Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Fürsorgeerziehung 
  
Landesgesetze, welche sich lediglich als AG z. BGB 
oder als „Zwangserziehungsgesetze“ bezeichnen). 
82. Fürsorgeerziehung nach Reichsprivatrecht. 
I. Die Anordnung. Die gs 1666, 1838 
BGB haben nicht nur die Aufgabe, die Ver- 
wahrlosung zu bekämpfen oder zu verhüten, son- 
dern auch die, das Kind gegen andere Gefahren 
in Schutz zu nehmen, die ihm z. B. durch Ver- 
schulden der Sorgeberechtigten drohen, so: un- 
mittelbare Gefahr für Leib oder Leben, Gefahr 
einer verfehlten Berufswahl, launische Gefähr- 
dung des Lebensglückes. Deshalb sagt § 1666 zu- 
nächst allgemein: „Wird das geistige oder leibliche 
Wohl des Kindes dadurch gefährdet, daß der Va- 
ter das Recht der Sorge für die Person des Kindes 
mißbraucht, das Kind vernachlässigt oder sich eines 
ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig 
macht, so hat das Vormundschaftsgericht die zur 
Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln 
zu treffen.“ Zu diesen Maßregeln gehört aber auch 
die Trennung des Kindes von seiner Familie, 
wenn gerade in der Vereinigung mit der Familie 
die Gefährdung zu finden ist. Die Kosten für die 
anderweite Unterbringung des Kindes sind, falls 
sie nicht von den Unterhaltspflichtigen beigetrieben 
werden können oder von der freien Liebestätig- 
keit übernommen werden (Innere Mission, Ca- 
ritas, Humanitäre Vereine), nach der Rechtspre- 
chung des KG (22, 263; 23, 32, 37; 24, 158; 
25, 206; 32, 66) und des Bundesamtes für Hei- 
matwesen (Entsch v. 3. 11. 03 u. v. 17. 10. 03; 
ferner Bd. 3, 49; 16, 41; 34, 79) durch die Armen- 
verwaltung (oben S 200) zu tragen. Man nennt 
dies die „künstliche Hilfsbedürftigkeit“". 
Die Verpflichtung der Armenbehörde zu Auf- 
wendungen für die „künstlich hilfsbedürftigen“ 
Kinder ist von Verwerichten verneint worden, 
auch vom Pr. OV# am 11. 2. 08 (Pr. VerwBl 
1908 Nr. 38). Soweit die Armenbehörden sich 
nach dieser Entscheidung richten, ist man bei Aus- 
führung der Maßnahmen aus §§9 1666, 1838, 
sofern nicht das landesrechtliche FE Gesetz ein- 
greift, auf Vereinshilfe angewiesen, die übrigens 
seitens der evang. Inneren Mission und der kath. 
Vinzenzvereine reichlich geboten wird (vgl. Sta- 
tistikder Deutschen Rettungshaus= und EVereine, 
erhältlich durch die Zentrale für Innere Mission, 
Berlin). Vereinshilfe ist namentlich dann nötig, 
wenn das Vormundschaftsgericht nach § 1666 
Satz 2 „anordnet, daß das Kind zum Zwecke der 
E in einer geeigneten Familie oder einer Besse- 
rungsanstalt untergebracht wird“. 
Haben Vater und Mutter das Sorgerecht nicht, 
so kann die Anordnung auch ohne ein Verschulden 
erfolgen. Das Vormundschaftsgericht kann, jedoch 
nur um eine Gefahr für das geistige oder leibliche 
Wohl des Mündels zu beseitigen, anordnen, daß 
der Mündel zum Zwecke der E in einer geeigneten 
Familie oder in einer Enstalt oder einer Besse- 
rungsanstalt untergebracht wird. Steht dem Va- 
1) In den deutschen Schutzgebieten kommen die pri- 
vat- und strafrechtlichen Vorschriften der Reichsgesetze und der 
nachstehend für Preußen ausge führten Gesetze zur Anwendung 
(119 Kons # v. 7.4.00, 33 Schutzgeb G v. 10. 9. 00). Je- 
doch werden gerade auf diesem Gebiete Vorschriften außer 
Anwendung bleiben mücssen, insoweit es noch an den Ein- 
richtungen fehlt, die sie voraussetzen (1 20 Kons# G). 
(Herausgeber.) 
  
