Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Polizei (I. Begriff und Hauptarten) 97 
  
der christlichen Religion und guten Polizei"), 
derart, daß daraufhin z. B. auch mancherlei pri- 
vatrechtliche Vorschriften in die Reichs PolOrd- 
nungen Aufnahme finden konnten. Im weiteren 
Verlauf der Entwicklung wurden ferner die aus- 
wärtigen Angelegenheiten, die Justiz („reformatio 
justitiae et politiae“ im Westfälischen Frieden), 
das Heerwesen und schließlich auch das Finanz- 
wesen (status deconomicus, cameralia) vom Pol- 
Begriff ausgeschlossen. Uebrig blieb ungefähr 
dasjenige, was wir heut als „innere Verwaltung“ 
bezeichnen: jede außerhalb der ausgeschiedenen 
Tätigkeitsgebiete auf die Sicherheit und die Wohl- 
fahrt der Gesamtheit unmittelbar gerichtete 
Staatstätigkeit. Unmittelbar: denn im geraden 
Gegensatz zum ursprünglichen Begriff der Ko### 
wurden auch noch die den Behörden der inneren 
Verwaltung obliegenden verfassungsrechtlichen 
Hilfstätigkeiten, insbesondere die Landesgrenz- 
und Staatsangehörigkeitssachen, sowie die Auf- 
sicht über die öffentlichen Verbände im Staate, 
zu denen heut die Geschäfte der politischen Wahlen, 
die Besetzung der administrativen Ehrenämter 
u. dgl. hinzutreten würden, als Regiminal= oder 
Hoheitssachen der Pol gegenübergestellt. Im 
übrigen aber führte der immer mehr sich erwei- 
ternde Umfang der inneren Verw Zwecke einer- 
seits und die rechtliche Schrankenlosigkeit ihrer auch 
zwangsweisen Verwirklichung gegenüber dem 
Individuum andererseits zu jener politischen Vor- 
stellung, der wir heut durch das Wort „Polizei- 
staat“ Ausdruck geben. Die Gleichsetzung von Pol 
(Pol Wissenschaft) und innerer Verwaltung tritt 
aber im 18. Jahrhundert sowohl in der Literatur 
(z. B. Justi, Moser, Lotz), als auch in der Gesetz- 
gebung zutage. So werden noch im preußischen 
Landrecht von 1794, dessen verwaltungsrechtliche 
Abschnitte zum Teil noch heut geltendes Recht 
bilden, im Anschluß an die Auffassung seines Ver- 
fassers Svarez, die Begriffe „Polizeigesetz, Polizei- 
ordnung oder -verordnung, Polizeiinstanz, Polizei- 
anstalten“, zu denen auch die Schulen gerechnet 
werden, in jenem weiten und unterschiedslosen 
Sinne verwendet. Und auch die Reform der preu- 
ßischen Verwaltung im Anfang des 19. Jahrhun- 
derts behält den gleichen Standpunkt bei. Die auf 
die „Regierungen“ bezüglichen Verordnungen und 
Instruktionen von 1808 und 1817 stellen so die- 
selben als „Landespolizeibehörden" ihnen in ihrer 
Eigenschaft als „Landeshoheits-“ und „Landes- 
finanzbehörden“ gegenüber. 
II. An diesem Punkte des Ausscheidungsweges, 
der, von einzelnen Ueberbleibseln abgesehen, auch 
heut Gemeingut der Rechtssprache ist, setzen nun 
aber weitere Versuche einer Teilung und Abspal- 
tung ein, die, nach verschiedenen Richtungen ver- 
laufend, zu einem gesicherten Ergebnis bisher 
nicht geführt haben. # 
1n He eine Richtung geht von der Verschieden- 
heit der Zwecke der inneren Verwaltung aus. 
Sowohl in der Literatur (z. B. Moser, Leist), wie 
auch in der Gesetzgebung wird es als Aufgabe der 
Pol angesehen, einerseits „allem vorzubengen und 
solches zu entfernen, was dem Staate und seinen 
Bürgern Gefahr und Nachteil bringen kann, mit- 
hin die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffent- 
lichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu treffen“", 
andererseits aber auch „dafür zu sorgen, daß das 
allgemeine Wohl befördert und erhöhet werde“ 
v. Stengel- Fleischmann, Wörterbuch. 
  
