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Auslieferung
schließenden Staaten stattfinden soll. Dabei
herrscht wie bei andern völkerrechtlichen Verträgen
der Grundsatz der Gegenseitigkeit. Im übri-
gen geht die allgemeine Tendenz der Verträge
dahin, eine APPflicht nur bei schwereren Delikten
zu begründen. Die genauere Bezeichnung erfolgt
jetzt moist nach der sog. Enumerations-
methode,, d. h. durch Aufzählung der Delikte
nach Tatbestand oder Namen. Besonders im letz-
teren Falle tritt die Frage auf, ob eine A. Pflicht
auch dann besteht, wenn die Deliktsbegriffe in
den Rechten der beiden Staaten nicht völlig über-
einstimmen. Bleibt das Delikt immerhin ein
A.Delikt, so ist die Frage selbstverständlich zu be-
jahen. B.: A.Delikte seien u. a. Totschlag und
Körperverletzung mit tödlichem Erfolg. Wenn nun
die A. wegen Totschlags verlangt wird, die konkrete
Handlung sich aber nach dem Rechte des ersuchten
Staates zwar nicht als Totschlag, wohl aber als
Körperverletzung mit tödlichem Erfolg darstellt,
so muß ausgeliefert werden. Abgesehen von Fällen
dieser Art, wird die Frage zuweilen ausdrücklich
entschieden. So macht der deutsch-niederländische
Vertrag a 1 die A. Pflicht davon abhängig, daß
„die betreffende Handlung zugleich nach der Ge-
setzgebung des ersuchten Teils“ als ein A.Delikt
anzusehen ist (Prinzip der identischen
Normen). Fehlt es an einer ausdrücklichen
Bestimmung, so handelt es sich offenbar um eine
Frage der Auslegung. Hierbei kommt namentlich
folgendes in Betracht. Vielfach wird die A. Pflicht
nur bezüglich einzelner Delikte oder deren
Erscheinungsformen davon abhängig gemacht,
daß die Handlung nach der Gesetzgebung der
beide n Teile strafbar ist. So z. B. im deutsch-
belgischen Vertrag u. a. bezüglich der Unterschla-
gung, der Untreue und bezüglich des Versuchs
irgend eines A.Delikts (a 1, 2). Umgekehrt wird
eine Ausnahme von der A.pflicht ganz regel-
mäßig dann zugelassen, wenn nach dem Rechte
des ersuchten Staates die Verfolgungs= oder die
Vollstreckungsverjährung eingetreten ist (daselbst
a 7). Beachtet man nun, daß nach andern Be-
stimmungen der Verträge die A. auf Grund ge-
wisser richterlicher Entscheidungen erfolgen soll,
die sich auf eines der im Vertrage bezeichneten
Delikte beziehen, so scheint vermöge des argu-
mentum e contrario zu folgen, daß im all-
gemeinen lediglich das Recht des erfnu-
chenden Staates maßgebend sein soll. In
der Tat hat das Reichsgericht diese Konsequenz
bei dem deutsch-spanischen A. Vertrag gezogen
(Rt 36, 345). Dagegen weist namentlich Mett-
enberg darauf hin, daß dieses Argument nicht
Schlüssea ist, vielmehr auch die Entstehungsgeschichte
des Vertrages zu seiner Auslegung herangcezogen
werden muß. Diese ergibt aber zunächst bei dem
deutsch-belgischen Vertrag, daß man ganz im
allgemeinen von dem Erfordernis beider-
seitiger Strafbarkeit ausgegangen ist und es nur
da ausdrücklich hervorgehoben hat, wo die Tat-
bestände so verschieden waren, daß es unmöglich
erschien, eine beide deckende Formulierung zu
finden. An die Motive dieses Vertrages lehnen
sich aber die meisten späteren und namentlich auch
dic des deutsch-spanischen an.
