36 $3. Geschichtliche Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts.
den Wegfall der reichsgerichtlichen Kontrolle entstand, suchte
die Fiskustheorie auszufüllen.” Sie ging davon aus, das
öffentliche Vermögen gehöre weder dem Landesherrn, noch dem
Herrscher Staat, sondern einem von ihnen verschiedenen
Rechtssubjekte, dem Fiskus, d. h. einer Person, die dem
Vermögensrecht unterstehe. Der Fiskustheorie aber galt das
Vermögensrecht als ein Teil des Privatrechts. Ihr fiel es
deshalb nicht schwer, den Fiskus wie einen Privatmann der
Justiz und den Justiznormen, d. h. dem Zivilrecht, zu unter-
werfen.!* Diese Auffassung stempelte m. a. W. die ‚‚fiskalischen
Sachen‘ zu Jusvizsachen. Sie verschaffte auf diese Weise dem
Untertan die Möglichkeit, die Obrigkeit in der Person des Fiskus
vor ihren eigenen Territorialgerichten zu verklagen, sofern das
Streitverhältnis vermögensrechtliches Gepräge trug.” Damit
unterwarf die Fiskustheorie zahlreiche Rechtsverhältnisse, an
denen die öffentliche Verwaltung beteiligt war, der Herrschaft
des Privatrechts: die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen
Staatsdiener und Staat; die Ansprüche des Einzelnen gegen den
Staat, die auf ‚Privatrechtstiteln‘‘ (Vertrag, condictio usw.)
beruhten u. a.m.!* Aber darin erschöpfte sich die Fiskustheorle
nicht. Ihre interessanteste Leistung ist in dem Versuche ent-
halten, für den Untertan auch gegenüber hoheitlichen Akten
der Obrigkeit Rechtschutz zu erringen. Zwar vermochte sie dies
nicht auf direktem Weg zu erreichen. Denn den landesherr-
lichen Territorialgerichten blieb die Kompetenz versagt, eine von
der Regierung in ‚Policeysachen‘“ erlassene Verfügung aufzu-
heben. Aber die Zivilgerichte erlangten auf Grund der Fiskustheorie
die Zuständigkeit, den ‚Fiskus‘ zur Bezahlung einer Schaden-
ersatzsumme an den Untertan zu verurteilen, dessen ‚‚wohl-
erworbenes Privatrecht‘ durch eine obrigkeitliche Verfügung
13 Auch in England galt der Satz, daß der König seinen eigenen
Gerichten nicht unterworfen ist. Dort schuf die Praxis in der dem Unter-
"tan verliehenen Petition of right ein Surrogat der Fiskustheorie. Hat-
:schek, Englisches Staatsrecht I (1905) S. 88 ff.
14 Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht III S. 796ff. Gierke,
Deutsches Privatrecht IS. 476. Hatschek, Die rechtliche Stellung
des Fiskus im BGB. (Verwaltungsarchiv VII S. 424ff., insbes. S. 457ff.).
15 Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrecht, II S. 288.
16 Fleiner, Umbildung zivilrechtlicher Institute S. 23.