Beichtgeheimnis — Belagerungszustand
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der Beichtvater kann hier lediglich durch Ver-
weigerung der Absolution auf den Beichtenden
einzuwirken suchen (vgl. c. 12 X 5, 38; 2 X 1, 31).
Der Standpunkt der protestantischen Kirche ist
kein feststehender. Auch sie muß prinzipicll das
Stillschweigen über alles verlangen, was dem
Seelsorger bei der (in der lutherischen zwar nicht
mehr üblichen, aber doch zulässigen) Privatbeichte
und weiter überhaupt bei Ausübung der Seel-
sorge anvertraut worden ist. Niemals ist aber ein
ausnahmsloses Stillschweigen verlangt worden,
sondern die Entscheidung muß dem sittlichen Ur-
teile des Geistlichen anheimgestellt werden. Schon
J. H. Böhmer (lus eccles. Protestant. V. 17)
statuiert solche Ausnahmen; Eichhorn (Kirchen-
recht 2, 293) will allgemein eine Ausnahme bei
Kollision höherer Pflichten statuiert wissen (was
allerdings sehr dehnbar ist); eine berühmte For-
mulierung ist die sogleich zu nennende des preußi-
schen Landrechts.
Der Staat hat das kirchliche Recht bisweilen.
noch durch staatliche Strafen unterstützt. So be-
droht z. B. das Preuß. ALR II 11 8 80 die Ver-
letzung des B. mit Verlust des Amtes. In §# 82
verlangt es aber die Offenbarung, soweit sie not-
wendig sei, um eine dem Staate drohende Gefahr
abzuwenden oder ein Verbrechen zu verhüten
oder den schädlichen Folgen eines schon begange-
nen Verbrechens abzuhelfen und vorzubeugen.
Das Reichsrecht kennt kein besonderes Delikt
der Verletzung des Beichtsiegels; es schützt letzteres
aber insoweit, als es dem Geistlichen ein Zeugnis-
verweigerungsrecht sowohl im Zivilprozeß wie
im Strafprozeß bezüglich alles dessen gewährt,
was ihm in Ausübung der Seelsorge anvertraut
worden ist (8 PO # 383 Nr. 4; StpO #52 Nr. 1).
Im bürgerlichen Verfahren fällt dieses Vorrecht
fort, wenn der Geistliche von der Verpflichtung
zur Verschwiegenheit entbunden worden ist (3PO
# 385 Nr. 4). Für das Strafrecht sind auch die
Geistlichen an die Anzeigepflicht des § 139 St GB
gebunden. Damit steht die Befreiung von der
Zeugnispflicht nicht im Widerspruch und die „An-
zeigepflicht" kann durch diese Freiheit nicht als
ausgeschlossen gelten, denn im ersteren Falle han-
delt es sich um die Verhinderung bevorstehender
Verbrechen, nicht um die Bestrafung von ge-
schehenen Verbrechen und das sittlich höher stehen-
de Interesse an dieser Verhinderung, z. B. die
Wahrung des menschlichen Lebens gibt die Be-
rechtigung zur positiven Beschränkung des B.
(welches auch in vielen Fällen durch Verschweigen
des Namens bei der Anzeige genügend respektiert
werden kann). Neben diesen Vorschriften des
Reichsstrafrechts bestehen übrigens die oben er-
wähnten kirchenstaatsrechtlichen Vorschriften ein-
zelner Staaten, wie z. B. Preußens weiter fort.
