$ 15. Verwaltungsgerichtsbarkeit. 237
zu dürfen, und endlich dadurch, daß der Gesetzgeber die für
die Verwaltungsbehörden maßgebenden Rechtsvorschriften spe-
zialisiert.”°” Ist sonach die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur eine
unter vielen Einrichtungen zur Pflege des Verwaltungsrechts,
so stellt sie doch andrerseits die vollkommenste unter ihnen
dar. Dieser Tatsache gibt scharfen Ausdruck der Sprachgebrauch,
der als ‚„‚Verwaltungsrechtspflege‘“ i.e. S. die Verwaltungsgerichts-
barkeit bezeichnet.
Gehören auch die mit der Verwaltungsrechtsprechung be-
trauten Organe ihrer äußeren Stellung nach zu den Verwaltungs-
behörden und nicht zu den ordentlichen Gerichten im Sinne des
Reichsgerichtsverfassungsgesetzes, so üben sie doch nach aus-
drücklicher Anordnung aller deutschen Gesetze richterliche Funk-
tionen aus. Sie stellen bei Streitigkeiten justizmäßig fest, was
Rechtens ist. Um dieser Aufgabe willen genießen die Mitglieder
der Verwaltungsgerichte im Bereiche der Rechtsprechung die Ga-
2° Thoma, Rechtsstaatsidee und Verwaltungsrechtswissenschaft
(Jahrb. des öffentl. Rechts, Bd. IV, 1910, S. 196). — Ich stimme Thoma
in der Forderung nach Spezialisierung der Rechtsvorschriften insoweit
zu, als auch ich z. B. in einer generellen Ermächtigungsklausel an die
Adresse der Polizei (wie sie das Allgemeine Preußische Landrecht, II, 17
$ 10, aufgestellt hat) eine Gefahr für die persönliche Freiheit erblicke.
Im allgemeinen aber liegt meines Erachtens heute die Gefahr nicht in
einem „Zuwenig‘‘, sondern in einem „Zuviel‘‘ der Spezialisierung. Zahl-
reiche moderne Verwaltungsgesetze sind nichts anderes als juristische
Logarithmentafeln, die dem Verwaltungsbeamten das eigene Denken
und die eigene Überlegung abnehmen wollen. Da nun aber ein Gesetz
niemals die Fülle der Lebenserscheinungen zu fassen vermag, so steht
der ausschließlich an das Gesetzeswort gewöhnte Verwaltungsbeamte
neuen Erscheinungen ratlos gegenüber. Denn in einem mit Detailbestim-
mungen überladenen Gesetze werden die leitenden Rechtsgedanken von
minderwichtigen Vorschriften so überwuchert, daß sie weder vom Beamten,
noch vom Bürger leicht erkannt werden können. Endlich aber ist bei
einer derartigen Spezialisierung der Gesetzgeber genötigt, die vielberufene
„Klinke der Gesetzgebung“ stets in der Hand zu behalten, um unaus-
gesetzt Änderungen an dem geltenden Rechte vornehmen zu können.
Dadurch wird dem Rechte nicht gedient; es entsteht ein Zustand der
Rechtsunsicherheit. Aber gerade für den Gesetzgeber soll der Grundsatz
gelten: Quieta non movere. In dieser übertriebenen Gesetzesproduktion
liegt eine der Hauptursachen für den Bureaukratismus in der Verwaltung.
Ein Gesetz kann nicht einfach und nicht kurz genug sein. Wenig Gesetze
und einfache Gesetze muß das erlösende Wort werden.