Gefängniswesen
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teresse der Individualfreiheit auf alle Fälle das
Höchstmaß zu bestimmen oder die Strafbehand-
lung auf unbestimmte Zeit zuzulassen haben,
während die wirkliche Dauer dem Urteile eines
Aussichtsrats überlassen bliebe. — 7) Eine weitere
Forderung ist bessere Strafenökonomie, die Be-
seitigung oder doch Einschränkung der kurz-
zeitigen Freiheitsstrafen und deren
Ersatz durch Geldstrafen, durch Zwangsarbeit
ohne Einsperrung, durch Verstrickung und lokale
Verbannung. Auch Verweis mit Friedensbürg-
schaft für Wohlverhalten während bestimmter
Zeit wird als brauchbarer Ersatz kurzer Freiheits-
strafen empfohlen. Die Anschauungen gehen im
einzelnen noch sehr auseinander. Vgl. auch die
vorläufige Strafaussetzung mit Aussicht auf Be-
gnadigung und den Ersatz der Freiheitsstrafen
gegen Jugendliche durch Erziehungsmaßregeln.
Die Stellungnahme des Vorentwurfs zu einem
StGB vgl. in 14 ff und der Begründung dazu
IJ bedingte Begnadigung, Fürsorgeerziehungj.
5 5. Ressortverhältnisse. In der Mehrzahl
der Bundesstaaten ist das GWesen Sache der
Justizverwaltung, so in Bayern,
Baden, Hessen, Oldenburg, Meck-
lenburg. Auch in Württemberg ge-
hört es zur Justizverwaltung; die oberste Leitung
und Aussicht der Strafanstalten steht aber einem
dem Justiz Min unterstellten Kollegium zu, das
aus Beamten der Ministerien der Justiz und des
Innern, einem Finanzbeamten, zwei Geistlichen,
einem Arzte und einem Kaufmann zusammenge-
setzt ist (v. Holtzendorff und v. Jagemann 2 S 48
Nr. 4). In Braunschweig ist die Ober-
leitung und Beaufsichtigung sämtlicher G dem
Oberstaatsanwalt übertragen. Preußen und
Sachsen haben die Zuständigkeit geteilt
(oben # 1). In Preußen stehen die Strafanstalten
(32), in denen die Zuchthausstrafe vollstreckt wird,
sowie 21 größere G und 53 Kanton G unter dem
Min Inn, dagegen sind dem Justiz Min 1064 G,
darunter 14 große G unterstellt, z. B. für Berlin die
großen Stras G in Tegel und Plötzensee, das Unter-
suchungsG und die StadtvogteiG. Der Dualis=
mus ist ein großer finanzieller und organisatori-
scher Mißstand, der grundsätzlich und zweckmäßig
durch Zuweisung der gesamten Verwaltung an
die Justiz zu beseitigen sein wird, die übrigens
schon längst den größeren Teil des GWesens be-
sitzt.
Vgl. das Nähere bei v. Holtzendorff und v. Jage-
mann 1, 161; 2, 45. Wichern, Zur GReform,
1905 S 417 ff. Hamm, DJZ 1905 S 969. Klein,
Ger S 68, 213. A. M. Goldschmidt 391 ff.
§s 6. Die Beamtenschaft bei den einzelnen G
ist ie nach deren Größe sehr verschieden. Während
in den kleinen Gerichts Gaußer dem einem ande-
ren Hauptberufe (Richter, Staatsanwalt) ange-
hörenden Vorsteher vielfach nur ein Unterbeam-
ter (Gerichtsdiener) die Geschäfte unter Leitung
eines Inspektors im Nebenamte (Sekretär der
Staatsanwaltschaft oder Gerichtsschreiber) be-
sorgt, befindet sich bei den größeren Anstalten ein
umfangreiches Beamtenpersonal mit Abgrenzung
der Funktionen. Die preuß. G, welche für
1064 G in Geltung ist, kann als typisch in Betracht
kommen. Sie verlangt einen Vorsteher, einen
Inspektor und die erforderliche Anzahl von Unter-
beamten (Oberaufseher, Aufseher); bei größeren v
E können mehrere Inspektoren, Rechnungs= und
Kanzleibeamte, sowie Beamte für den technischen
und wirts aftlichen Betrieb angestellt werden.
