sind die Gerichte auf Rechtsprechung, noch die Verwaltungs-
behörden auf Verwaltung, noch endlich die Organe der Gesetz-
gebung auf Rechtsetzung beschränkt. Jeder der drei Gewalten
ist ein kleines Stück aus der Kompetenzsphäre der andern Gewalt
zugeschieden worden. Aber eine bestimmte Tätigkeit ist für
eine jede von ihnen eigentliches Lebenselement: für die Gerichte
das Rechtsprechen, für die Verwaltungsbehörden das Verwalten,
für die Gesetzgebungsorgane das Rechtsetzen. Auf diese seine
Hauptfunktion ist das Organ zugeschnitten; sie ist maßgebend
für seine staatsrechtliche Stellung,’ und von ihr empfängt es
8 Vgl. die Preußische Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850,
Art. 62 Abs. 1: „Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch
den König und durch zwei Kammern ausgeübt.‘ Art. 45: „Dem Könige
allein steht die vollziehende Gewalt zu... Art. 44: „Die Minister des
Königs sind verantwortlich. Alle Regierungsakte des Königs bedürfen
zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch
die Verantwortlichkeit übernimmt.“ Art. 86: ‚Die richterliche Gewalt
wird im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität
als der des Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt. — Die Urteile wer-
den im Namen des Königs ausgefertigt und vollstreckt.‘“
° Laband, Staatsrecht 11° S. 172—176.