Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Adel 
  
Gesichtspunkten enger gezogen; von den welt- 
lichen Herren gelten als Fürsten nur noch solche, 
die mindestens eine Grasschaft unmittelbar vom 
König zu Lehen haben und nicht Mannen eines 
andern weltlichen Reichsfürsten sind; für die 
Reichsbischöfe entschied dasselbe Kriterium, hier 
bildete aber die unmittelbare Belehnung durch 
den König die Regel. Allmählich wird dieser Kreis 
durch zahlreiche Erhebungen in den Reichsfürsten- 
stand durch den König erweitert. Die Mitglieder 
fürstlicher Häuser ohne Fürstenamt vermitteln als 
sogenannte „Fürstengenossen“ den Uebergang zum 
zweiten Elemente des Herrenstandes, den „Edeln“. 
An deren Spitze stehen zunächst die Grafen, die 
nicht Reichsfürsten, dazu gehören dann aber auch 
die „freien Herren" (oft auch nur „Freie“ genannt), 
lat. liberi barones, barones lberi. Das sind, 
eingeschlossen die Reste des alten A., die Besitzer 
großer Grundherrschaften mit mehr oder minder 
ausgedehnter Gerichtsherrlichkeit. Die Gesamtheit 
der vürsten, gräven und viien gehört als ordo 
equestris maior infolge ihrer militärischen Be- 
ziehungen zum Ritterstande. Aus dem Brauche 
des Königs, diese Großen seines Reichs zu Hof- 
tagen zu versammeln, entwickelt sich das Recht 
der Reichsstandschaft für die beteiligten Kreise, 
das dann wieder zum eigentlichen Kriterium des 
Hoch A. der Neuzeit wird. 
Auch die Entstehung des niederen A. der Neu- 
zeit geht auf berufsständische Verhältnisse des 
Mittelalters zurück, nämlich auf das Rittertum, 
und zwar den ordo equestris minor. Dieses selbst 
ist wieder aus einer Mischung verschiedener sozialer 
Schichten hervorgegangen, die durch die gemein- 
same ritterliche Beschäftigung und Lebensweise 
verschmolzen wurden. Das Gros der Ritter wurde 
gestellt durch unfreie Elemente. Aus den geringen 
Eigenleuten, die von dem Könige und den Großen 
nur zu gewissen höfischen und ritterlichen Diensten 
gehalten werden, entwickelt sich der Stand der 
„Dienstmannen" oder „ministeriales“ in einem 
engeren Sinne, der, ähnlich wie einst die Vasallen, 
durch Ausstattung mit einem Dienstlehen zur wirt- 
schaftlichen Selbständigkeit gelangt und seit dem 
11. Jahrhundert einen eigenen Geburtsstand bildet. 
Mit den ministeriales verschmelzen seit dem 13. 
Jahrhundert die milites, das sind unfreie Ritter 
in den Landen, wo nur die Fürsten eigentliche 
ministeriales halten dürfen. Wegen seiner wirt- 
schaftlichen Vorzüge nimmt der Ministerialenstand 
aber auch zahlreiche höhere Elemente von voll- 
freien Leuten in sich auf, einmal ritterbürtige 
Freie, die nicht „Edele“ sind, die sogen. scep en 
bare lude des Sachsenspiegels, die sich ihre Schöf- 
fenbarkeit aber vielfach vorbehalten, dann zahl- 
reiche „Edele“ des Herrenstandes, die vielfach nur 
gegen den Eintritt in die Ministerialität Lehen er- 
langen können. Der aus so verschiedenen Ele- 
menten zusammengesetzte Ritterstand, gleichzeitig 
ein Berufs= und ein Geburtsstand, lief den Stadt- 
  
bürgern und den freien Landbewohnern den Rang "— 
Edellente. Erst seit der Mitte des 18. Jahrh. setzt 
ab, trat unmittelbar hinter den Stand der „freien 
Herren“ und entwickelte sich in den letzten Jahr- 
hunderten des Mittelalters zu einem freien 
Lehns-Adel. 
Auf anderer Grundlage entwickelte sich der 
mittelalterliche Stadt A. Hier bildet sich ein 
Gegensatz heraus von Alt-, Voll= oder Erbbürgern, 
die mit Grundbesitz angesessen sind (burgenses 
  
