Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

der deutschen Regierung Truppen zu stationieren 
sowie andere militärische Maßnahmen zu treffen. 
Auf Grund dieser Bestimmungen sahen Rehm 
(Staatslehre 82) und Jellinek (DIZ 3, S 253 
und 305) das K.G als chinesisches Staatsgebiet 
an, auf dem Deutschland fremde Hoheitsrechte 
ausübe, während Pohl (Die Ueberlassung von K.) 
sogar dem Reiche nur das höchstpersönliche Recht 
zuerkennt, das Pachtgebiet in seinem Interesse 
zu benutzen und zu verwalten. Indes verkennt 
diese Auslegung die große Bedeutung der völker- 
rechtlichen Etikette; sie führt bei Staatsverträgen 
noch mehr als bei privaten Rechtsgeschäften zu 
einer Umschreibung des von beiden Teilen ge- 
wollten, aus Gründen der inneren und äußeren 
Politik aber nicht unumwunden ausgesprochenen 
Vertragszweckes und bewirkt, daß vielfach der 
wirkliche Wille der Parteien nur unter Beiseite- 
lassung des buchstäblichen Sinnes erforscht wer- 
den kann. Der politische Grund der Erwerbung 
von K. liegt in den vom Deutschen Reiche der 
Chinesischen Regierung während des chinesisch- 
japanischen Krieges vor dem Frieden von Shi- 
monoseki (1895) geleisteten guten Dienste. Daß 
das Reich an dem „Pachtgebiete“ die volle Sou- 
veränität erlangen wollte, ist nicht nur nach dem 
politischen Zwecke der Erwerbung (Handels= und 
Flotten-Stützpunkt) anzunehmen, sondern hat 
auch im Vertrage Ausdruck gesunden. Ein Pacht- 
zins ist nicht verabredet; will Deutschland vor Ab- 
lauf der Pachtzeit das G an China zurückgeben, 
so hat dieses ihm nicht nur die gemachten Auf- 
wendungen zu ersetzen, sondern auch einen ande- 
ren, besser geeigneten Platz zu gewähren; die ver- 
abredete Pachtdauer ist ausdrücklich als „vor- 
läufig“ bezeichnet. Wer auf den Ausdruck „Pacht“ 
das entscheidende Gewicht legt, muß konsequenter- 
weise annehmen, daß Deutschland am Grund und 
Boden in K. nur private Rechte erlangt hat; denn 
das im chinesischen Text dafür gebrauchte Zeichen 
(tsu) ist dasselbe, was auch bei der Ueberlassung 
der sogenannten „Settlements“ (Fremden-Nieder- 
lassungen in den offenen Häfen Chinas) verwen- 
det ist, obgleich nicht zu bezweifeln ist, daß die 
völkerrechtliche Stellung Deutschlands in K. an- 
ders sein sollte, als in den allen Nationen offenen 
Vertragshäfen. Bei der Wahl des Auedrucks ist 
wohl weniger (wie Jellinek und Peters anneh- 
men) der englische Rechtsbegriff des „perpetual 
lease“ maßgebend gewesen, als der Wunsch billi- 
ger Rücksichtnahme auff chinesische Empfindlichkeit 
und die konfuzianische Auffassung, welche die 
völlige Ausgabe des Grundeigentums als die 
Fortsetzung der Ahnen-Opfer gefährdend und des- 
halb pietätlos mißbilligt und sie daher in den Fäl- 
len, wo sie nicht vermieden werden kann, in an- 
dere Formen (Verpachtung oder Verpfändung) 
kleidet. Deswegen enthalten die von China früher 
mit fremden Mächten abgeschlossenen Verträge 
bezüglich der Uebertragung von Privateigentum 
stets die Klausel, daß Ausländer Grundstücke nur 
„pachten" können; in den darauf beruhenden 
schriftlichen Privatverträgen wird der Ausdruck 
„auf ewige Zeit verpachten“ gebraucht, worauf 
tatsächlich volles Eigentum am Grundstücke über- 
geht (uvgl. zum vorstehenden Franke, Rechtsver- 
hältnisse am Grundeigentum in China 49ffa, 
74 ff). Wenngleich im Anschluß an den Wortlaut 
des Vertrages das K.G im Verkehr mit den chine- 
Kiautschon 
  
