Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Politik 
89 
  
Völker unter dem Druck der Not zu empirischer 
Aktion, zur virtus im Sinn des Willens zu Lei- 
stung und Machtentfaltung erzogen werden, 
im Besitz solcher Sicherheit wieder erschlaffen, 
um durch Erneuerung der Verfassung, ordine, 
frischem Aufstieg entgegengeführt zu werden 
(Wilh. Mayer, Machhiavellis Geschichtsauffas- 
sung, 1913). Von Giovanni Battista Vico werden 
diese Gedanken in dem mehr optimistischen Sinn 
einer stetig aufsteigenden Entwicklung ausgebaut 
(NKleimm, G. B. Vico, 1906). Von da ab gehen 
die metaphysische und die geschichtsphilosophische 
Konstruktion des politischen Lebens neben- 
einander her. Das zeigt sich am deutlichsten, als 
das Aufklärungszeitalter, das 18. Jahrh., mit 
seinem Kultus der Vernunftreligion, der Ver- 
srandesbelehrung und einer ästhetisierenden Mo- 
ral als des ausschließlichen Hebels scelischer Vervoll- 
kommnung die Gebildeten Europas in eine 
gleichförmige Grundstimmung versetzt, die zu- 
gleich — zum erstenmal wieder seit der Antike 
(5s 2, 3) — eine Anteilnahme breiter Schichten 
an politischen Problemen erregt. Die Blütezeit 
der Aufklärung wird durch einen logisch-meta- 
physisch arbeitenden Politiker, John Locke (two 
treatises of government, 1689) und einen ge- 
schichtsphilosophischen Autor, Montesquieules- 
prit des lois, 1748) begrenzt, die zwei Schrift- 
stellertypen von ausgeprägter Verschiedenheit 
darstellen. Während Locke sein Staatsschema aus 
der gemeinsamen Anlage der menschlichen 
Individuen als der Zugehörigen einer 
Gattung, der Menschheit, rein psychologisch 
ableitet, arbeitet Montesquien mit der lebendigen 
Fülle historischer Einzelbeobachtung, stellt er in 
den Mittelpunkt die Verschiedenheit des 
durch Wohnsitz, Klima, Lebensweise bedingten 
nationalen Charakters und die da- 
durch beeinflußte Verschiedenheit der Staatsverfas- 
sung. Aber trotzdem treffen sie in den Idealen 
eines besten Staates zusammen, — in dem 
Schema der konstitutionellen Mon- 
archie, der Teilung der Gewal- 
ten zwischen Königtum und Zweikammer- 
Parlament, die allein die Herrschaft der Gesetze 
  
  
  
und die ausgedehnte Freiheitssphäre des Indivi-- 
duums gewährleisten kann. In Rousseau, der 
miit dem Appell an die Empfindung diese Herrschaft 
der Verstandesaufklärung durchbricht (discours 
sur Pinégalité des hommes, 1756; contrat so- 
cial, 1764), durchkreuzen sich beide Betrachtungs- 
weisen; in seinen aus Extremen gemischten Fol- 
gerungen triumphiert der Subjektivismus. 
6 8. Anfänge einer kritischen Politik: David 
Hume. Eine moderne P. begann in diesem Augen- 
blick. Das Bedürfnis erwachte, in theoretischer 
Hinsicht die Unsicherheit der wissen- 
schaftlichen Grundlagen und zu- 
gleich in praktischer Hinsicht die einseitig- 
varteidoktrinäre Tendenz, das 
Streben nach dem allgemeingültigen Ideal eines 
„besten Staats“ zu überwinden auch (X Staats- 
romane]. Beide Bedürfnisse, bewußt sich verei- 
nigend, bilden das Grundmotiv der „politi- 
schen Essays“ David Humes. 
Die Essahs (Essays moral and political I 1741, II 1742, 
  
