Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Beichtgeheimnis — Belagerungszustand 
397 
  
der Beichtvater kann hier lediglich durch Ver- 
weigerung der Absolution auf den Beichtenden 
einzuwirken suchen (vgl. c. 12 X 5, 38; 2 X 1, 31). 
Der Standpunkt der protestantischen Kirche ist 
kein feststehender. Auch sie muß prinzipicll das 
Stillschweigen über alles verlangen, was dem 
Seelsorger bei der (in der lutherischen zwar nicht 
mehr üblichen, aber doch zulässigen) Privatbeichte 
und weiter überhaupt bei Ausübung der Seel- 
sorge anvertraut worden ist. Niemals ist aber ein 
ausnahmsloses Stillschweigen verlangt worden, 
sondern die Entscheidung muß dem sittlichen Ur- 
teile des Geistlichen anheimgestellt werden. Schon 
J. H. Böhmer (lus eccles. Protestant. V. 17) 
statuiert solche Ausnahmen; Eichhorn (Kirchen- 
recht 2, 293) will allgemein eine Ausnahme bei 
Kollision höherer Pflichten statuiert wissen (was 
allerdings sehr dehnbar ist); eine berühmte For- 
mulierung ist die sogleich zu nennende des preußi- 
schen Landrechts. 
Der Staat hat das kirchliche Recht bisweilen. 
noch durch staatliche Strafen unterstützt. So be- 
droht z. B. das Preuß. ALR II 11 8 80 die Ver- 
letzung des B. mit Verlust des Amtes. In §# 82 
verlangt es aber die Offenbarung, soweit sie not- 
wendig sei, um eine dem Staate drohende Gefahr 
abzuwenden oder ein Verbrechen zu verhüten 
oder den schädlichen Folgen eines schon begange- 
nen Verbrechens abzuhelfen und vorzubeugen. 
Das Reichsrecht kennt kein besonderes Delikt 
der Verletzung des Beichtsiegels; es schützt letzteres 
aber insoweit, als es dem Geistlichen ein Zeugnis- 
verweigerungsrecht sowohl im Zivilprozeß wie 
im Strafprozeß bezüglich alles dessen gewährt, 
was ihm in Ausübung der Seelsorge anvertraut 
worden ist (8 PO # 383 Nr. 4; StpO #52 Nr. 1). 
Im bürgerlichen Verfahren fällt dieses Vorrecht 
fort, wenn der Geistliche von der Verpflichtung 
zur Verschwiegenheit entbunden worden ist (3PO 
# 385 Nr. 4). Für das Strafrecht sind auch die 
Geistlichen an die Anzeigepflicht des § 139 St GB 
gebunden. Damit steht die Befreiung von der 
Zeugnispflicht nicht im Widerspruch und die „An- 
zeigepflicht" kann durch diese Freiheit nicht als 
ausgeschlossen gelten, denn im ersteren Falle han- 
delt es sich um die Verhinderung bevorstehender 
Verbrechen, nicht um die Bestrafung von ge- 
schehenen Verbrechen und das sittlich höher stehen- 
de Interesse an dieser Verhinderung, z. B. die 
Wahrung des menschlichen Lebens gibt die Be- 
rechtigung zur positiven Beschränkung des B. 
(welches auch in vielen Fällen durch Verschweigen 
des Namens bei der Anzeige genügend respektiert 
werden kann). Neben diesen Vorschriften des 
Reichsstrafrechts bestehen übrigens die oben er- 
wähnten kirchenstaatsrechtlichen Vorschriften ein- 
zelner Staaten, wie z. B. Preußens weiter fort. 
Ein Widerstreit zwischen staatlichem Gebot und 
kirchlicher Pflicht ist insofern nicht ausgeschlossen, 
als der Geistliche auf Verlangen die Tatsachen, 
die ihn zur Verweigerung berechtigen, glaubhaft 
zu machen hat (§ 386 BPO, 5 55 St PO), hierzu 
aber offenbaren müßte, daß ihm über den 
Gegenstand der Vernehmung etwas anvertraut 
ist. Ein Schutz wie durch § 383 Abs 3 ZPO be- 
steht für den Strafprozeß nicht. Der Entwurf 
einer St PO von 1908 sieht im &+ 47 (über die 
Z# hinausgehend) vor, daß ein Geistlicher als 
Zeuge über solche Tatsachen nicht vernommen 
  
