Geistliche
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Angabe der Gründe zu erlassen.“ Diese prozessua- dem Geistlichen bekleideten Kirchenamtes und der
len Garantien festzuhalten und in dem strengen
Sinne auszulegen, welcher allein ihrem gerechten
Zwecke entspricht, hat gegenüber der neuesten
Entwickelung des päpstlichen Rechts der Staat
besonderen Grund. Durch Dekret der Congre--
gatio consistorialis v. 20. S. 1910 (A. S. A. II, 16),
ist die amotio administrativa eingeführt. Die
hier geordnete Entfernung der katholischen Pfarrer
auf dem Verw Wege widerspricht aber dem Preu-
Hhischen Staatsgesetz. Das Dekret bestreitet zwar
ausdrücklich den disziplinarischen Charakter seiner
Amotion. Da sie aber in ihrer Wirkung auf die
Rechtslage des Geistlichen durchaus die Folgen
schwerer Disziplinarstrafe haben kann, so ist
jene Bestreitung für das staatliche Gebiet ohne
praktischen Belang. Das Wesen eines „geord-
neten prozessualen Verfahrens“ besteht in dem
uneingeschränkten rechtlichen Gehör und der un-
beschränkten materiellen Verteidigung durch Füh-
rung des Entlastungsbeweises. Beides ist durch
das päpstliche Dekret nicht im Sinne der Staats-
gesetzgebung gewährleistet. Alles ruht im letzten
Grunde beim freien Ermessen des Bischofs. Kon-
flikte zwischen Staat und Kirche an diesem Punkte
sind daher in Zukunft nicht ausgeschlossen, soweit
nicht, wie in Bayern, eine ausdrückliche
Plazetierung des Dekrets erfolgt ist.
Auch in der evangelischen Kirche Preu-
FfFens ist in jüngster Zeit durch das in §& 1 schon
genannte KG v. 26. 3. 10 ein bestimmter Aus-
schnitt des bisherigen Disziplinargebietes neu
geregelt worden: die Irrlehre von Geist-
lichen. Wegen Irrlehre findet ein disziplinares
Einschreiten nicht mehr statt. An seine Stelle ist
ein „Feststellungsverfahren“ getreten darüber,
ob „ein Geistlicher in seiner amtlichen oder außer-
amtlichen Lehrtätigkeit mit dem Bekenntnis der
Kirche dergestalt in Widerspruch getreten ist, daß
seine sernere Wirksamkeit innerhalb der Landes-
kirche mit der für die Lehrverkündigung allein
maßgebenden Bedeutung des in der hl. Schrift
verfaßten und in den Bekenntnissen bezeugten
Worte Gottes unvereinbar ist“. Jene Feststel-
lung wird von einem Spruchkollegium getroffen,
welches in der Gesamtzahl von 13 aus Vertre-
tern des Kirchenregiments, der Synoden und der
theologischen Wissenschaft zusammengesetzt ist.
Das Verfahren gliedert sich in ein vorbercitendes
Verfahren und eine mündliche Verhandlung.
Diese findet unter beschränkter Oeffentlichkeit
statt. Zwei bestellten Mitgliedern des Gemeinde-
kirchenrates und einem Vertreter des Patrons
muß der Zutritt gestattet werden. Der Geistliche
kann sich zweier Beistände aus der Zahl der akti-
ven landeskirchlichen Geistlichen, deutscher Univer-
sitätslehrer der Theologie oder des Kirchenrechts
bedienen. Für den Geistlichen besteht volle Frei-
heit der Beweisführung. Die Feststellung der
Unvereinbarkeit kann nur mit einer Mehrheit von
zwei Dritteln erfolgen; zur Beschlußfähigkcit ist
die Anwesenheit sämtlicher Mitglieder erforder-
lich. Der Spruch ist mit Gründen zu versehen nach
Maßgabe des Staats G v. 12. 5. 73 5+ 2 Abs 3.
Die Feststellung enthält keinen Schuldspruch.
Sie zieht daher auch keine Strafe nach sich. Die
an den Feststellungsspruch sich knüpfenden Wir-
kungen ergeben sich kraft objektiven Rechts.
