Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
34 Geistliche (Evangelische Kirche) 
Aemter die Unfähigkeit zur Ausübung des geist- 
lichen, be zw. kirchlichen Amtes zur Folge, und der 
Verurteilte darf bei Vermeidung von Kriminal- 
strafe in Preußen nicht mehr geistliche Amts- 
handlungen (mit Ausnahme des Messelesens und 
der Spendung der Sakramente), in Hessen 
nicht mehr die Funktionen eines kirchlichen Amtes 
(wohl aber bloß vorübergehend einzelne kirchliche 
Handlungen) öffentlich ausüben. In Baden 
hat die Verurteilung zu den erwähnten ehrmin- 
dernden Strafen die schon 5& 5 bezcichneten Folgen, 
und Zuwiderhandlungen dagegen durch öffent- 
liche Ausübung kirchlicher Funktionen werden mit 
Gefängnis bestraft. Dagegen ist jetzt in Preu- 
ßen, in Baden (G v.ö. 7. 88 à 2) und Hes- 
sen die früher gesetzlich zulässige Absetzung der G. 
durch besondere Gerichtshöfe beseitigt. Für 
Preußen ist die Vorschrift des G v. 12. 5. 73 
24 (vgl. auch G v. 14. 7. 80 aà 1), daß gegen Kir- 
chendiener, welche die auf ihr Amt oder ihre geist- 
lichen Amtsverrichtungen bezüglichen Staats- 
gesetze oder die in dieser Hinsicht von der Obrig- 
leit innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit ge- 
troffenen Anordnungen so schwer verletzen, daß 
ihr Verbleiben im Amte mit der öffentlichen Ord- 
nung unverträglich erscheint, auf Antrag der 
Staatsbehörde durch gerichtliches Urteil auf Un- 
fähigkeit zur Bekleidung ihres Amtes erkannt 
werden kann, praktisch bedeutungslos geworden, 
weil der zur Entscheidung berufene Gerichtshof 
für die kirchlichen Angelegenheiten beseitigt und 
kein anderes Gericht mit dieser Kompetenz aus- 
gestattet worden ist (G v. 21. 5. 86 à 9), und in 
Baden ist der dieser Bestimmung nachgebildete 
a 3 § 164d des Gv. 19. 2. 74 durch G v. 5. 7. 88 
a 2 aufgehoben worden. 
Weitgehende Unterstützung hatte dieses Landes- 
recht seinerzeit durch das R v. 4. 5. 74 betr. die 
Verhinderung der unbefugten Ausübung von 
Kirchenämtern durch Aufenthaltsbeschränkungen, 
Entziehung der Staatsangehörigkeit und Aus- 
weisungsbefugnisse erhalten. Indessen wurde 
jenes durch R# v. 6. 5. 90 wieder aufgehoben. 
B. Evangelische Kirche 
8 9. Die in den #s# 2 ff angeführten Gesetze 
Preußens, Badens und Hessens be- 
ziehen sich auch auf die evangelische Kirche. Es 
kommen also die in §5 2—8 erwähnten Vorschriften 
ebenfalls für die evangelischen G. zur Anwen- 
dung, wenngleich die Vorschriften über die Not- 
wendigkeit des Reichsindigenats und der wissen- 
schaftlichen Vorbildung überflüssig sind, da diesen 
Erfordernissen schon nach dem kirchlichen Recht 
genügt werden muß. Von geistlichen Bildungs- 
anstalten kommen allein die für die praktische Aus- 
bildung bestimmten Predigerseminare in Betracht, 
und für diese allein sind die Vorschriften über die 
staatliche Aufsicht von Bedeutung (in Preußen 
finden auf sie die §§ 9 ff des G v. 11. 5. 73 An- 
wendung, da a 4 des G v. 21. 5. 86 für sie nicht 
zutrifft). Kraft positiver Vorschrift fällt aber in 
Preußen das staatliche Einspruchs- 
recht fort, wenn die Anstellung evangelischer 
G. durch Behäörden erfolgt, deren Mitglieder 
sämtlich vom Könige, wie die der Konsistorien oder 
des Oberkirchenrates ernannt werden (G v. 11. 5. 