Geistliche, Aerzte und Lehrer wer-
den nach Bedürfnis angestellt, oder es wird mit
ihnen durch Vertrag ein besonderes Abkommen
getroffen (vgl. noch unten §& 10).
Geistliche müssen in der Regel längere
Zeit und zwar in der Provinz, in welcher die An-
stalt liegt, an der sie eine Anstellung begehren,
selbständig ein Gemeindepfarramt verwaltet ha-
ben, in der Seelsorge und im Unterrichten erfah-
ren, sowie zur Führung der Schulaufsicht be-
fähigt sein. Ihre Aufgabe ist besonders: a) für
die Gefangenen ihrer Konfession nach den Ord-
nungen ihrer Kirche die Gottesdienste absuhalten,
die Sakramente zu verwalten und Seelsorge zu
üben, b) den Unterricht in der Religion und nach
Vorschrift der Aufsichtsbehörde auch in anderen
Fächern zu erteilen, den Schulunterricht und die
Verwaltung der Bücherei zu überwachen, e) den
auf die Gefangenen bezüglichen Briefwechsel mit
den kirchlichen Behörden, Fürsorgeorganen und
geeigneten Privatpersonen zu führen, d) an der
Fürsorgearbeit für die Gesangenen und deren
Familien sich zu beteiligen, e) die zum Tode Ver-
urteilten, sofern deren Hinrichtung in der Anstalt
stattfindet, vorzubereiten. — Auf Rabbiner finden
diese Bestimmungen sinngemäße Anwendung.
Die Aerzte werden meist aus der Zahl der
Medizinalbeamten genommen. Ist mit der An-
stalt eine Irrenabteilung verbunden, so muß der
Anstaltsarzt psychiatrisch ausgebildet und längere
Feit in einer Irrenanstalt tätig gewesen sein.
ie Aufgabe des Arztes ist: a) die Anstalt gesund-
heitspolizeilich zu überwachen, b) die Gefangenen
bei der Einlieferung zu untersuchen und das Er-
gebnis zu den Akten festzustellen, sie in Krank-
heitsfällen sachgemäß und kunstgerecht zu behan-
deln, auf Erfordern Gutachten über ihren Gesund-
heitszustand auszustellen, c) bei der Verhängung
von Disziplinarstrafen gegen Gefangene mitzu-
wirken, d) den Vorsteher in allen Fragen, die sch
auf den Gesundheitszustand der Gefangenen und
der Anstalt beziehen, sachverständig zu beraten,
e) das Lazarett zu leiten und die Handapotheke
zu verwalten.
Im Interesse eines planmäßigen und einheit-
lichen Strafvollzuges müssen auch Geistliche und
Aerzte dem Anstaltsvorsteher unterstellt und ihre
Dienstführung seiner Aufsicht unterworfen sein.
Selbstverständlich muß in rein technischen Ange-
legenheiten ihnen freie Hand gelassen werden,
solange ihre Maßnahmen mit den allgemeinen
Vorschriften, mit den Zwecken des Strafvollzugs
und mit der Ordnung der Verwaltung im Ein-
klange stehen (Krohne 533).
Die Geschäfte des Gefängnisvor-
stehers versieht der Erste Staatsanwalt oder
der aussichtführende Amtsrichter; für größere G
kann vom Justiz Min ein besonderer Direktor an-
gestellt werden. Die Geschäfte des Inspektors
werden durch einen besonderen Beamten oder
durch einen Bureaubcamten der Staatsanwalt-
schaft oder des Amtsgerichts versehen. Als Ge-
fangenaufseher werden entweder Gerichtsdiener
oder besondere Unterbeamte angestellt. Der
Dienstkreis anderer Beamter wird durch Bestim-
mungen für das einzelne G geregelt. Dem Vor-