Kraft des Gesetzes tritt die Erledigung des von
– — — –
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Wegfall der Rechte des geistlichen Standes ein.
Dem Geistlichen wird ein Jahrgeld im Betrage
des gesetzlichen Ruhegehaltes gewährt; die Wie-
derbeilegung der infolge einer Feststellung ver-
loren gegangenen Rechte des geistlichen Standes
bleibt vorbehalten. Mit dieser Ordnung tritt das
neue Verfahren bei Beanstandung der Lehre
eines Geistlichen mit der Staatsgesetzgebung an
keinem Punkte in Widerspruch, da es mit allen
staatlich erforderten Garantien der Unparteilich-
keit ausgestattet ist. Die kirchenrechtliche Würdi-
gung steht hier nicht in Frage.
c) Der Vollzug bkirchlicher Disziplinar-
strafen unterliegt der Staatsaufsicht. Zwar findet
eine Bestätigung kirchlicher Disziplinarentschei-
dungen durch den Staat nicht mehr statt. Wohl
aber findet eine Vollstreckung solcher im Wege der
Staatsverwaltung nur dann statt, wenn sie nach
erfolgter Prüfung der Sache für vollstreckbar er-
klärt worden sind (in Preußen durch den Ober-
präsidenten, l. c. 3 9, für Bayern vgl. RelEd.
71 vb. & 51). Insbesondere sind die Demeri-
tenanstalten der staatlichen Aufsicht unter-
worfen. Der Charakter als reiner Strafanstalten
wird von staatlicher Seite freilich nicht anerkannt.
Die „Verweisung“ wird nur als „dienstliche An-
weisung des Aufenthaltsortes“ zugelassen (vgl.
Mot z. Preuß. G v. 12. 5. 73 in der Ausgabe
von Hinschius). Daher „darf die Vollstreckung
wider den Willen des Betroffenen weder begon-
nen noch fortgesetzt werden“ (Preuß., l. c. 5
Abs 2, Württb. Gv. 30. 1. 62 a 6 Abs 2). Die
schon oben genannte Frist von 3 Monaten bildet
jedenfalls nach Preuß. Recht eine Schranke für
die Ausübung der kirchlichen Disziplinargewalt.
Es darf also von vornherein nicht eine Verweisung
auf längere Zeit stattfinden. Es müssen ferner
alle Demeriten nach Ablauf dieser Zeit entlassen
werden. Diese gesetzliche Vorschrift kann nicht
durch freiwilliges längeres Verbleiben umgangen
werden. Anders natürlich dann, wenn die Ver-
weisung in die Anstalt nicht aus Gründen der
Disziplin, sondern als Versorgungsmaßregel er-
solgt war und die Anstalt gleichzeitig als Eme-
ritenanstalt benutzt wird. Die konkrete
Staatsaufsicht über die Demeritenhäuser wird in
Preußen durch den Oberpräsidenten und den
Kultusminister ausgeübt (Dienst Instr v. 31. 12.
1825, Kab O v. 27. 10. 1810, 3. 11. 1817, Gv.
21. 5. 86 àa 8). Hiernach sind letzterem die Statu-
ten und die Hausordnung der Demeritenanstalten
einzureichen, sowie die Namen ihrer Leiter mit-
zuteilen. Am Schlusse jedes Jahres ist ein Ver-
zeichnis der Demeriten nach Namen, erkannten
Strafen, sowie Zeit der Aufnahme und Entlassung
einzureichen. Der Oberpräsident ist nach § 8
des G v. 12. 5. 73 befugt, die Befolgung dieser
Vorschriften und der hiernach erlassenen Ver-
fügungen durch Geldstrafen bis 3000 Mark zu
erzwingen und diese zu wiederholen, bis dem
Gesetze genügt ist. Außerdem kann die Demeriten-
anstalt geschlossen werden. Während in Sach-
sen Verweisung in eine Demeritenanstalt nicht
gestattet ist, läßt in Württemberg das Auf-
sichtsG v. 1862 a 6 Abs 4 „Einberufung in das Bes-
serungshaus“ zu, verpflichtet aber bei einer Einbe-
rufung über 14 Tage zur alsbaldigen Mitteilung
an die Staatsbehörde. Soweit der oben erwähnte
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