58 $4 Verwaltungsrecht.
gerichtet ist. Ein neuer Rechtssatz, der uns im Gesetze oder
dem Gewohnheitsrechte entgegentritt, bringt deshalb regelmäßig
nur die eine — unmittelbar verwertbare — Seite eines hinter
ihm stehenden allgemeinen Rechtsgedankens zum Ausdruck.
Wenn aber das nie rastende Getriebe des Lebens neue Gestal-
tungen gebiert, die rechtlicher Regelung harren, so sieht sich die
Wissenschaft vor die Aufgabe gestellt, aus den geltenden Rechts-
vorschriften das Zufällige, durch wechselnde Tatumstände Be-
dingte auszuscheiden, um so den allgemeinen Rechtsgedanken
herauszuschälen, der jedem neuen Lebensverhältnisse sein
Recht weist. Um dies Ziel zu erreichen, ist in jedem neuen
Fall zunächst durch eine richtige Fragestellung festzustellen, in
welchen juristischen Zusammenhang das betreffende Rechts-
verhältnis hineingehörtt. Wenn z. B. der Eigentümer eines
Gartens durch verirrte Kugeln, die von einem neu errichteten
Militärschießplatz aus auf sein Grundstück hinüberfliegen, in
seiner Sicherheit bedroht wird, so ist die Rechtsfrage dahin zu
fassen:?* kann sich der Eigentümer durch eine privatrechtliche
Klage (actio negatoria) gegen die rechtmäßige Ausübung eines
militärischen Hoheitsrechtes wehren? Wenn nicht, kann er sich
auf einen Satz des öffentlichen Rechtes berufen, der dem durch
rechtmäßige Ausübung der öffentlichen Gewalt geschädigten
Privaten Schadenersatz zuspricht? Ist in dieser Weise dem
Rechtsverhältnis seine Stelle neben bekannten, juristisch gleich-
artigen Beziehungen zugewiesen, so gilt es nunmehr, die maß-
gebenden Normen zu finden. Die Untersuchung hat daher zu
ergründen, ob aus den für die bereits bekannten Erscheinungen
geltenden Spezialbestimmungen ein Öbersatz abzuleiten ist,
unter den auch das neue Verhältnis fällt. In dem erwähnten Bei-
spiel wird somit zu erforschen sein, ob in den Normen, in denen
der rechtmäßig handelnde Staat dem Privaten für Eingriffe in
sein Vermögen Ersatz gewährt (Expropriation usw.), ein all-
gemeiner Rechtsgrundsatz in die Erscheinung tritt, oder ob um-
gekehrt die Schadenersatzpflicht nur besteht, weil das Gesetz
sie ausdrücklich vorgesehen hat; ebenso ist bei der Beur-
teilung der ersten Frage (Einstellung der Schießübungen) zu er-
2% Vgl. Fleiner, Verwaltungsrechtsfälle, Nr.1. Otto Mayer,
II S.180. Anschütz, im Verwaltungsarchiv, V 8. 95.