  
ter oder der Mutter die Sorge für die Person des 
Mündels zu, so ist eine solche Anordnung nur un- 
ter den Voraussetzungen des # 1666 zulässig 
(*5§ 1338 BGB). Das Vormundschaftsgericht ver- 
fährt von Amts wegen, sobald es von einem Ge- 
fährdungsfalle Kenntnis erhält. Ihm diese Kennt- 
nis zu geben, ist jedermann befugt. Ver- 
pflichtet sind jedoch nach Reichsrecht nur die 
Inhaber der elterlichen oder der vormundschaft- 
lichen Gewalt (Vormund, Pfleger, Beistand) und 
der Gemeindewaisenrat. Das Verfahren ist form- 
los und wickelt sich nach den Bestimmungen des 
Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit ab. 
Das F## regelt auch die sachliche und örtliche 
Zuständigkeit. Die Anordnung des Vormund- 
schaftsgerichts bedarf keiner bestimmten Form. 
Ueblich ist die Form eines Beschlusses. Die Wirk- 
samkeit der Anordnung beginnt mit ihrer form- 
losen Bekanntgabe an die betroffene Person. 
Verkündung oder Zustellung sind üblich. Be- 
schwerdeberechtigt ist jeder, dessen Recht durch die 
Anordnung beeinträchtigt wird (Vater, Mutter, 
Vormund, Lehrherr) und jeder, der ein sachliches 
Interesse daran hat, die E des Minderjährigen in 
der richtigen Bahn zu wissen (Popularbeschwerde: 
Seelsorger, Lehrer, Armenbehörde, Waisenrat, 
FAusschuß, der uneheliche Vater). 
11. Die Ausführung der reichsprivat- 
rechtlichen FE erfolgt in Familien oder Anstalten. 
Solange geeignete Familien vorhanden sind, ist 
für die gänzlich unverdorbenen Kinder Fami- 
lienerziehung vorzuziehen, da sie dort besser 
für das Leben vorbereitet werden können. Nur 
ganz kleine Anstalten, in denen sich eine Art von 
Familienleben herausbildet, sind ähnlich zu be- 
werten. Die Dauer der Maßregel wird je nach 
Bedarf vom Vormundschaftsgericht bestimmt. Es 
führt die Maßregeln nicht selbst aus, sondern ver- 
anlaßt den Vormund oder Pfleger, die Anordnung 
zu befolgen. Soweit Berufspflegschaften bestehen, 
kann die Ausführung auch dem Berufspfleger ob- 
liegen. Sofern die Unterbringung mit Hilfe der 
Armenverwaltung erfolgt, bestimmt diese den 
Ort der Ausführung. Das Gericht kann eine 
Maßregel jederzeit ändern und eine anderweite 
Unterbringung verfügen. Ob diese Verfügung 
ausführbar ist, hängt von den zu Gebote stehenden 
Geldmitteln oder von Vereinshilfe ab. Es ist ein 
weitverbreitetes Verfahren von Erziehern des 
Privatrechtes (Eltern, Vormündern, Pflegern), 
daß sie die Minderjährigen „abtreten“ d. h. auf 
ihre Rechte zugunsten von Klöstern oder Anstal- 
ten der inneren Mission verzichten. Diese Abtre- 
tungen entbehren jedoch der rechtlichen Grund- 
lage. Daher können die Erzieher jederzeit die 
Kinder wieder zurückfordern. Sie tun dies in der 
Regel zu der Zeit, in welcher die Kinder arbeits- 
fähig und daher zur geldlichen Unterstützung der 
Familie geeignet werden. Der Beweggrund ist 
meist Gewinnsucht und könnte ein Einschreiten 
gegen solche Erzieher aus § 1666 BG#B rechtferti- 
gen, denn es ist ein Mißbrauch, die in guten Hän- 
den befindliche E der Kinder aus egoistischen 
Gründen zu unterbrechen. Doch muß die Frage, 
ob Mißbrauch oder berechtigtes Verlangen vor- 
liegt, von Fall zu Fall geprüft werden. 
III. Die gleichen EMaßregeln, welche nach 
§ 1666, 1838 BG#B gegen den Willen der Eltern 
2erfolgen, können nach § 1631 Abs 2 auch mit ihrem
	        
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