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Bedingte Begnadigung
3. Die Höhe der erkannten Freiheitsstrafe soll die
Gewährung des bedingten Strafaufschubes nicht
grundsätzlich ausschließen. 4. Ueber die Bewilli-
gung des bedingten Strafaufschubes ist eine Aeu-
ßerung des erkennenden Gerichts herbeizuführen.
5. Die Bewährungsfrist soll auf weniger als die
Dauer der Verjährungsfrist, und zwar bei Strafen,
die in zwei Jahren verjähren, mindestens auf ein
Jahr, bei Strafen, die einer längeren Verjährung
unterliegen, auf mindestens zwei Jahre bemessen
werden. Die Handhabung der b. B. in Preußen
im Rahmen dieser Grundsätze gestaltet sich — die
Gestaltung in den übrigen Bundesstaaten weicht,
wie sich aus der statistischen Vergleichung der Er-
gebnisse der b. B. in § 4 ergeben wird, mehr oder
weniger davon ab — auf Grund der Ausführungs-
anweisung vom 12. 4. 06 wie folgt: Regel-
mäßig werden nur Jugendliche berücksichtigt und
zwar nur solche, die zu nicht längerer als sechsmo-
natiger Freiheitsstrafe verurteilt sind und noch keine
erhebliche Vorstrafe erlitten, insbesondere noch
keine Freiheitsstrafe verbüßt haben. In dieser
Begrenzung verrät sich deutlich die geschichtliche
Entstehung der b. B. als Ersatzmittel für kürzere
Freiheitsstrafen, namentlich bei Jugendlichen,
die mit den Mauern des Gefängnisses noch nicht
in Berührung gekommen sind. Während in An-
sehung der gedachten Personenkategorien der Ge-
sichtspunkt der Generalprävention in der Aus-
fübrungsemwetiung ganz in den Hintergrund tritt,
etzt die Anweisung bei der ausnahmswei-
sen Beowilligung der b. B. an Personen, die zur
Zeit der Tat des 18. Lebensjahr bereits vollendet
hatten, sowie an die zu längeren als sechsmonatigen
Freiheitsstrafen Verurteilten voraus, daß abge-
sehen von den auch hier erforderten, in der Per-
sönlichkeit des Verurteilten liegenden „ähnlichen
Gründen“ Straftaten in Frage kommen, an deren
Ahndung nach der besonderen Lage der Sache
das öffentliche Interesse nur in geringem Maße
beteiligt ist. Hinsichtlich der zu nicht mehr als
6 Monaten Gefängnis verurteilten Jugendlichen
hat das erkennende Gericht in allen Fällen im An-
schluß an den Erlaß des Urteils auf Grund des in
der Hauptverhandlung gewonnenen Eindrucks
von Amts wegen eine schriftliche Acußerung über
die Würdigkeit des Verurteilten, der Wohltat der
bedingten Strafaussetzung teilhaftig zu werden,
abzugeben. Dasselbe gilt, wenn das Gericht aus-
nahmsweise einem anderen Verurteilten die
Wohltat zuwenden will. Auch wenn die Straf-
vollstreckungsbehörde (der Erste Staatsanwalt,
der Amtsrichter) abweichender Ansicht ist, etwa
auf Grund des Ergebnisses der bereits bei der Ein-
leitung des Strafverfahrens anzustellenden Er-
mittelungen über das Vorleben und die persön-
lichen (häuslichen) Verhältnisse des Verurtceilten,
so hat gleichwohl im Falle der Befürwortung der
b. B. durch das erkennende Gericht die Einstellung
des Verurteilten in die dem Justizminister mit
dem Vorschlag der bedingten Strafaussetzung
einzureichende Liste A zu erfolgen. Will umge-
kehrt die Strafvollstreckungsbehörde, ob nun von
Amtswegen oder auf ein an sie zur Prüfung ge-
langtes Gnadengesuch — sämtliche derartige Guna-
dengesuche sind seit Erlaß der A#f v. 12. April
1906 auch nach der Richtung zu prüsen, ob sie sich
zum bedingten Strafaufschub eignen — eine Straf-
