Full text: Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts.

$3. Geschichtliche Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts. 33 
bisher das kanonische Recht beherrscht hatte. Auf sie warf 
sich die neue fürstliche Allmacht. Die aus Frankreich über- 
nommene Theorie vom jus politiae (la police) unternahm es, 
die erweiterte Zuständigkeit der Staatsgewalt zu recht- 
fertigen.° Das jus politiae sprach dem Landesherrn Recht und 
Pflicht zu, mit obrigkeitlicher Gewalt die Gefahren abzuwenden, 
die der irdischen Glückseligkeit, d. h. der Sicherheit und der 
Wohlfahrt der Bürger drohen. Das Ziel des jus politiae wurde 
die Herstellung des „guten Zustandes des Staatswesens“ (-poli- 
tia). Was das Interesse der ‚Policey‘‘ erforderte, durfte der Lan- 
desherr anordnen. Über die Notwendigkeit einer Anordnung 
und über die hierbei zur Anwendung zu bringenden Mittel, ent- 
schied seine freie ‚„Konvenienz‘“‘.*e Damit war aber der Grund 
gelegt für die absolute Fürstengewalt; der Polizeistaat war fertig. 
Die neuen Aufgaben, insbesondere die Verwirklichung der 
Wohlfahrt der Bürger, so wie sie der Polizeistaat auffaßte, be- 
dingten eine weitgehende Einmischung der Obrigkeit in die Privat- 
sphäre der Bürger. Sie wurde zunächst durch keine Rechts- 
schranke gemäßigt. Denn mit voller Schärfe entwickelte sich 
nunmehr der Gegensatz zwischen Justiz und Polizei (Regierung). Die 
Polizeigewalt durfte der Fürst nach freiem Ermessen handhaben.” 
Die Normen, nach denen die Beamten die Verwaltung zu führen 
hatten, waren Dienstanweisungen, keine Rechtsvorschriften. Die 
Justiz allein urteilte nach Rechtsätzen. Justizsachen und Polizei- 
sachen wurden so die zwei Pole der Staatstätigkeit. ‚Fürs Gemein- 
wohl, aus Gründen, wobei vom Rechte ganz abgesehen wird, sorgt 
die Polizeigewalt in Abwendung künftiger Übel, und solange nur 
von diesem Standpunkt ausgegangen, solange nicht auf die Rechte 
eines benachteiligten Individuums Rücksicht genommen wird, 
so lange ist die Sache nicht Justizsache‘ (Gönner).” Daher das 
5 S. auch unten $ 23. 
6 In diesem Sinne konnte Gönner, Teutsches Staatsrecht, 1804, 
$ 328, S. 550, behaupten, es gebe kein Polizeirecht (Verwaltungsrecht). 
Ebenso G. H. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, IV S. 1ff. 
(„gibt es ein Policeyrecht?‘‘). 
” Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, 2. Aufl., 
II (1804) 8. 1ff., insbes. S. 59 („Berichtigung des Begriffs der Justiz- 
sachen‘). 
8 Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses II S. 44. 
Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts. 3. Aufl. 3
	        
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