Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Polizei (IV. Verfügungen) 
  
Personen z. B. der Besitzer eines Nachbargrund- 
stücks können nur in dringenden Notfällen heran- 
gezogen werden (Staatsnotrecht?). Auf verschie- 
dener Rechtsgrundlage (Thoma 178) kommt auch 
die Gemeinde als Adressatin von Polizei- 
befehlen in Betracht. 
II. Die Anfechtungsklausel 
55. Bedentung und Geltung. Schon auf dem 
Gebiete der reinen Verwaltung kann den pol. Vsg 
mit Bezug auf ihre Anfechtung im Beschwerde- 
wege eine gewisse Sonderstellung eingeräumt 
sein. So nach neuerem württembergischen Recht, 
wo im Zusammenhange mit der verstärkten Auf- 
sichtsgewalt gegenüber pol. V'g der Gemeinde- 
organe auch den durch sie betroffenen Einzelnen 
ein erweitertes Beschwerderecht zugebilligt ist, 
welches nicht bloß, wie sonst in Gemeindeange- 
legenheiten, wegen Verletzung gesetzlicher Vor- 
schriften, sondern schon wegen Verletzung eines 
berechtigten Interesses in Bewegung gesetzt wer- 
den kann (a 196 Abs 1, 2 mit 194 Abs 2 Satz 2 
GempO v. 1906). Von besonderer Bedeutung ist 
aber diejenige Sonderstellung pol. Vfg, die sie in 
einzelnen deutschen Staaten im Zusammenhange 
mit der Regelung der Vern Gerichtsbarkeit (7. 
erhalten haben, und die dann über die verwal- 
tungsgerichtliche Klage hinaus auch auf das Recht 
der förmlichen Beschwerde und über den polizei- 
lichen VerwBefehl hinaus auch auf die Rechts- 
mittel im volizeilichen Zwangs verfahren ein- 
wirkt. Während nämlich, unter den Staaten mit 
ausgebildeter Verw Gerichtsbarkeit, einerseits in 
Württemberg (a 13 G v. 16. 12. 76) und 
Sachsen (5 73 Nr. 1 G v. 19. 7. 00) die an 
das höchste Verwericht führende, auf Rechts- 
gründe gestützte „Rechtsbeschwerde“ oder „An- 
fechtungsklage" gegen (letzt= oder zweitinstanzliche) 
Verfügungen der VerwnBehörden (Min Inn, 
Nreis= oder Amtshauptmannschaften in Sachsen) 
die pol. Vig derselben rechtlich ununterschiedlich 
(wenn auch tatsächlich als Hauptfall: Sachsen; 
ogl. Apelt, Kommentar zum sächs. Gesetz: 37) 
mit umfaßt — und während andererseits in 
Bayern in strikter Durchführung der sog. Enu- 
merationsmethode [/ Verwaltungsgerichtsbarkeit! 
die verwaltungsgerichtliche Klage zum Schutze 
der persönlichen Handlungsfreiheit nur gegenüber 
speziell bezeichneten polizeilichen Maßregeln ein- 
tritt (G v. 8. 8. 78 a 8 Nr. 3, 6, 8, 17): — haben 
Preußen (unten §6— 10) und Baden (F§ 11) 
und in gewissem Sinne auch Hessen (5 12) 
zwar auch das System der Enumeration zwecks 
Boestimmung der sachlichen Zuständigkeit der 
Verwerichte angenommen, dagegen gerade für 
die pol. Vfg ausdrücklich und ausnahmsweise 
durch eine „Generalllausel“ eine allgemeine Re- 
gelung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung 
eintreten lassen. 
A. Preußen. 
*6. Geschichtlicher Neberblick. An die Stelle 
der §§ 38—40 der V wegen verbesserter Einrich- 
tung der Provinzial-Polizei= und Finanzbehörden 
v. 26. 12. 08 trat für den damaligen Umfang der 
Monarchie das später auch in den neuen Provin- 
zen eingeführte G über die Zulässigkeit des Rechts- 
  