In der Tat wird das Prinzip der identischen
Normen dem Grundsatz der Gegenseitigkeit am
Handlungen auch in dem Sinne angewandt
werden, daß alle im Aufenthaltsstaat anerkann-
ten Rechtfertigungs-, Entschuldigungs= und an-
dern Strafausschließungsgründe der A. Pflicht
entgegenstehen. So z. B. Notwehr und
jugendliches Alter. — Für das Prinzip der iden-
tischen Norm auch die Oxforder Beschlüsse des
Instituts für Völkerrecht. Dagegen soll nach dem
16. deutschen Juristentag ausschließlich das Recht
des ersuchenden Staates maßgebend sein.
7. Ausnahmen von der Ausliefernugs-
pflicht lassen die Verträge (abgesehen von dem
schon erwähnten Fall der Verjährung) aus ver-
schiedenen Gründen zu. Hervorzuheben sind
folgende:
1. Nationalität des Verfolgten.
Der Umstand, daß der Verfolgte Untertan eines
dritten Staates ist, steht grundsätzlich der
A. Pflicht nicht entgegen. Doch pflegen sich für
diesen Fall die vertragschließenden Staaten häufig
das Recht vorzubehalten, die A. zunächst dem
Heimatsstaate des Verfolgten anzubieten. So
die Mehrzahl der A. Verträge des Reichs. Eine
sehr viel größere Bedeutung aber kommt dem
Satze zu, daß der Staat seine eigenen Untertanen.
nicht ausliefert. Er hat sich auf dem europälischen
Kontinent seit Ende des 18. Jahrhunderts ein-
gebürgert und zwar im Anschluß an den schon im
alten deutschen Recht vorhandenen Gedanken,
daß das zwischen dem Staate und seinen Unter-
tanen bestehende Treuverhältnis die A. an einen
fremden Staat verbietet. So auch StGB 89.
Um diesen Grundsatz der Nichtauslie-
ferung der Nationalen nicht in eine
Straflosigkeit der eigenen Untertanen ausarten
zu lassen, durchbricht der Staat die sonst aner-
kannte negative Seite des Territorialitätsprin-
zips (StGB 5 3 Abs 1) und bestraft die von seinen
Untertanen im Ausland begangenen Delikte in
gewissem Umfang selbst (St GB # 4 Nr. 3, St O
### 8, 9). Zuweilen wird eine solche Bestrafung
dem Zufluchtsstaate vertragsmäßig zur Pflicht
gemacht.
Auffallenderweise hat um dieselbe Zeit, als der
europäische Kontinent den mitgeteilten Satz wie-
der aufnahm, Großbritannien ihn fallen lassen.
Wenn allerdings ein anderer Staat, mit dem sich
England auf Vertragsfuß setzt, eine A. seiner
eigenen Untertanen ablehnt, so wird England
durch den Grundsatz der Gegenseitigkeit genötigt,
diesem Staate gegenüber den gleichen Standpunkt
einzunehmen; die dadurch gebotene Konsequenz
der eigenen Strafpflicht hat aber England bis
jetzt noch nicht in vollem Maße gezogen.
2. Politischer Charakter des De-
likts. In den meisten modernen A-Verträgen
werden von der A. Pflicht die politischen
Delikte ausgenommen. Offiziell wurde deren
abweichende Behandlung zuerst im Jahre 1782
durch Thomas Jefferson, den Staats-
sekretär Washingtons, ausgesprochen. Allgemeine
Anerkennung fand er zufolge des belgischen A.G
von 1833 a 6. Der Begriff der politischen Delikte
ist bestritten. Man kann zwischen einer subjektiven
und einer obiektiven Theorie unterscheiden. Jene
findet das Wesen in dem Zweck oder in der Absicht
(Laschi, Lammasch,), diese in der Beschaffen-
heit des Angriffsobjekts. Vom Standpunkt der
meisten gerecht. Es muß aber auf die einzelnen letzteren Ansicht aus, die v. Martitz aus dem