370 $ 23. Polizeigewalt.
3. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung stellt
die Polizeigewalt vor ihre schwierigste Aufgabe. Sie erheischt
nicht bloß eine Abwehr des strafrechtlich Verbotenen*’, sondern
überdies eine Unterdrückung alles dessen, was gegen die herr-
schenden ethischen und sozialen Anschauungen verstößt,?® oder
die fünf Sinne über das Maß hinaus belästigt, das als notwendige
Folge des Zusammenlebens der Menschen von Jedem ertragen
werden muß.?” Hier wird somit die Polizeibehörde zu einem Urteil
darüber berufen, was an der Elle des Durchschnittsmenschen ge-
messen als erlaubt und zuträglich gilt. Zum Bestand der öffent-
lichen Ordnung gehört jedes der erwähnten Rechtsgüter inso-
fern, als es dem Einzelnen als Glied der Gesellschaft garan-
tiert ist.” Das wird häufig in die Formel gefaßt, die Polizei
habe ‚das Publikum‘ vor Störungen zu schützen. Dabei spielt
eine wesentliche Rolle, welche soziale Wertung das durch die
25 Auch wo der Konkubinat straflos ist, kann die Polizei dagegen
einschreiten, sofern er öffentliches Ärgernis erregt. Sächs. OVG. v. 1. Nov.
1905 (Reger XXVI S. 566) und Bitter, Handwörterbuch der preuß.
Verwaltung, Art. „Konkubinat‘, Bd. I® S. 1060. — 8. zu der ganzen Frage
auch die Erörterungen in dem Urteile des Preußischen Oberverwaltungs-
gerichts v. 14. Dezember 1899 (Entscheidungen Bd. 36, 9.403).
26 Verboten darf werden von der Polizei die Aufschrift an einem
Gasthaus „judenreines Haus‘‘ oder ‚judenfreies Haus‘; erlaubt ist da-
gegen „jüdischer Besuch höflichst verbeten‘“,. Reger XXIII 199; XXVI
190; XXVII 20.
8” Sächs. OVG. v. 1. März 1902 (Reger XXIII 136). Das gilt auch
für das Nachbarrecht: BGB. $ 906. — Polizeiliche Auflagen zur Beseiti-
gung von Geruchsbelästigungen und der Mückenplage sind erlaubt: Ent-
scheidungen d. Preuß. OVG. Bd.61, S. 208. Ein polizeiliches Verbot (Polizei-
verordnung), die Wäsche aufzuhängen in den Vorgärten gegen die Straße
zu, ist vom Kammergericht 17. Oktober 1912 geschützt worden (Johow,
Jahrbuch Bd. 43, S. 385); die Begründung (Schutz des ästhetischen
Empfindens) ist anfechtbar.
28 Daher kann eine Störung der „öffentlichen Ordnung‘, die polizei-
lichee Einschreiten rechtfertigt, vorliegen, wenn z. B. durch das nächt-
liche Musizieren nur ein einziger Nachbar gestört worden ist. Dasselbe
trifft zu bei Störungen der Nachbarschaft durch einen Schweinestall oder
durch einen Bienenstock. Württemberg. VGH. 9. Oktober 1910 (Württem-
berg. Ztechr. f. Verwaltung u. Rechtspflege IV 26); Preuß. OVG. 21. Oktober
1910 (Reger Bd. XXXI 566). Polizeiliches Einschreiten gegen ein Frei-
bad, wenn auch nur die Insassen eines einzigen Nachbarhauses durch den
Anblick Nackter verletzt werden. Reichsgericht in Zivilsachen Bd.76, 8.130.