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Gewerbegerichte (Einigungsamt)
mit mindestens vier Vertrauensmännern (je zwei
Vertrauensmänner der Arbeitgeber und der Ar-
beiter) besetzt sein. Die Vertrauensmänner brau-
chen nicht den Gew GBeisitzern entnommen zu
werden. Der Vorsitzende ist be fugt, ein oder zwei
unbeteiligte Personen als Beisitzer mit beraten-
der Stimme herbeizuziehen. Vorher hat er die
Parteien darüber zu hören. Regelmäßig sollen
nicht mehr als drei Vertreter jeder Partei vor
dem Einigungsamt auftreten.
Die zustande gekommene Einigung ist zu ver-
öffentlichen. Wenn eine Vereinbarung nicht her-
beizuführen ist, so hat das Einigungsamt einen
Schiedsspruch abzugeben, mit der Aufforderung
an die Parteien, sich binnen einer zu bestimmenden
Frist darüber zu erklären, ob sie sich dem Schieds-
spruch unterwerfen. Die Nichtabgabe dieser Er-
klärung gilt als Ablehnung der Unterwerfung.
Auch wenn die Parteien sich dem Schiedsspruch
unterwerfen, ist seine zwangsweise Durchführung
ausgeschlossen.
Stehen bei der Beschlußfassung über den
Schiedsspruch die Stimmen der Vertrauensmän-
ner der Parteien sich durchweg gegenüber, so
kann der Vorsitzende sich seiner Stimme enthal-
ten und feststellen, daß ein Schiedsspruch nicht
zu stande gekommen ist.
Das Ergebnis der Verhandlungen ist von
dem Vorsitzenden des Einigungsamts stets öffent-
lich bekannt zu machen.
Wenn bei der Streitigkeit ausschließlich
Innungsmitglieder und deren Arbeiter be-
teiligt sind, und für die Innung ein besonderes
Einigungsamt besteht, dessen Zusammensetzung
und Tätigkeit entsprechend den Vorschriften des
GewGG durch Statut geregelt sind, so ist das
Gew G als Einigungsamt unzuständig. Es wird
aber als Einigungsamt zuständig — trotz des
Vorhandenseins eines Innungseinigungsamts —
sobald es von Innungsmitgliedern und deren
Arbeitern angerufen wirdt).
Neben den Einigungsämtern sind die von den
Parteien durch die Tarifverträge eingesetzten
Schlichtungskommissionen — auch
Tarifkommissionen, Tarifausschüsse, Tarifüberwa-
chungskommissionen, Tarifämter usw. genannt —
zu erwähnen. Sie entlasten erheblich die Eini-
gungsämter und dienen zur Auslegung, Ausbrei-
tung und Durchführung, oft zur Verbesserung und
Fortbildung der Tarifverträge [XI. Diesen Kommis-
sionen überträgt man hin und wieder auch Ent-
scheidungen entweder gemäß § 72 des Gew
oder gemäß §s 1025 ff der 8PO (Gewerbe= und
Kaufmannsgericht 13, 367 ff und 14, 44 ff; Vhdl
des 29. Deutschen Juristentags 2, 254 und
258).
Die gewerbegerichtlichen Einigungsämter kön-
nen von den Parteien zu Schiedsgerichten gemäß
88 1025 ff ZPO berufen werden, hören dann
aber auf, Einigungsämter im Sinne des GewGG
zu sein. (Dazu v. Schulz, Zur Entwicklung des
gewerblichen Einigungswesens in Deutschland;
Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung 1911
Heft 2 und Burchardt u. v. Schulz a. a. O.)
1) Ueber die Einigungsämter der Arbeitskammern nach
dem Entwurf eines Arbeitskammergesetzes siehe Vhdl des
29. deutschen Juristentags 2, 220 Anm., 261 und 262; serner
Gewerbe= und Kaufmannzgericht 15, 186 ff.