III, unter dem Titel: Political Discourses, 1752; in der 
nahme zu den akuten Problemen des realen 
neuen Ausgabe in den „Phllosophical Works of David 
Hume“, von Green und Grose, vol. III, zuletzt 1907. Be- 
sonders beachtlich die hier zum erstenmal abgedruckte Vor- 
rede des Autors zur ersten Auflage) stammen aus der 
Zeit, in der England noch unter den Nachwehen der beiden 
großen Revolutionen stand und unter der Leitung Robert 
Walpoles (1726—42) vergeblich zu festen Verhältnissen 
durchzudringen strebte. Während des 17. Jahrh. hatte sich 
die in den Grasschaften und im Parlament herrschende, 
aristokratische Klasse, die ländliche und städtische Großgrund- 
besitzer. Oligarchie im Kampf um die absolutistische P. der 
Krone in die beiden großen Parteien gespalten, in die roya- 
listischen, streng staatskirchlichen oder katholisierenden Ca- 
valiere, Torles, die verfassungstreuen, freikirchlichen oder 
calvinistischen Rundköpfe, Whigs. In ihrer Spaltung waren 
sie ihrerseits von unten her durch die demokratisch-republi- 
kanischen, fanatisch-calvinistischen (presbyterianischen) oder 
sektirerischen Mittel- und Unterklassen, die bürgerlichen und 
bäuerlichen Schichten, bedroht worden. Diese Krisis hatte die 
beiden Adelsparteien schon 1660 bei der Restauration und nach 
Erneuerung des Parteikampfs nochmals bei der zweiten 
Berjagung der katholischen Dunastie (1688) zum Zusammen- 
schluß gebracht. Damit hatte sich der Parlamentsadel den 
Sieg gesichert. Die Krone blieb erhalten, aber sie blieb ge- 
schwächt, die Mittelklasse erhielt Toleranz, aber keine politi- 
schen Rechte. Kaum war der Adel unter der hannöv. Dynastie 
im Besitz der Herrschaft, waren die alten Parteiungen wie- 
der aufgelebt und neue dazu entstanden, und in diesen Partei- 
sehden, tatsächlich zum größten Teil der Kampf macht- 
eifersüchtiger Familienkoterien ohne sachliches Interesse, 
figurierten auch die alten Schlagworte der politischen Philo- 
sophen weiter, das Axiom des „passiven Gehorsams“, das 
aus der autoritativen Lehre vom „göttlichen Recht der 
Könige“ abgeleitet wurde, oder das „Recht des Widerstands“, 
das sich aus der individualistischen Konstruktion des Urver- 
trages folgern ließ. Das Entstehen „politischer Wochenschrif- 
ten“, liberaler, des „Tatler““ „Spectator“ (1710/11) und 
konservativer, wie des „Craftsman“ (1727) trug in Ver- 
bindung mit hefi#gen konfessionellen Zwistigkciten dazu 
bei, gerade diese dogmatische Seite in der öfsentlichen Dis- 
kussion stark hervortreten zu lassen. Hiergegen wendeten sich 
Humes Essays. 
Hume hatte schon in seiner Jugendschrift durch 
logische Untersuchungen mit aller Schroffheit für 
die Ueberzeugung zu kämpfen begonnen, daß die 
metaphysische und positiv religiöse Betrachtungs- 
weise jedes Erkenntniswerts entbehre und nur 
zu Unduldsamkeit führe. Die Essays wendeten 
diesen theoretischen Hauptgedanken auf die 
„npeculative systems of politics“ an (essay II. 
13 p. 460). Aber in der Anwendung ließ er sich 
zugleich von der ausgesprochenen Absicht leiten, 
„moderation and impartiality“ in die Mcthode 
der Behandlung politischer Gegenstände einzu- 
führen, und während er sich äußerlich an die 
„Weckly Papers“ mit der Tendenz anschloß, 
die „designe both of the Spectators and Crafts- 
men“ zusammen zu fassen, setzte er sich zum ziele, 
die Parteileidenschaft zu unterdrücken, gegenüber 
dem Widerspruch der Extremen („bigots“), die 
„Gemäßigten beider Parteien“ 
zu sammeln. In diesen Schlußworten seiner 
Vorrede deutet freilich Hume schon selbst an, daß 
auch seine „unparteiische“ P. keineswegs als eine 
farblose, den praktischen Aufgaben gegenüber 
gleichgültige Betrachtung gemeint ist. Im Ge- 
genteil soll die unphilosophische, dogmenfreie 
Prüfung der Bedürfnisse und Phänomene des 
Staats und Staatsrechts überall einer Stellung- 
Staatslebens vorarbeiten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.