  
weges in Beziehung auf pol. Vig v. 11. 5. 4. 
Nach demselben fand gegen pol. UVig regelmäßig 
nur die Beschwerde an die vorgesetzten Dienst- 
behörden statt, mochte durch dieselbe die Gesetz- 
mäßigkeit, die Notwendigkeit oder Zweckmäßig- 
keit der erlassenen Vfig bestritten werden (§5 1). 
Nur ausnahmsweise konnten pol. Vig im Rechts- 
wege, und zwar vor dem Zivilrichter, angefochten 
werden, wenn die Verletzung eines zum Privat- 
eigentum gehörigen Rechts und zugleich behauptet 
wurde, daß dem in Anspruch Genommenen eine 
Befreiung von der ihm durch die Verfügung auf- 
erlegten Verpflichtung auf Grund einer beson- 
deren gesetzlichen Vorschrift oder eines speziellen 
Rechtstitels zustände (§ 2). Für die östlichen Pro- 
vinzen mit Ausnahme Posens brachte dann das 
Zust G v. 26. 7. 76 30 ff eine teils elektiv neben 
der Beschwerde, teils kumulativ nach ihrer Er- 
schöpfung zulässige verwaltungsgerichtliche Klage 
gegen pol. V'g der Orts- und Kreis-Pol Behörden, 
bestimmte jedoch in § 4, daß die Zulässigkeit des 
ordentlichen Rechtswegs[Mdurch seine Vorschriften 
nicht berührt werden solle, wodurch die Beschrei- 
tung des Zivilrechtsweges im Falle des §& 2 des 
Gv. 11. 5. 42 offengehalten wurde. Zu Vermei- 
dung divergierender Entscheidungen der obersten 
Zivil- und Verw Gerichte diente in gewissem Um- 
fange der § 4 Abs 2 des G. Das Organisations G 
v. 26. 7. 80 und ihm folgend das L VG haben 
dann, und zwar jetzt für die ganze Monarchie, 
die Rechtsmittel gegen pol. Vi'g der Orts= und 
Kreis PolBehörden, sowie des Reg Präsidenten 
im Sinne einer genauen Scheidung von Zivil- 
und Verw Gerichtsbarkeit geregelt. 
§ 7. Begriff der polizeilichen Verfügung im 
Sinne der preußischen Anfechtungsklausel. Ge- 
genstand der im 4. Titel des LVG v. 30. 7. 83 
88 127—130 besonders geordneten Rechtsmittel 
sind nach dem Obigen pol. Vig der Orts= und 
Kreis Pol Behörden (§§ 127—129) und des Reg- 
Präsidenten (§ 130). 
1. Den Begriff der pol. Vf#g stellt das Gesetz 
nicht fest, sondern setzt ihn voraus. Er bestimmt 
sich nach dem oben § 1 Entwickelten, wobei noch 
Folgendes zu bemerken ist: 
a) Für den Umfang des „Polizeilichen“ ist der 
Begriff der Pol imweiteren Sinne zugrunde 
zu legen. Was über diesen hinausgeht, wie z. B. 
die Verfügungen der PolBehörden in den zur 
auswärtigen Staatshoheit gehörigen Ausliefe- 
rungssachen (Entsch 60, 296) oder in Sachen der 
Aufsicht über öffentliche Verbände (54, 279) 
fällt nicht unter die Generalklausel: verwaltungs- 
gerichtliche Klagen gegen jolche Verfügungen auf 
Grund von §F 127 ff müssen als unzulässig abge- 
wiesen werden. Verfügungen dagegen, welche die 
Ermächtigungsklausel des § 10 II 17 ALN (I) 
überschreiten und auf das Gebiet der Wohlfahrts- 
polizei angeblich unzulässigerweise hinübergreifen, 
können mit der Klage aus §§5. 127 ff angefochten 
werden und werden durch das Verwsericht auf- 
gehoben, falls sich dieselbe als begründet erweist 
E. B. Bd. 15, 432; 44, 388; 57, S 402, 461). 
„Die Frage, ob die pol. Veig gesetzmäßig erlassen, 
ob und inwieweit auch der § 10 11 17 eine für ihre 
rechtliche Beurteilung maßgebende, von ihr inne- 
gehaltene oder überschrittene, rechtliche Schranke 
bildet, ist ein Gegenstand der Erörterung inner- 
halb des vom Gesetze normierten Anfechtungs- 
 
	        
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