Ein Widerstreit zwischen staatlichem Gebot und
kirchlicher Pflicht ist insofern nicht ausgeschlossen,
als der Geistliche auf Verlangen die Tatsachen,
die ihn zur Verweigerung berechtigen, glaubhaft
zu machen hat (§ 386 BPO, 5 55 St PO), hierzu
aber offenbaren müßte, daß ihm über den
Gegenstand der Vernehmung etwas anvertraut
ist. Ein Schutz wie durch § 383 Abs 3 ZPO be-
steht für den Strafprozeß nicht. Der Entwurf
einer St PO von 1908 sieht im &+ 47 (über die
Z# hinausgehend) vor, daß ein Geistlicher als
Zeuge über solche Tatsachen nicht vernommen
werden darf, über die er „nach der Annahme des
Gerichts oder nach seiner ausdrücklichen Ver-
sicherung nicht aussagen kann ohne die ihm als
Seelsorger obliegende Pflicht zur Verschwiegen-
heit zu verletzen“.
Liüteratur: Friedberg, Lehrb. des Kirchen-
rechts, 1909 S. 410; Hinschius, nirchenrecht IV 1 203;
Modl, Beichtsiegel und Zeugnierflicht, Archiv f. kath.
Kirchenrecht Bd. 82 (1902); Goldacker, Beichtgeheim-
nis des evangel. Geistlichen, 1902; Realenzyklopädie für
protest. Theologie ?, s. v. Beichte; Schön, Das evangel.
Kirchenrecht in Preußen. II, 1910, S. 120. GSehling.
Beiräte
Verwaltungsbeiräte
Belagerungszustand
(Kriegszustand, Staudrecht)
3 1. Grundsätzliches. 3 2. Belagerungszustand von Reichs
wegen. 3 3. Einzelstaaten außer Bayern. 1# 4. Bayern.
* 5. Elsaß-Lothringen. # 6. Schutzgebiete.
§ 1. Grundsätzliches. Der Name B. (état
de siè&ge) ist der erhöhten Bereitschaft entlehnt, die
in kriegerischen Zeitläuften bei eingetretener oder
drohender Belagerung eines Ortes (Vorbild franz.
Gov. 8. 7.1791 nur bei befestigten Plätzen, Dekret
v. 24. 12. 1811 auch bei unbefestigten) geboten ist.
Sie führt von selbst zu einer Vereinigung der
Machtmittel in der Hand des militärischen Be-
fehlshabers sowie zu einer Beschränkung der
freien Betätigung der Insassen. Dieser sog. mi-
litärische B. — die Bezeichnung „Kriegs-
zustand“ reicht in das Völkerrecht und ist mehr-
deutig, wofür der Zwischenfall zwischen Vene-
zuela und den Niederlanden im Dezember 1908
ein Beispiel bietet — hat eine Sonderstellung
bewahrt, indem u. a. seine Anordnung, nament-
lich für Festungen, auch nachgeordneten militäri-
schen Instanzen überlassen wird (Frankreich, Preu-
hen, Elsaß-Lothringen). Im erweiterten Sinne
wird dieses Auf dem Posten sein wie bei einer Be-
lagerung nötig auch gegenüber inneren Unruhen
(sog. politischer B., besser „Ausnahmezu-
stand“, vergl. Oesterreich). Der ähnliche Anlaß
wird zu ähnlichen Wirkungen führen: Geschlossen-
heit der staatlichen Antorität, die unter keinem
Widerstreite zwischen den einzelnen Gewalten
leiden und nicht durch Rücksicht auf Individual-
rechte gehemmt werden darf. Auch in der Lebens-
sphäre des Staates kennt Not kein Gebot. Gegen
eine das gewöhnliche Maß überschreitende Be-
drohung seiner Sicherheit muß sich auch der Staat
durch außerordentliche Maßnahmen schützen kön-
nen, den Verhältnissen angepaßt durch gesetz-
geberisches Eingreifen (Notverordnung) oder durch
eine die Regel durchbrechende Beeinflussung des
Verwaltungsganges. Hierin gipfelt die sog. Si-
cherheitspolizei (Loening 290), die sich im äußer-
sten Falle selbst der bewaffneten Macht bedient.
Solcher Mittel kann auch der konstitutionelle Staat
nicht entbehren: in dieser Richtung stimmen Män-
ner von so verschiedener Staatsauffassung wie