Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Bettel- und Wanderwesen 
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waltung der Würbeitsstätten. Kreise, in denen keine WiAr- 
beitsstätte eingerichtet wird, denen aber die von anderen 
Kreisen derselben Provinz eingerichteten Würbeitsstätten 
zugute kommen, können durch Beschluß des Provinzialland- 
tages verpflichtet werden, zu den Kosten dieser Wärbeits- 
stätten beizutragen. Die Höhe des Beitrags setzt der Pro- 
vinzialausschuß fest. Die Provinzen haben den Kreisen zwei 
Drittel der Kosten der Wirbeitsstätten zu erstatten. Zu 
diesen Kosten gehören auch die Kosten, welche durch die Be- 
förderung von Gästen der Würbeitsstätten innerhalb der 
Provinz erwachsen. Die den Kreisen zu erstattenden Kosten 
setzt der Provinzialausschuß sest. Von den Kosten der mit 
Würbeitsstätten verbundenen Arbeitsnachweise übernimmt 
der Staat nach Vereinbarung mit den Provinzen einen an- 
gemessenen Bruchteil. Gemeinden (Gutsbezirke), in denen 
eine Würbeitsstätte eingerichtet wird, sind auf Erfordern 
des Kreisausschusses zur Mitwirkung bei deren Berwaltung 
und zur Hergabe passender Räumlichkeiten, soweit solche 
schon bisher einem gleichen Zwecke dienten, verpflichtet. Die 
Kreise haben den Gemeinden (Gutsbezirken) hierfür eine 
angemessene Entschädigung zu gewähren, über deren Höhe 
im Streitfalle der Bezirksausschuß beschließt.“ 
Ob mit diesem Gesetz der weiteren Behandlung 
der Angelegenheit die genügende Grundlage ge- 
geben ist, läßt sich zur Zeit noch nicht beurteilen; 
außer Westfalen, das aber bereits zur Zeit des 
Erlasses des Gesetzes eine wohlgeordnete WFür- 
sorge im Sinne des Gesetzes besaß, haben noch 
Hessen-Kassel, Sachsen und Hannover (beide 1910) 
von der gesetzlichen Ermächtigung Gebrauch ge- 
macht. Immerhin bildet die Durchführung einer 
sorgfältig gearbeiteten und sorgfältig durchgeführ- 
⅝ten W. und Arbeitsordnung, wie sie seit 1887 
(1892) vom Deutschen Herbergsverein in Ver- 
bindung mit dem Gesamtverbande ausgearbeitet 
und vom preuß. Min Inn zur Einführung em- 
pfohlen ist, gegen die Mißbraucher der Ordnung 
einen Schutz. Im übrigen darf nicht verschwiegen 
werden, daß sehr ernsthafte Bedenken gegen die ge- 
setzliche Regelung an sich mit der Begründung er- 
hoben wurden, daß eben diese geradezu eine Ver- 
führung zum B und W schaffe. Doch ist dagegen 
zu bemerken, daß eine vollständige und wirklich 
befriedigende Lösung dieser Frage überhaupt nicht 
möglich ist und nach dem Stande der bisherigen 
Erfahrungen eine planmäßige Regelung mehr Ge- 
währ des Erfolges bietet, als eine gänzlich negative 
Haltung. Ob auf diesem Wege weiter fortge- 
schritten wird, steht noch dahin; das preußische Ab- 
geordnetenhaus hat bei Gelegenheit der Beratung 
des WG eine Resolution angenommen, durch die 
die Regierung ersucht wird, im Bundesrat dahin 
zu wirken, daß die Fürsorge für mittellose arbeits- 
willige Wanderer im Wege der Reichsgesetzgebung 
geregelt werde. Württemberg scheint einer 
gesetzlichen Regelung abgeneigt. In den Etat sind 
seit 1907 je 20 000 Mk. eingestellt, um mit der 
Einführung der Würbeitsstätten einen Versuch zu 
machen (Vgl. hierzu Denkschrift der Württ. Reg 
Heft XIV zweiter Nachtrag v. 20. 4. 07). Gleich- 
zeitig hat sich zur Durchführung der Aufgabe 
„D. V. zur Förderung der W.“ gebildet und den 
Betrieb ktboer 1909 mit bisher ausgezeichne- 
tem Erfolge in einem Teil des Landes begonnen. 
In Sachsen = Weimar war schon durch G 
v. 9. 3. 92 den Bezirksausschüssen die Befugnis 
erteilt, die Einrichtung von U. W. St. zu beschließen 
und den Aufwand hierfür durch Verteilung auf 
die beteiligten Gemeinden aufzubringen. 
