Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Svarez, v. Drais und unter dessen Einfluß später 
von v. Berg vertreten wird, ist zwar auch wohl- 
fahrtspolizeilicher Zwang begrifflich möglich und 
praktisch geübt, aber einzudämmen und nur aus 
besonderen Gründen zu rechtfertigen. Auf diesem 
Standpunkte, an Spvarez anschließend, steht auch, 
wie ich, bisher ohne für mich ausreichende Wider- 
legung, nachgewiesen zu haben glaube, das preuß. 
ALRv. 1794. Begrifflich ist ihm Pol gleich innerer 
Verwaltung (oben 1), Sicherheits= und Wohl- 
fahrts Pol, Zwangs= und Hilfs Pol (Ausdrücke, 
die das ALR übrigens nicht verwendet) liegen ihm 
innerhalb des Polizeibegriffs; aber der Zwang ist 
besonders kongenial der Sicherheitsbewahrung, und 
deshalb wird das „Amt der Polizei“, das Pol Amt 
d. h. die (örtliche?) Pol Behörde, soweit sie nicht 
besondere, weitergehende Ermächtigung besitzt, 
darauf beschränkt, in ihren exekutivischen Verfü- 
gungen „die nötigen Anstalten zur Erhaltung der 
öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und 
zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen 
Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu 
treffen“ (§5 10 II 17). Dagegen bleibt das Poli- 
zei verordnungsrecht des Königs und das auf 
seiner besonderen Ermächtigung ruhende der 
Pol Behörden rechtlich unbeschränkt, wenn 
auch politisch an die Superiorität des sicher- 
heitspolizeilichen Zwanges gebunden (vgl. dazu 
für Baden Thoma S 124f). 
4. Endlich aber schreitet die Differenzierung des 
  
Polizei begriffs als solchen zu einer Verbin- 
dung der Momente der Gefahrenabwehr und des 
Zwanges vor. Polizei wird Zwang zwecks Gefah- 
renabwehr (Lorenz v. Stein 1867), der dann in 
der neueren Literatur, zuerst wohl angeregt von 
Zimmermann (1845), mit wachsender Entschieden- 
heit die Abwehr von Störungen der bestehenden 
Ordnung als Neben= oder Oberbegriff an die Seite 
estellt wird. „Polizei ist die Staatstätigkeit zur 
Abwehr von Störungen für die gute Ordnung des 
Gemeinwesens aus dem Einzeldasein mit obrig- 
keitlicher Gewalt“ (Otto Mayer 1 S249). Dieses Mo- 
ment der „Ordnung“ bringt dann auch wieder eine 
gewisse Annäherung an die Zwecke der Wohlfahrts- 
förderung wenigstens dann mit sich, wenn man 
unter ihr den Zustand geordneten Zusammen- 
lebens auch insofern versteht, als dieser eine Be- 
dingung für den Kultur fortschritt darstellt 
(O. Mayer S. 268, 263, Schanze). In der Praxis 
aber hat dieser am meisten verengerte Pol Begriff 
dadurch eine mächtige Förderung erfahren, daß 
das preuß. OV (zuerst in der von Jebens ver- 
faßten Entsch betr. das Kreuzbergdenkmal v. 
14. 6. 82, Bd. 9 S 353 ff) die Bestimmung des 
§s 10 II 17 ALR im Wege des „Interpretations- 
wandels“ (Hatschek im Jahrb OeffR 3, 32) auch 
auf die Verfügungen der Landespolizeibehörden 
(trotz der V v. 1808) und auf das gesamte Pol Ver- 
ordnungsrecht der Behörden ausgedehnt und dann, 
unter Nichtbeachtung der jedenfalls doch nur sub- 
sidiären Bedeutung der Bestimmung, in ihr den 
  
