Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Fideikommisse 
  
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findet sich nur in Baden: 14 000 Mk. Reinein- 
kommen für F. des Ritterstandes, 52 000 Mk. für 
solche des Herrenstandes. — Das Grundwert- 
minimum soll die F. Form dem Großgrundbesitz 
reservieren, nachdem die Versuche, die Bayern 
und Hessen mit bäuerlichen F. („landwirtschaft- 
lichen Erbgütern") 1855 bezw. 1858 gemacht haben, 
gescheitert sind. Eine Maximalgrenze beugt der 
Latifundiengefahr nur dann wirksam vor, wenn 
nicht nur der Umfang eines einzelnen F., sondern 
der Umfang der Summe der in einem bestimmten 
Bezirk (z. B. einer Provinz) liegenden F. be- 
grenzt wird. 
2. Fideikommißvermögen heißt das 
Sondervermögen, dessen Mittelpunkt der F. Ge- 
genstand bildet. Außer diesem gehören zum F. Ver- 
mögen noch Mobilien, Betriebskapitalien und 
Rechte aller Art, insbesondere die jetzt (596 BG) 
unter den Grundbestandteilsbegriff gebrachten 
Realrechte. Das F. Vermögen kann mit Schul- 
den, Fideikommißschulden,, beschwert 
sein, für die das F. Vermögen entweder mit der 
Substanz oder mit den Nutzungen haftet; F. Schul- 
den sind z. B. die vor der F. Errichtung bestehen- 
den Schulden des Errichters (außer in Hessen). 
Das F. Vermögen unterscheidet sich von der Fa- 
milienstiftung dadurch, daß jenes einen 
Herrn (Eigentümer) hat, während diese ein sub- 
jektloses Vermögen, eine juristische Person, dar- 
stellt (die regelmäßig zur Unterstützung einzelner 
Familienglieder geschaffen wird). 
§ 3. Die Enutstehung des Fideikommisses. 
Erforderlich ist ein Rechtsgeschäft. Ein F. ent- 
steht weder durch Ersitzung noch durch autonome 
Satzung; aus diesem Grunde sind die sogenannten 
F. des hohen Adels keine wahren F. (sondern 
Hausgüter mit Sonderschicksalen in Bezug auf 
Verwaltung und Nutzung). Das Errichtungs- 
geschäft (auch Stiftungsgeschäft genannt) ist ent- 
weder Vertrag oder (so meist, in Sachsen stets) 
einseitiges Geschäft: Verfügung von Todes wegen 
oder unter Lebenden. Nach gemeinem 
Recht ist es, wenn unter Lebenden errichtet, 
sormlos gültig; es bedarf keiner obrigkeitlichen 
Mitwirkung. Anders in allen Landesrechten. 
Daspreußische Recht fordert Verlautbarung 
vor dem Fideikommißgericht, und außerdem bei 
F. von mehr als 30 000 Mk. Reinertrag die be- 
liebig versagbare königliche Genehmigung, bei klei- 
neren F. die nur aus Rechtsgründen versagbare 
gerichtliche Bestätigung; die Eintragung auf dem 
Grundbuchblatt des gestifteten Grundstücks ist 
zur Entstehung nicht nötig (vgl. aber EG z. B# 
a 61). Bayern verlangt eine gerichtliche Be- 
stätigung und die Eintragung in die F. Matrikel. 
In Sachsen muß die Anordnung des Stifters 
gerichtlich oder notariell beurkundet und landes- 
herrlich genehmigt werden; der Genehmigung 
geht eine formelle und sachliche Prüfung durch 
die Anwartschaftsbehörde voraus. In Baden 
ist außer der Staatsgenehmigung zur Errichtung 
noch (ebenso in Hessen und Braunschweig) 
die Eintragung der Stammgutseigenschaft in das 
Grundbuch nötig. 
Die F. Errichtungen unterliegen einem hohen 
Stempel.: in Preußen 3% des Gesamtwerts 
der dem F. gewidmeten Gegenstände ohne Schul- 
denabzug, und dies nicht nur für immerwährende 
F., sondern auch für römischrechtliche F., sofern 
  