  
  
III. Ueber die gegenwärtige Lage in Deutschland 
gibt der Jubiläumsbericht des Gesamtverbandes 
Deutscher Verpflegungsstationen Auskunft. Da- 
nach ist in Westfalen das Netz ziemlich vollständig 
und der Erfolg in der starken Abnahme sowohl der 
Bettler wie der für die Stationen aufzuwenden- 
den Kosten bemerkbar gewesen. Außerdem war 
1907 die Wandrerfürsorge durchge führt in den Pro- 
vinzen Brandenburg, Hannover, Sachsen, Hessen- 
Nassau, in den vier oberbadischen Kreisen, in Meck- 
lenburg-Strelitz, in Teilen von Bayern und in der 
bayrischen Pfalz, in Sachsen-Weimar u. a. 
In Westfalen sind in den Städten, in 
welchen sich Wanderarbeitsstätten befinden, meist 
mit den Herbergen zur Heimat (vgl. § 4) räumlich 
verbunden und von deren Hausvätern unmittelbar 
auf Grund vertraglicher Vereinbarung zwischen den 
betr. Kreisen und den Vorständen der betr. Her- 
bergen verwaltet, außerdem städtische Ein- 
richtungen zur Beschäftigung (1 bis 3 Tage, meist 
Steine zerkleinern) und Verpflegung derjenigen 
mittellosen Wanderer getroffen, die wegen un- 
genügender Ausweisschriften in den Wander- 
arbeitsstätten nicht aufgenommen werden („Wan- 
derbummler"), aber doch ebenfalls versorgt wer- 
den müssen, um nicht auf den Bettel angewiesen 
zu sein. Nur durch die Gewißheit, daß jeder aus- 
reichend versorgt wird, kann die mitleidige Ein- 
wohnerschaft von dem prüfungslosen Geben an 
den Türen abgehalten werden. Polizeiliche Re- 
pression versagt, wenn die positive Fürsorge fehlt 
oder unzureichend ist. Diese „Obdachlosen-Verpfle- 
gung" geschieht auf Kosten des betr. Ortsarmen- 
verbandes, hat also einen armenrechtlichen Charak= 
ter, während die „Stationsverpflegung" in den 
Herbergs-Arbeitsstätten auf Kosten der Kreise () 
und der Provinz (52) den Charakter einer sozial- 
politischen Fürsorge- Einrichtung hat. Der „Sta- 
tionsgast“ verpflichtet sich durch Namensunter- 
schrift im „Wanderschein“, die „Wander= und Ar- 
beitsordnung“ zu befolgen und behält, so lange er 
dies tut, die Anwartschaft auf „Stationsverpfle- 
gung" in den nachfolgenden Arbeitsstätten des 
„Netzes“, solange er durch deren Arbeitsnachweise 
keine Arbeit findet. Abstempelung des Wander- 
scheins an jeder Station mit Datum, Eintrag der 
Abgangsstunde und „Zielstation“; bei zu weiten 
Zwischenstrecken aushilfsweise Eisenbahnbeförde- 
rung auf „Gutscheine“ zum halben Fahrpreise IV. 
Kl. in Preußen und Württemberg von den 
Staatsbahnverwaltungen zugestanden, außerdem 
zur schnelleren Beförderung nach entlegenen Ar- 
beitsstellen oder nach Arbeiterkolonien (vgl. § 3). 
5 3. Arbeiterkolonien. Sie sind organisch aus 
dem Gedanken der Wlrbeitsstätten hervorgegan- 
gen, dienen aber nicht der vorübergehenden, son- 
dern der längere Zeit dauernden Versorgung von 
Personen, die arbeitslos sind. Vorzugsweise 
kommen hierbei Personen in Betracht, die durch 
längeres Weeben, durch Trunk und Müßiggang 
in einen Zustand geraten sind, der sie zur Arbeit 
aus eigenem Antriebe unfähig macht. Sie bedür- 
fen daher einer Stätte, an der sie unter Enthaltung 
vom Alkohol und unter Zucht und Ordnung, wenn 
auch ohne Zwang, zur Arbeit angehalten werden. 
Tatsächlich sind die Kolonisten etwa zur Hälfte 
Leute, die schon Strafen wegen B und Landstrei- 
chens erlitten, oft auch korrektionelle Nachhaft 
durchgemacht haben, Leute, die, wenn sie von den
	        
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