  
  
505 
sischen Behörden als „Pachtgebiet“ bezeichnet 
wird, ist es doch staats- und völkerrecht- 
lich deutsches Schutzgebiet in dem- 
selben Sinne wie die anderen deutschen Kolonien, 
und Deutschland übt in K. nicht etwa als Beauf- 
tragter oder Vertreter Chinas fremde Hoheits- 
rechte auf chinesischem Boden aus, sondern hat 
über das Gebiet die volle, wenn auch formell zu- 
nächst zeitlich begrenzte Souveränität erworben 
(übereinstimmend: v. Stengel, Rechtsverhältnisse 
der deutschen Sch G 1901 S 22; v. Liszt, VR 105; 
Laband 2, 274; Köbner, Kol.-Recht 1087; Pe- 
ters, Stellung der Eingeborenen 45 ff). 
Entsprechend ist durch Kaiserl. Erl v. 27. 4. 98 
K. in derselben Weise wie vie anderen Kolonien 
zum „Schutzgebiete“ erklärt und es sind seither 
die Verhältnisse autonom und unter ausdrücklicher 
Bezugnahme auf das Schutzgebietsgesetz von der 
deutschen Regierung geordnet worden. Das in 
dem allgemeinen Artikel „Schutzgebiete“" über die 
staats- und völkerrechtliche Stellung der Kolonien 
Gesagte gilt daher auch für K. Insbesondere gilt 
dort bezüglich der Gerichtsbarkeit uneingeschränkt 
das Territorialprin3zip und es stehen weder die 
in K. lebenden Ausländer unter der Jurisdiktion 
ihrer Konsuln, noch gehört K. in irgendeiner 
anderen Beziehung zu einem der in China liegen- 
den Konsulatsbezirke. Die in K. tätigen fremden 
Konsuln bedürfen des Exequatur der deutschen 
Regierung. Bislang haben die Vereinigten Staa- 
ten von Amerika, Rußland und Großbritan- 
nien Konsulate in Tsingtau errichtet. In Ange- 
legenheiten lokaler Bedeutung verkehrt übrigens 
das Gouvernement direkt mit den chinesischen 
Behörden der Provinz Schantung. 
Keiner der von Deutschland abgeschlossenen 
kolonialen Auslieferungsverträge bezieht sich auf 
K. Für die Auslieferung und Nacheile im Ver- 
hältnis zwischen K. und China wird jedoch a 32 
des Freundschaftsvertrages mit China v. 2. 9. 61 
(Preuß. GSamml 1863, 265; Zusatz-Konvention v. 
31. 3. 80, RGBl 1881 S 261) als maßgebend an- 
zusehen sein (ebenso Fleischmann, Auslieferung und 
Nacheile nach deutschem Kolonialrecht 15; Peters, 
Stellung der Eingeborenen 43). Danach ist China 
zur Auslieferung von deutschen Deserteuren ver- 
pflichtet, während an seine Behördenchinesische Ver- 
brecher ausgeliefert werden sollen, die in Häuser 
oder auf Schiffe deutscher Untertanen flüchten. 
Tatsächlich findet zwischen beiden Teilen eine 
noche weitergehende Auslieserung statt; vgl. un- 
ten 83. 
Die sogenannte 50--Kilometer- 
Zone ist nicht Interessensphäre /II 
im völkerrechtlichen Sinne. Weder ist das Gebict 
herrenlos oder im Eigentum eines zur Gemein- 
schaft der Kulturstaaten nicht gehörigen Stammes, 
noch beabsichtigt das Deutsche Reich durch dic dort 
von ihm erworbenen Rechte die spätere Besitz- 
ergreifung vorzubereiten. Vielmehr handelt es 
sich um ein der Souveränität Chinas unterliegen- 
des G, an dem Deutschland gewisse völkerrecht- 
liche Dienstbarkeiten hat (so Köbner, Kol.Recht 
1078). Selbstverständlich unterliegt die chinesische 
Hoheit auch in dieser Zone den Beschränkungen, 
welche China für sein gesamtes Gebiet im Ver- 
kehr mit den zur Kulturgemeinschaft gehörigen 
Staaten zufolge völkerrechtlicher Uebung oder 
auf Grund besonderer Staatsverträge sich ge-
	        
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