—— 
„Begriff der Polizei“ (a. a. O. S 374) sehen zu 
müssen gemeint hat. Auch die Praxis des sächs. 
O# hat, unter besonderer Anlehnung an Otto 
Mayer, parallele Bahnen beschritten. 
&# 2. Der heutige Polizeibegriff. Von einem 
Polizei (I. Begriff und Hauptarten) 
nen, sich auch im heutigen Recht und der heutigen 
Rechtswissenschaft geltend machen. Unter solchen 
Umständen ist es für die praktische Rechtsanwen- 
dung nur möglich, den Sinn des Wortes „Polizei“ 
in jeder einzelnen Gesetzesbestimmung zu ermitteln 
und danach die Entscheidung zu treffen. Für die 
Wissenschaft aber — wenigstens für die des positi- 
ven Rechts — wird es Aufgabe sein, nicht die 
Vieldeutigkeit des Ausdrucks im Gesetz zu leug- 
nen, sondern sie zu systematisieren und, wenn 
möglich, für die verschiedenen Bedeutungen eine 
passende und unterscheidende Terminologie in 
Vorschlag zu bringen. Dabei wird aber daran fest- 
zuhalten sein, daß weder das durch gleiche positive 
Rechtssätze Bestimmte durch die Begriffsbildung 
und Terminologie getrennt, noch das juristisch 
Ungleichartige verbunden werde. Auf dieser 
Grundlage ergibt sich nun hauptsächlich: 
1. Daß Pol nur innere Verwaltung ist, wurde 
schon oben als Gemeingut des heutigen Rechts 
bezeichnet. Daß sie aber alle innere Verwaltung 
(auch abgesehen von der sog. Regiminalverwaltung 
und etwaigen anderen positivrechtlich auszuneh- 
menden Verw Zweigen) umfaßt, dürfte für die 
kritische Wissenschaft im wesentlichen ein über- 
wundener Standpunkt sein, unbeschadet der sinn- 
gemäßen Verwirklichung älterer Gesetze, welche 
den Ausdruck in dieser Bedeutung gebrauchen und 
bis heut ihre Geltung bewahrt haben (val. § 1 1). 
Der Ausdruck „innere Verwaltung“ ist hier der 
gegebene. Zu ihr und nicht zur Pol im modernen 
Sinne gehören auch auf den ihr an sich zugängli- 
chen Lebensgebieten diejenigen Staatstätigkeiten, 
die in sich weder als Zweck Gefahrenabwehr und 
Ordnungsbewahrung, noch als Mittel Beschrän- 
kung der individuellen Handlungsfreiheit (Zwang) 
aufweisen, wie z. B. Belehrungen oder Veranstal- 
tung von Ausstellungen zur Förderung von Han- 
del, Gewerbe, Landwirtschaft u. dgl. 
2. Aber auch der zwanglose Gefahrenschutz, den 
noch heute manche, allerdings mit mehr oder we- 
niger Entschiedenheit (z. B. Bornhak, Auschütz, 
Löning im Handwörterbuch) zur Pol rechnen, 
wird von der kritischen Wissenschaft besser und 
meistens dem Polegriff nicht unterstellt, soweit 
es sich nicht etwa um bloße Hilfstätigkeiten, na- 
mentlich um die Beobachtung des Lebens zwecks 
eventuellen künftigen Einschreitens mit Befehl 
und Zwang handelt (Löning; vgl auch O. Mayer 
254 mit Thoma S5 n 6). Warnungen vor schädli- 
chen oder betrügerischen Geheimmitteln, Ufer- 
schutzbauten, Berufsfeuerwehren fallen, soweit 
das Gesetz nicht abweicht, materiell nicht in das 
Gebiet der Pol. Auch sie sind ihrem Wesen nach 
von den obrigkeitlichen Zwangefunktionen zur 
Gefahrenabwehr so grundsätzlich verschieden, daß 
der gemeinsame Zweck nicht genügt, sie begrifflich 
zu vereinigen (vgl. Nr. 4). 
Dagegen kann der Begriff der Pol. als 
Zwangsgewalt auf dem Gebiete der inneren Ver- 
waltung (z. B. Laband, G. Moyer, Rosin), auch 
soweit sie sich zugunsten der Wohlfahrtsförderung. 
äußert, nicht entbehrt werden, wenn man dem 
  
positiven deutschen Rechte genügen will. Denn 
feststehenden einheitlichen Pol Begriff kann man 
nach dem hier herrschenden System der General- 
auch heute nicht sprechen, da die erörterten Be- 
griffsmomente, ihre Gegensätze und Kombinatio- 
mag immerhin die allgemeine und subsidiäre Er- 
mächtigung der Pol Behörden nicht bloß zu 
Verfügungen, sondern, soweit sie, wie in Preußen, 
delegation [X VI Polizei-Verordnungl dafür in Be-
	        
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