  
oder cives), und Schutzbürgern, die nur auf ge- 
liehenem zinsbaren Boden wohnen (concives). 
Erstere sind meistens Kaufleute, letztere Hand- 
werker. Doch steigen auch vermögendere Ge- 
werbetreibende, die nicht zur Kaufmannsgilde ge- 
hören, z. B. Salzsieder in manchen Städten in 
die herrschende Schicht auf. Zur letzteren zählen 
namentlich auch die Ministerialen des Stadtherrn, 
mit deren Hilfe dieser ursprünglich die Stadt 
regiert. Wenn es auch irrtümlich, den Ursprung 
städtischen Kapitals in ersparter Grundrente zu- 
gezogener Grundbesitzer zu sehen, so bringt es 
andrerseits die Blüte des städtischen Wesens mit 
sich, daß auch Ministerialen vom Lande ihren 
Wohnsitz in die Stadt verlegen. Aus diesen oberen 
Elementen entsteht der Stadt A. der „ratsfähigen 
Geschlechter“. Auch nachdem die politische Allein- 
herrschaft der „Geschlechter“ gebrochen, erhält sich 
das Patriziat als ein besonderer Stand und führt 
vielfach auch eine rittermäßige Lebensweise. 
Zu dem eigentlichen Ritter A. und dem städtischen 
Patriziat tritt im Ausgang des Mittelalters eine 
dritte aristokratische Gruppe in dem Brief N., 
der nach französischem Vorbild seit Karl IV. durch 
Diplom ohne Rücksicht auf den Beruf verliehen 
wird. Auch wird der zum Dr. iur. promovierte 
als des persönlichen A. teilhaftig angesehen. So 
tritt das berufsständische Element des A. allmäh- 
lich zurück. 
In den nenzeitlichen Jahrhunderten des alten 
Reiches, etwa seit 1500, hat der reichsunmittelbare 
„Herrenstand“ des Mittelalters seine besondere 
Stellung als Hoch A. bewährt, soweit er in den 
Besitz der Reichsstandschaft gelangt war. Diese 
bildete also das entscheidende Kriterium. Wan 
unterschied in der Praxis streng zwischen diesem 
Herrscherstand und dem übrigen A., auch soweit 
er mit denselben Prädikaten versehen war, vgl. 
RA von 1548 §K 66. Die reichsständischen Fa- 
milien besaßen eine besondere praeeminentia und 
dignitas. Diese äußerte sich z. B. in der allei- 
nigen Befähigung zur Bekleidung der Stelle des 
Kammerrichters und in der Erhaltung des Eben- 
bürtigkeitsprinzips. Aus der prozessualen An- 
wendung des letzteren, daß der procurator oder 
gerhabe seinem Auftraggeber ebenbürtig sein 
müsse, leitete sich die Regel ab, daß nur ein reichs- 
ständischer Herr den Kaiser bei den Reichsgeschäf- 
ten vertreten dürfte. Trotz dieser praktischen Son- 
derstellung der reichsständischen Familien hat die 
Wissenschaft der neuzeitlichen Jahrhunderte be- 
züglich der Einteilung des A. lange geschwankt. 
Die zunächst meist verbreitete und bis in die Mitte 
des 18. Jahrh. sogar vorherrschende, noch von 
Moser vertretene Lehre sah das Wesen des Hoch- 
adels in den Titulaturen des alten Herrenstandes. 
Andere verknüpften den Hoch A. fälschlich mit der 
Landeshoheit. Von den Glossatoren beeinflußt 
war die irrige Dreiteilung lediglich nach der Titu- 
latur in Hoch A. = Fürsten, mittleren A. = Gra- 
fen und Herren und niederen A. d. h. alle übrigen 
sich die, vereinzelt schon im 17. Jahrh. ausgespro- 
chene Lehre durch, daß der Hoch A. auf der Reichs- 
standschaft basiere. 
Das Wort „hoher A.“ erscheint gesetzlich zum 
ersten Male in der deutschen Bundesakte von 1815. 
Fast ausnahmslos haben die zu ihm gehörigen nicht 
fürstlichen Elemente den Reichsgrafentitel ange-
	        
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