6. Als begutachtende und Anträge stellende
Behörde. Auf Ersuchen von Staatsbehörden oder
des Vorstands des betr. Kommunalverbandes
(Magistrat usw.) ist das GewE verpflichtet, Gut-
achten über gewerbliche Fragen abzugeben.
Es ist berechtigt, in gewerblichen Fragen An-
träge an Behäörden, an Vertretungen von
Kommunalverbänden und an die gesetzgebenden
Körperschaften der Bundesstaaten oder des
Reichs zu stellen. (Vgl. Burchardt u. v. Schulz).
&7. Sonderbestimmungen (Bergwesen, Rhein-
land). I. Die Errichtung von Berggewerbe-
" erichten, deren Zuständigkeit auf Streitig-
eiten der in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungs-
anstalten und unterirdisch betriebenen Brüchen
und Gruben beschäftigten Arbeiter mit ihren Ar-
beitgebern beschränkt ist, erfolgt durch Anordnung
der Landeszentralbehörde (s8 82). Das Verfahren
der Berg Gewcl regelt sich nach den Vorschriften
des GewEG. Der Vorsitzende und sein Stell-
vertreter werden von der Landeszentralbehörde er-
nannt. Die Kosten werden, soweit sie nicht durch die
Einnahmen gedeckt werden, vom Staate getragen.
II. 85 Gew G#G erwähnt die zugelassenen
landesgesetzlich bestehenden Gerichte wie die
rheinischen, elsaß-lothringischen Gewe und die
sächsischen Bergschiedsgerichte. Die rheinischen
Gerichte sind der Vorschrift des genannten # 85
entsprechend durch G v. 11. 7. 91 (GS 311) um-
gestaltet worden. Der Vorsitzende und seine Stell-
vertreter werden vom Reg Präsidenten ernannt.
Der Vorsteher der Gerichtsschreiberei ist vom
Gewc mit absoluter Mehrheit zu wählen. Wahl
und Entlassung müssen vom Reg Präsidenten ge-
nehmigt werden. Die Rechtsgültigkeit der Wahlen
der Beisitzer unterliegt der Entscheidung des Be-
zirksausschusses. Der Reg Präsident ernennt die
Beisitzer, sobald Wahlen nicht zustande gekommen
oder wiederholt für ungültig erklärt worden sind.
Der Bezirksausschuß entscheidet über die Enthe-
bung der Beisitzer aus dem Amte und zwar auf
Klage des Reg Präsidenten. Reisekostenentschädi-
gung und Entschädigung für Zeitversäumnis
werden durch ein vom Handelsminister und Justiz-
minister zu erlassendes Regulativ festgesetzt.
Die Gemeinden, in deren Bezirke das Gew
seinen Sitz hat, haben die Kosten für die Geschäfts-
räume und ihre Instandhaltung zu tragen. Die
sonstigen Kosten werden durch Zuschläge zur Gew-
Steuer der wahlberechtigten und ge werbesteuer-
pflichtigen Gewerbetreibenden des Bezirkes aufge-
bracht. Die der Genehmigung des Reg Präsidenten
unterliegende Umlage wird vom GewG besorgt.
Die Organisation und das Verfahren der Kal
Gewc der Rheinprovinz weicht somit in einzelnen
Punkten von der Organisation und dem Verfah-
ren der allgemeinen Gew# ab.
3s#8. Statistik. Gewerbegerichte (einschließlich der gemäß
*85 Gewch fortbestehenden) bestan den im Jahre:
1905 1908 1907 1908 1909
411 419 445 469 483
Dem Archiv des Verbandes der deutschen Gewerbe= und
Kaufmannsgerichte sind für Bayern zwei Berggewerbe-
gerichte (München, Zweibrücken) und für Braunschweig ein
Berggewerbegericht (Helmstedt) gemeldet, für Preußen fünf
Berghew G (Beuthen O.Schl., Waldenburg 1. Schl., Saar-
brücken, Aachen, Dortmund).
In Mecklenburg- Strelitz und in Waldeck besteht (1911)
noch kein Gewerbegericht.