2. Aufl. 
(preuß. V v. 1808 im Anschluß an #2 und 3 II 13 
ALR). Diese beiden Zwecke, Gefahrenabwehr, 
Erhaltung von Sicherheit und Ordnung, kurz Be- 
wahrung des vorhandenen Güterbestandes von 
Staat und Gesellschaft einerseits und Wohlfahrts- 
förderung, Vermehrung dieses Bestandes von 
Kulturgütern andererseits werden zunächst im 
Rahmen der Polizei terminologisch geschieden 
und als Sicherheits-Polizei und Wohlfahrts-Polizei 
einander gegenübergestellt. Einen entscheidenden 
Schritt taten dann diejenigen Schriftsteller, welche 
unter Ausscheidung der Wohlfahrtsförderung nur 
noch die Sicherheits Pol als Pol behandelten, wie, 
wohl zuerst wenn auch noch zaghaft, Pütter (1770), 
der in seinen Institutiones juris publici germanici 
ê331 sagt: „Ea supremae potestatis pars, qua 
exercetur cura avertendi mala futura in statu 
reipublicae interno in commune metuenda, 
dicitur jus politiae. — — Promovendae salutis 
rura proprienon est politiae, nisi quatenus en 
mente agitur, ut tanto lautior sit status isti 
malo, qucd metuebatur, directe oppositus, aut 
forte-#connexitas objecti efficit, utuumum cum 
altero junctim politiae committatur“ wobei 
die Schlußworte auf die flüssige Grenze zwischen 
— und Wohlfahrtsförderung hin- 
weisen. 
2. Eine zweite Richtung geht von der Ver- 
schiedenheit der Mittel aus, deren sich die 
innere Verwaltung sei es zur Gefahrenabwehr, sei 
es zur Wohlfahrtsförderung bedient: zwanglose, 
helfende und unterstützende Tätigkeit einerseits, 
Beschränkung der natürlichen Handlungsfreiheit 
der einzelnen im Interesse der Gemeinschaft durch 
Befehl und eventuell durch Zwang andererseits. 
Auch hier halten sich die Gegensätze zunächst 
innerhalb des Rahmens der Polizei, 
wie z. B. Lotz (1807) „Hilfspolizei“ und „Zwangs- 
polizei“ unterscheidet. Der weitere Weg ging 
dann auch hier dahin, nur den einen Zweig, näm- 
lich die Zwangs Pol, als Polizei zu bezeichnen, die 
Hilfs Pol ihr aber als „Pflege"“ gegenüberzustellen 
(z. B. Gesundheitspflege und Gesundheits Pol, 
Gewerbepflege und Gewerbe Pol). Entscheidende 
praktische Bedeutung erhielt diese Auffassung, als 
in der preußischen St O v. 1808 der neu aufge- 
richteten städtischen Selbstverwaltung nicht bloß 
die Gerichtsbarkeit, sondern auch die „Polizei“ im 
Sinne obrigkeitlicher Verwaltung, „deren Zwecke 
durch tätige Anwendung des Zwanges zu erreichen 
stehen“ (Mat.), entzogen und damit das in Preußen 
bis heut bestehende staatliche Pol Monopol im 
Gegensatz zur wirtschaftlichen Kommunalverwal- 
tung aufgerichtet wurde. In der Literatur waren 
es nach früheren Vorgängern vor allem Bluntschli 
(1851) und Medikus, die den Begriff der Polizei 
in obigem Sinne zu weitverbreiteter Geltung ge- 
bracht haben. 
3. Weiter aber tritt die Hervorkehrung des 
Zwangsmomentes im Polegriff mit dem Gegen- 
satz von Gefahrenabwehr und Wohlfahrtsförderung 
in innere Verbindung. Dies führt zunächst zu der 
Anschauung, daß die staatliche Zwangsgewalt, 
insbesondere die Polizei in diesem Sinne, entweder 
ausschließlich (Declaration de droits de I’homme 
v. 1789 Ziff. 5, Wilh. v. Humboldt 1792) oder doch 
eher und besser, als für die Wohlfahrtsförderung, 
für die Sicherheitsbewahrung gerechtfertigt sei. 
Nach der letztgedachten Auffassung, die z. B. von 
III. 7
	        
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