Bedingte Begnadigung
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lichkeit der Geldstrafe, sondern auch feststehen, daß
die an zweiter Stelle erkannte Freiheitsstrafe auch
nicht durch Anhaltung zu Forst= und Gemcinde-
arbeiten vollstrectt werden kann. Hierzu sei be-
merkt, daß es sich die Praxis bei Aussetzung der
ilfsweise ausgeworfenen Freiheitsstrafen über-
aupt — d. h. bei allen Delikten — angelegen sein
läßt, vor Einstellung des Verurteilten in die Liste A
festzustellen, ob nicht der Verurteilte, wenn er laut
Pfändungsprotokolls frustra excussus ist, im-
stande ist, bei gutem Willen, gegebenenfalls raten-
weise, die in erster Linie verhängte Geldstrafe ab-
zutragen. Es soll hierdurch verhütet werden, daß
die zahlungswilligen Verurteilten das Strafübel
der Geldstrafe erdulden, während die böswilligen
Verurteilten im Wege der b. B. am Ende gänzlich
dem Uebel der Strafe entgehen.
6f4. Ergebnisse der Anwendung der bedirgten
Begnadigung. Ein Beharrungszustand in der Häu-
figkeit der bedingten Strafaussetzung ist in Deutsch-
land noch nicht erreicht, auch für die nächsten Jahre
noch nicht zu erwarten. Seit 1898 (bis dahin durch-
schnittlichim Jahre 6041 Fälle) haben sich die Ziffern
mehr als vervierfacht (1908: 28004 Fälle). Ist auch
eine allmähliche Tendenz der b. B. über den ihrem
Ursprung entsprechenden Rahmen hinauszuwach-
sen, zu einer leise steigenden Weitherzigkeit ihrer
Anwendung nicht zu verkennen, so erfüllt sie doch
im wesentlichen noch ihre Funktion als Surrogat
für kurze Freiheitsstrafen Jugendlicher: Ueber
die Hälfte aller Strafaussetzungen entfällt auf
Strafen von 1 Woche oder weniger. Von 100 be-
dingt Begnadigten sind 77 Jugendliche, 23 Er-
wachsene. Eine ungleiche Anwendung in den ver-
schiedenen Bundesstaaten läßt sich nicht leugnen;
nicht nur hinsichtlich der Häufigkeit überhaupt,
sondern auch im einzelnen. Dies gilt insbesondere
von dem im ganzen nach und nach wachsenden
Anteil der Erwachsenen (1908 Württemberg 20%,
Baden 6500), weiter von der Berücksichtigung der
Vorbestraften, dem Anteil der hinter den Gefäng-
nisstrafen im ganzen stark zurücktretenden Haft-
strafen. Was die Bewährung der Maßregel be-
trifft, so beträgt die Verhältniszahl der endgültigen
B. im Reichsdurchschnitt der letzten 10 Jahre etwa
800% ein nicht,, eben glänzendes“ (v. Liszt), aber
auch die Erwartungen nicht täuschendes Ergebnis.
Bemerkenswert ist, daß der Bewährungs-Prozent-
satz für Erwachsene und Jugendliche nicht erheblich
E#arernt (1908: 83 gegen 82%), daß dagegen die
Verhältniszahl der endgültigen B. für Personen,
die bereits früher eine Freiheitsstrafe verbüßt
atten, wesentlich ungünstiger ist (1908: 53%) als
7 die noch unbestraften (83%), ferner der Erfolg
der b. B. bei den kürzeren Strafen sicherer ist als
bei den längeren (bei den Strafen von einer Woche
oder weniger betrug die Prozentzahl der günstig
erledigten Fälle 83, bei den Strafen von mehr als
sechs Monaten nur noch 64), endlich, daß eine über
3 Jahre währende längere Dauer der Berufungs-
sett den Bewährungsprozentsatz nachteilig beein-
ußt.
*5. Kritik und legislativer Ausblick. Eine
prinzipielle Gegnerschaft gegen den Grundgedan-
ken der b. B. und bedingten Verurteilung existiert
heute weder in den Reihen der Praktiker noch der
Theoretiker mehr in nennenswertem Umfange.