aussctzung erwirken, während das erkennende
Gericht, dessen Aeußerung gegebenenfalls nach-
träglich einzuholen ist, sich gegen sie ausspricht, so
berichtet der Erste Staatsanwalt an den Justizmi-
nister. Die Einholung der ministeriellen Entschei-
dung darf unterbleiben, wenn nach dem Ergebnis
der nachträglichen Ermittelungen Einverständnis
zwischen der Strafvollstreckungsbehörde und dem
Vorsitzenden des Gerichts besteht, daß eine Straf-
aussetzung nicht in Aussicht zu nehmen ist. Mit
diesen Bestimmungen ist die b. B. der bedingten
Verurteilung des Auslandes bedeutend ange-
nähert. Denn weder in positivem noch in nega-
tivem Sinne kann eine Entscheidung über die be-
dingte Strafaussetzung ergehen, ohne daß das er-
kennende Gericht Gelegenheit gehabt hätte, zur
Frage der Anwendung der Maßregel in concreto
Stellung zu nehmen. Irgend welche besonderen
Verpflichtungen materieller Art (etwa Entschä-
digung des Verletzten, Meidung des Wirtshauses)
werden dem Verurteilten außer der allgemeinen
Pflicht zum Wohlverhalten nicht auferlegt. Die
Nichteinhaltung der ihm in Preußen auferlegten
formellen Pflicht zur Anzeige eines Wohnungs-
wechsels zieht den Verlust der Vergünstigung nur
dann nach sich, wenn die Unterlassung auf ein
den Verurteilten eines Gnadenerweises unwürdig
machendes schuldhaftes Verhalten (Landstreichen,
Latitieren) hinweist. Die Bewährungsfrist beträgt
in der Regel zwei, in schwereren Fällen drei Jahre
und darf keinesfalls kürzer als die Verjährungs-
frist sein. Gegen Ablauf der Probezeit zieht die
Vollstreckungsbehörde Erkundigungen über die
Führung des Verurteilten in der Zwischenzeit ein.
Die Ministerialverfügung fordert ein positives
zufriedenstellendes Gesamtverhalten, das aber
durch die Tatsache abermaliger Bestrafung nicht
notwendig ausgeschlossen wird. Sind die Ermitte-
lungen günstig für den Verurteilten, so erfolgt
seine Einstellung in das zur Aufnahme des Antrages
der Vollstreckungsbehörde auf endgültige B. be-
stimmte Verzeichnis B. Sind die Ermittelungen
ungünstig, so wird die ausgesetzte Strafe ohne
weiteres vollstrockt. Anders, wenn die Voll-
streckungsbehörde bereits vor Ablauf der Probe-
frist Umstände erfährt, die erkennen lassen, daß der
Verurteilte die in ihn gesetzten Hoffnungen auf
ferreres MWohlverhalten nicht gerechtfertigt hat.
Will der Erste Staatsanwalt oder der Amtsrichter
in solchem Falle zur Vollstreckung schreiten, so
muß er vorerst an den Justizminister berichten und
den Widerruf der Vergünstigung des bedingten
Strafaufschubes beantragen. In der Regel be-
schränkt sich der Widerruf auf die Tatsache aber-
maliger Verurteilung, von der die Vollstreckungs-
behörde durch die Strafregisterbehörde, bei welcher
eine Mitteilung über die erfolgte Strafaussetzung
niederliegt, in Kenntnis gesetzt wird. Keineswegs
führt aber eine solche abermalige Verurteilung
notwendig zum Widerruf; ist sie von geringerer
Erheblichkeit, so bietet sie häufig Anlaß, den Ver-
urteilten zu warnen und ihm die Vollstreckung
der ausgesetzten Strafe bei fernerem bedenklichen
Lebenswandel anzudrohen; hierin läßt sich
ein Ansatz zum Ueberwachungssystem erblicken.
Besonderes gilt für die b. B. in Forststrassachen.
An Stelle des Justizministers tritt hier der Minister
für Landwirtschaft, Domänen und Forsten als ent-
scheidende Instanz. Vor Einstellung des Verur-
teilten in die Liste Amupß# nicht nur die Unbeitreib-