232 $ 17. Öffentlichrechtliche Entschädigung.
die naturrechtliche Vorstellung von der Unverletzlichkeit wohl-
erworbener Privatrechte (iura quaesita) zu Grunde. Soweit sich
die Gesetzgebung der übrigen Staaten mit dem Problem beschäftigt
hat, fußt auch sie auf der naturrechtlichen Theorie von der
Unverletzbarkeit ‚‚wohlerworbener Rechte‘. Eine, namentlich
in der Rechtsprechung verbreitete Anschauung behauptet, diesc
Theorie enthalte auch heute noch die gemeingültige Lösung des
Problems.?! Eine zweite Meinung sucht dagegen der Schwierigkeit
Herr zu werden an Hand der verfassungsrechtlichen Eigentums-
yarantie.?® Sie erblickt in dieser eine Gewährleistung des Ver-
mögensbestandes der Bürger gegenüber der Staatsgewalt über-
haupt und folgert daraus, der Staat schulde Entschädigung nicht
bloß in den Fällen, in denen er auf dem Expropriationsweg Privat-
rechte entziehe, um sie sich anzueignen, sondern allgemein für jede
beliebige durch eine obrigkeitliche Verfügung verschuldete Schädi-
gung des Privatvermögens der Bürger. Eine dritte Meinung geht
davon aus, das Prinzip der Rechtsgleichheit verbiete eine ungleiche
Belastung der Staatsbürger. Jede über das allgemeine Maß hinaus
auferlegte Beschränkung stelle deshalb ‚ein besonderes Opfer‘
20 Württeinbergische Verfassungsurkunde $ 95: „Keinem Bürger, der
sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinem auf einem besonderen
Titel beruhenden Privatrechte verletzt glaubt, kann der Wegzum Richter
verschlossen werden.‘ Vgl. dazu Ottmar Bühler, Zuständigkeit der Zivil-
gerichte gegenüber der Verwaltung im württemberg. Recht S.94ff. Fleiner,
Staaterechtl.GesetzeWürttembergs $S.55. Über die Rechtslage in den Hansa-
städten: oben S. 231. Ähnlich ist die Auffassung des Braunschweigischen
Rechts. Mansfeld, Der publizistische Reaktionsanspruch im Herzogtum
Braunschweig, 1895. Rhamm, Staaterecht des Herzogtums Braunschweig,
1908, S. 37. Über die damit übereinstimmende Rechtsauffassung in der
Schweiz vgl. HansSträuli, Verfassung des Standes Zürich, 1902, S. 42—43.
Verfassung des Kantons Uri v. 6. Mai 1888, Art. 5l. Verfassung dee kKan-
tons Nidwalden v. 2. April 1877, Art. 43: ‚Sofern sich jemand durch
einen Beschluß der Landsgemeinde in seinen Privatrechten verletzt
glaubt, kann der gesetzliche Richter angerufen werden.“ Vgl. dazu die
oben, Anın. 10, zitierte Arbeit von Erich Vogt.
2ı Reichsgericht in Zivilsachen Bd. 16, S. 161 (Aufhebung von
Kirchenstuhlvorrechten durch -Verwaltungsakt). Bd. 4l, 8. 145 (Schmä-
lerung der Fischerei durch Stromregulierung).
22 Sieist z.B. in Baden weitverbreitet und sucht ihre Stütze in Art. 545
des Code civil (bzw. des bad. Landrechts): ‚„Nul ne peut ötre contraint
de c&der sa propri6t6, si ce n’est pour cause d’utilite publique, et moyennant
une juste et prealable indemnite.‘