kraft Stifterwillens die gestifteten Gegenstände 
der Familie für mehr als 2 Generationen erhalten 
bleiben sollen; Tarif-Nr. 24 des Stempel St G 
i. d. Fassung v. 30. 6. 09. 
8 4. Die Rechtsverhältnisse. Fideikom- 
mißberechtigt sind die durch die Errich- 
tungsurkunde bezeichneten Personen. Der Er- 
richter kann zum F. jede, nicht nur seine eigene 
Familie berufen. Adel ist kraft Gesetzes nur in 
Bayern und Baden Rechtsvoraussetzung. Un- 
ter den Berechtigten sind zu scheiden: der Fidei- 
kommißbesitzer und die Anwärter; 
Anwärter ist jeder mögliche F.Folger. Nach 
einigen Landesrechten, insbesondere nach preu- 
ßischem Recht, bilden alle zu einem F. Berechtig- 
ten („die Familie“") eine juristische Person. Sie 
ist Obereigentümerin des F., der jeweilige Be- 
sitzer des Guts Untereigentümer (ebenso Bayern). 
Im gemeinen Recht und den meisten Landes- 
rechten, insbesondere in Sachsen, erscheint da- 
gegen der jeweilige F. Besitzer als Eigentümer des 
Guts, während die Rechte der Anwärter dingliche 
Erwerbsrechte an fremder Sache sind. 
Die Rechte und Pflichten des F.Be- 
sitzers und der Anwärter im einzelnen werden 
durch die Satzung festgestellt. Die Nutzung 
steht dem F. Besitzer zu, wobei er die Früchte zu 
Allod erwirbt. Oft haben aber auch die Anwärter 
gewisse Ansprüche auf Mitnutzung (z. B. auf Un- 
terhaltsrenten, Ausstattungen, Abfindungen aus 
dem F.ermögen); nach dem sächsischen Gesetz 
muß jeder F.Besitzer zur Versorgung seiner An- 
gehörigen eine Geldsumme (Familienkasse) durch 
Jahresbeiträge ansammeln; diese Kasse bildet einen 
Bestandteil des F. Vermögens. 
Besitz und Verwaltung (Bewirtschaf- 
tung) des F. Vermögens stehen dem F. Besitzer 
zu; sein Ermessen entscheidet, aber er muß dem 
Folger das Gut in ordnungsmäßigem Zustande 
überlassen. Deshalb haben regelmäßig die An- 
wärter Kontrollrechte verschiedenen Inhalts (z. B. 
auf Inventarisierung, Sicherheitsleistung, auf 
Unterlassung drohender Gefährdung, im Notfall 
auf Sequestration). Der F. Besitzer muß die Be- 
wirtschaftungslasten (Reparatur-, Versicherungs- 
kosten u. dergl.) tragen. Zu rechtlichen Ver- 
fügungen (Veräußerungen und Belastungen) 
ist der F. Besitzer nicht befugt. Verfügt er doch, 
so ist nach gemeinem Rechte seine Verfügung den 
Anwärtern gegenüber, die nicht zugestimmt ha- 
ben, nichtig, und die Zustimmung aller lebenden 
Anwärter hindert die später geborenen nicht, die 
Nichtigkeit der Verfügung geltend zu machen. 
Landesrechte gestatten Verfügungen mit Zustim- 
mung der derzeitigen Gesamtfamilie. 
Im Gebiet des ALs ist eine Verfügung auf 
Grund eines gerichtlich bestätigten Familien-= 
schlusses zugelassen; Familienschluß ist ein 
einstimmiger Beschluß aller an ihm teilnehmen- 
den Familienglieder nach ordnungsmäßiger La- 
dung aller Familienglieder. Für minder wichtige 
und für dringende Fälle reicht statt des Familien- 
schlusses die Zustimmung zweier Anwärter aus, 
regelmäßig der beiden nächsten Seitenverwandten 
(& 87 ff AbU II, 4, Gv. 15. 2. 40). In ähnlicher 
Weise wie in Preußen werden die Anwärter- 
gemeinschaften aber auch da organisiert, wo die 
Familie nicht als juristische Person ausgestaltet ist. 
So läßt Sachsen vollwirksame Verfügungen
	        
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