73 § 28). Es hat demnach für die evangelische 
  
  
Kirche allein in den singulären Fällen Geltung, in 
welchen die Anstellung von standesherrlichen oder 
städtischen Mediat-Konsistorien ausgeht, oder die 
G., wie in manchen reformierten Gemeinden, 
unter Leitung der Presbyterien gewählt werden. 
Abgesehen von Elsaß--Lothringen — 
hier werden die Pfarrer vom Statthalter bestätigt 
—— bestehen außer dem staatlich vorgeschriebenen 
Erfordernis der Reichsangehörigkeit für Bayern 
und Elsaß- Lothringen keine besonderen 
staatlichen Normen (die zitierten Gesetze von 
Württemberg und von Sachsen beziehen 
sich nur auf die katholische Kirche); denn die Bil- 
dungsanstalten stehen hier mit den staatlich beauf- 
sichtigten und geleiteten Universitäten in Zusam- 
menhang und die Anstellung der G. erfolgt teils 
durch die Landesherren selbst (in Bayern und 
Württemberg), teils durch die obersten 
landesherrlichen Kirchenregiments-Behörden (in 
Sachsen durch das Landeskonsistorium). 
II. Staatsschutz, Vereidigung, staatsrechtliche 
Stellung der Geistlichen 
# #u10. Staatsschutz. Die staatsgesetzlichen Be- 
schränkungen der allgemeinen kirchlichen Straf- 
gewalt kommen selbstverständlich auch den G. 
zu gut. Im besonderen genießen sie den Schutz 
gegen Mißbrauch der kirchlichen Disziplinar- 
gewalt. Dieser Schutz wird dargeboten teils 
durch materiellrechtliche Begrenzung der zulässi- 
gen Disziplinarstrafmittel, teils durch Sicherungs- 
maßregeln auf prozessualem Gebiet, teils endlich 
durch Aussichtsübung über den disziplinaren Straf- 
vollzug. 
a) Gewisse Disziplinar strafmittel sind 
überhaupt verboten, anderen ist staatsgesetzlich 
ein gewisses Maß gegeben. Zu jenen gehört 
körperliche Züchtigung (Preußen G v. 12. 
5. 73 3, Hessen Gv. 23. 4. 75 a 6). Zu die- 
sen gehören Freiheits= und Vermögensstrafe. 
Die Freiheitsstrafe darf nur in der Verweisung 
in eine deutsche Demeritenanstalt bestehen (s. u. c) 
und ein gewisses Zeitmaß nicht übersteigen: 3 
Monate in Preußen (l. c. 5) und Hessen 
(1I. c. àa 6), 6 Wochen in Württemberg (G 
v. 30. 1. 62 à 6). Die Verpflichtung, verhängte 
Freiheitsstrafen der Staatsbehörde zur Kenntnis 
zu bringen, ist durch die Novellengesetzgebung 
wieder aufgehoben. Geldstrafen dürfen überein- 
stimmend in Preußen (l.c. #§ 4) und Hessen 
(I. c. à 6) nicht den Betrag von 90 Mark oder, 
wenn das einmonatliche Amtseinkommen höher 
ist, nicht diesen Betrag übersteigen; in Württem- 
berg (l. c. a 6) nicht den Betrag von 40 Gul- 
den. Teilweise muß auch von höheren Geldstrafen 
innerhalb des gesetzlich zulässigen Maßes der 
Staatsbehörde Anzeige erstattet werden. 
b) Als Sicherungsmaßregeln auf prozessua- 
lem Gebiet kommen namentlich die Bestimmun- 
gen des angef. Preuß. G #2 in Betracht: 
„Kirchliche Disziplinarstrafen, welche gegen die 
Freiheit oder das Vermögen gerichtet sind, dür- 
fen nur nach Anhörung des Beschuldigten ver- 
hängt werden“. „Der Entfernung aus dem Amte 
(Entlassung, Versetzung, Suspension, unfrei- 
willige Emeritierung usw.) muß ein gcordnetes 
prozessuales Verfahren vorausgehen“. „In allen 
diesen Fällen ist die Entscheidung schriftlich unter
	        
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