Der Streit dreht sich nur um die technische Aus-
gestaltung des Gedankens. Es ist hier nicht der
Ort, die Frage, ob der b. B. oder der bedingten
Verurteilung die Zukunft gehört, ausführlich zu
erörtern. Wir brauchen nicht mit v. Liszt von der
„Willkür“ der Justizverwaltung zu sprechen und
in ihr das Hauptbedenken gegen die b. B. zu sehen;
denn, ob nun Gericht oder Verw die Strafe aus-
setzt, der Vorwurf der Willkür ist in jedem Falle
berechtigt und nur dann berechtigt, wenn dem Er-
messen der einen oder anderen Instanz durch Gesetz
oder Verordnung ein zu weiter Spielraum ge-
lassen ist. Daß dies bei der b. B. der deutschen
Bundesstaaten der Fall ist, läßt sich ernstlich nicht
behaupten. Aber gleichwohl stehen wir nicht an,
die b. B. nur für eine Uebergangserscheinung zu
erklären, wie dies insbesondere in der seit 1903
vorgeschriebenen gutachtlichen Acußerung des
Gerichts, einem Vorboten der bedingten Verurtei-
lung, deutlich hervortritt. Wir geben v. Liszt
darin durchaus Recht, daß wer sich zur b. B. be-
kennt, ein grundsätzlicher Gegner der bedingten
Verurteilung nicht sein kann. Zum endlichen Sieg
der bedingten Verurteilung müssen im wesent-
lichen staatsrechtliche und staaterechtspolitische
Gründe führen. Eine reichsrechtliche Regelung
der b. B. wäre unerträglich mit dem landesherr-
lichen B. Recht; andererseits wird das Verhältnis
von Recht und Gnade zu einander bedenklich ver-
wischt, wenn der im Gnadenwege erfolgende Straf-
erlaß die Regel ist. Der Einwand gegen die in der
urteilsmäßigen Aussetzung der Strafe liegende
„richterliche Begnadigung“ greift nicht durch.
Denn in der bedingten Verurteilung kann sehr
wohl eine Strafe, eine im Verhältnis zum Ver-
weis schwerere Strafart — schwerer mit Rücksicht
auf das mit dem Schwebezustand für den Ver-
urteilten verbundene Uebel — erblickt werden.
Aber auch, wenn man in ihr ein Setzen der Gnade
für Recht sieht, braucht man kein Feind der richter-
lichen bedingten Verurteilung zu sein: Die Ent-
wicklung des Strafrechts geht mit ihrer stetig wach-
senden Berücksichtigung der deliktuosen Individua-
lität immer mehr dahin, das Gebiet der Gnade
einzuschränken, die Gnade immer mehr zu einem
Element des Rechts selbst zu machen. Die bedingte
Verurteilung bedeutet ebenso wie die Erweiterung
der gesetzlichen Strafrahmen nichts anderes als
einen weiteren Schritt auf diesem Wege.
Die nähere Ausgestaltung der künftigen beding-
ten Verurteilung ist hier nicht zu erörtern. Nur
zwei Punkte seien hervorgehoben. Die Kriminal-
statistik bietet keinen Anhalt dafür, daß die Ein-
führung der b. B. die allgemeine Kriminalität in
Deutschland ungünstig beeinflußt hat. Dies er-
mutigt zur Heranziehung der der Motivierung
durch das „Damoklesschwert“ der Strafaussetzung
von vornherein besonders zugänglichen Erwachse-
nen in ausgedehnterem Maße als bisher. Beim
Jugendlichen wird der bedingte Strafaufschub mit
eindringlicher Verwarnung durch den Richter —
die Preuß. A#f v. 1906 schrieb noch die schrift-
liche Benachrichtigung des Verurteilten von der
Strafaussetzung „ohne Beifügung weiterer Be-
merkungen" vor, während eine Vs'g aus jüngster
Zeit (1909) die eindrucksfähigere mündliche Er-
öffnung empfiehlt, — und nötigenfalls mit Stel-
lung unter die Schutzaufsicht eines Fürsorgevereins
zu verbinden sein. Es ist dies vor allem deshalb
notwendig, um den psychologischen Zusammen-
hang zwischen der Straftat und der bei Nichtbe-
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