werden darf, über die er „nach der Annahme des 
Gerichts oder nach seiner ausdrücklichen Ver- 
sicherung nicht aussagen kann ohne die ihm als 
Seelsorger obliegende Pflicht zur Verschwiegen- 
heit zu verletzen“. 
Liüteratur: Friedberg, Lehrb. des Kirchen- 
rechts, 1909 S. 410; Hinschius, nirchenrecht IV 1 203; 
Modl, Beichtsiegel und Zeugnierflicht, Archiv f. kath. 
Kirchenrecht Bd. 82 (1902); Goldacker, Beichtgeheim- 
nis des evangel. Geistlichen, 1902; Realenzyklopädie für 
protest. Theologie ?, s. v. Beichte; Schön, Das evangel. 
Kirchenrecht in Preußen. II, 1910, S. 120. GSehling. 
Beiräte 
Verwaltungsbeiräte 
  
Belagerungszustand 
(Kriegszustand, Staudrecht) 
3 1. Grundsätzliches. 3 2. Belagerungszustand von Reichs 
wegen. 3 3. Einzelstaaten außer Bayern. 1# 4. Bayern. 
* 5. Elsaß-Lothringen. # 6. Schutzgebiete. 
§ 1. Grundsätzliches. Der Name B. (état 
de siè&ge) ist der erhöhten Bereitschaft entlehnt, die 
in kriegerischen Zeitläuften bei eingetretener oder 
drohender Belagerung eines Ortes (Vorbild franz. 
Gov. 8. 7.1791 nur bei befestigten Plätzen, Dekret 
v. 24. 12. 1811 auch bei unbefestigten) geboten ist. 
Sie führt von selbst zu einer Vereinigung der 
Machtmittel in der Hand des militärischen Be- 
fehlshabers sowie zu einer Beschränkung der 
freien Betätigung der Insassen. Dieser sog. mi- 
litärische B. — die Bezeichnung „Kriegs- 
zustand“ reicht in das Völkerrecht und ist mehr- 
deutig, wofür der Zwischenfall zwischen Vene- 
zuela und den Niederlanden im Dezember 1908 
ein Beispiel bietet — hat eine Sonderstellung 
bewahrt, indem u. a. seine Anordnung, nament- 
lich für Festungen, auch nachgeordneten militäri- 
schen Instanzen überlassen wird (Frankreich, Preu- 
hen, Elsaß-Lothringen). Im erweiterten Sinne 
wird dieses Auf dem Posten sein wie bei einer Be- 
lagerung nötig auch gegenüber inneren Unruhen 
(sog. politischer B., besser „Ausnahmezu- 
stand“, vergl. Oesterreich). Der ähnliche Anlaß 
wird zu ähnlichen Wirkungen führen: Geschlossen- 
heit der staatlichen Antorität, die unter keinem 
Widerstreite zwischen den einzelnen Gewalten 
leiden und nicht durch Rücksicht auf Individual- 
rechte gehemmt werden darf. Auch in der Lebens- 
sphäre des Staates kennt Not kein Gebot. Gegen 
eine das gewöhnliche Maß überschreitende Be- 
drohung seiner Sicherheit muß sich auch der Staat 
durch außerordentliche Maßnahmen schützen kön- 
nen, den Verhältnissen angepaßt durch gesetz- 
geberisches Eingreifen (Notverordnung) oder durch 
eine die Regel durchbrechende Beeinflussung des 
Verwaltungsganges. Hierin gipfelt die sog. Si- 
cherheitspolizei (Loening 290), die sich im äußer- 
sten Falle selbst der bewaffneten Macht bedient. 
Solcher Mittel kann auch der konstitutionelle Staat 
nicht entbehren: in dieser Richtung stimmen Män- 
ner von so verschiedener Staatsauffassung wie
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.