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Polizei (V. Polizeistrafrecht)
(die Verletzung von Verw Interessen, die unter-
lassene Unterstützung der auf Förderung des öffent-
lichen Wohls gerichteten Verwaltung) und das
Pol Strafrecht als Teil des Verw Strafrechts
neben Finanz-, Post= usw. Strafrecht hinstellte.
Dem weiteren Begriff der Polizei als solchem,
der auch die befehlende Wohlfahrtsförderung
umfaßt, hat endlich Frank in der neuesten Auflage
seines Kommentars Rechnung getragen (vgl. auch
schon Binding, Normens 1, 411 N 42 mit Bezug
auf Stahl), wenn auch gerade um deswillen seine
Bezeichnung der „Handlungen, die der Förderung
der gemeinen Wohlfahrt entgegenstehen“, als
Verwdelikte, die neben den „Gefährlichkeitsdelik-
ten“ einen Teil der Poldelikte bilden sollen,
zu beanstanden ist.
2. An der so gewonnenen Stufe der Erkenntnis
ist, ohne daß hier eine eingehendere Kritik der ver-
schiedenen Theorien oder eine Stellungnahme zu
rein strafrechtlichen Einzelproblemen am Platze
wäre, im allgemeinen festzuhalten; sie kann das in
jenen Lehren bleibend Wertvolle, die größere Mo-
ralwidrigkeit des Verbrechens und seinen stärkeren
Angriff auf die Rechts= (oder Lebens-)güter der
Gesellschaft, andererseits das Moment bloßer Ge-
fährdung, Ordnungswidrigkeit oder Wohlfahrts-
hemmung im Pol Delikt und das deshalb in ihm
stärker hervortretende Element des Ungehorsams
ausdrücklich oder stillschweigend in sich aufnehmen.
Demzufolge ist der Begriff des Pol Strafrechts so,
wie er oben für das VerwRecht gegeben wurde,
auch hier zugrunde zu legen und nur dahin aus-
zubauen, daß für das Strafrecht, dem besonderen
Interesse dieser Wissenschaft entsprechend (vgl.
Rickert, Zur Lehre von der Definition, S 29, 38),
dasjenige in ihn ausgenommen wird, was zur
Unterscheidung vom Verbrechensstrafrecht erfor-
derlich ist. Hiernach ist Polizeistrafrecht
(als Teil des Verwtrafrechts) im Gegensatz
zum Kriminalstrafrecht der Inbegriff derjenigen
Rechtssätze, welche Handlungen oder
Unterlassungen verbieten undmit ver-
hältnismäßig geringerer Strafe be-
drohen, die, ohne nach allgemeiner Anschau-
ung einen schwereren Angriff auf die Rechtsgüter
der Gesellschaft zu enthalten, gegen die von
der inneren Verwaltung (Polizei)
zu vertretenden Interessen der Sicher-
heit, Ordnung und Wohlfahrt des Zu-
sammenlebens verstoßen.
Die Relativität, die dieser Gegenüberstellung
in ihrem sachlichen Teile innewohnt und die ihren
besonderen Ausdruck in der Hereinziehung des
Symptoms der schwereren oder geringeren Strafe
findet, ist freilich nicht zu verkennen. Nach ihr ist
es möglich, daß Verstöße gegen die Verw Ordnung,
die aus besonderen Gründen schwerer zu be-
sehr spezifische der Möglichkeit einer Verantwortlich-
urteilen und daher besonders hoch zu bestrafen
sind, auch qualitativ unter die Kriminaldelikte
fallen (vol. Gegenentwurf Begr. 311), da auch
die Ungestörtheit der Verwaltung
Zwecke als Rechtsgut („rechtlich zu schützendes
Interesse“, vgl. v. Liszt 1° S 72, 76, 122 N 7)
der Gesellschaft angesehen werden kann. Ja es
wird sich (gegenüber dem Gegenentwurf Begr.
312; vgl. aber Goldschmidt S 378, 585) nicht
leugnen lassen, daß andererseits sogar auch „un-
zweifelhafte Eingriffe in fremde Rechtssphären“,
wie „Mundraub oder unbefugtes Fischen“, so
und ihrer
wie sie ganz straffrei bleiben könnten, auch mit sehr
geringer Strafe („bloßer Polizeistrafe") belegt
und dann unter dem Gesichtspunkt bloßer Ord-
nungswidrigkeit betrachtet werden können (vgl.
auch O. Mayer 1, 255). Aber diese Relativität ist
eine notwendige Folge der Tatsache, daß die
Zwecke der Polizei, jedenfalls Sicherheit und Ord-
nung, mit den Endzwecken des Rechts identisch
sind (es insofern, gegen Frank 600, keine „spezifisch
polizeilichen Interessen“ gibt), was besonders auch
darin zutage tritt, daß nicht bloß die Polizei Hilfs-
organ der Staatsanwaltschaft ist, sondern auch die
unmittelbare wie mittelbare Prävention der Kri-
minaldelikte zweifellose Aufgabe der verwaltenden
Polizei ist ( Polizei 1 8 3 Nr. 1, Pol. Verfügungen.
# 3, Nr. 1, Sicherheitspolizei). So erweist auch,
wie insbesondere Goldschmidts Werk gezeigt hat,
die Geschichte der Jahrhunderte, wie nach der
gesellschaftlichen Anschauung die Grenzen beider
Kreise wechseln und mancherlei Delikte eine
doppelte Beurteilung möglich machen. Danach
hat der Gegensatz von Kriminal-= und Pol-
Strafrecht für das Strafrecht allerdings weniger
die Bedeutung eines festen Abgrenzungs-
prinzips, als die eines für Gesetzgeber
und Richter leitenden Normativ-
prinzips, das in einem System von Konse-
quenzen auf eine immerhin labile Gruppe von
Straftaten um so vollständiger Anwendung finden
kann, je reiner und sicherer sich in ihnen der Typus-
des Polddelikts verwirklicht.
3. Die Entwicklung und Begründung dieser
Konsequenzen steht freilich noch in den An-
fängen, derart, daß auch de lege ferende keines-
wegs Uebereinstimmung herrscht. An dieser Stelle
muß folgendes genügen:
Materiell steht für die Gestaltung des Polizei-
unrechts die Schuldfrage voranun. Nach dem
strafrechtlichen Prinzip, welches keine Strafe ohne
Schuld gestattet, herrscht allerdings jetzt wohl —
und daran haben die Leugner des Unterschiedes
ihr wesentliches Verdienst — Uebereinstimmung
darüber, daß auch das Poldselikt Schuld, minde-
stens Fahrlässigkeit voraussetzt. Aber die Schuld
kann leichter angenommen werden, sei es minde-
stens dadurch, daß regelmäßig Fahrlässigkeit genügt,
sei es auch durch eine strengere Bestimmung der
polizeimäßigen Sorgfalt (— ausreichend dafür zu
sorgen, daß die Pol Pflicht erfüllt werde: Otto
Mayer —) oder sogar durch eine Vermutung des
Verschuldens unter Vorbehalt des Gegenbeweises.
Daran schließt sich ein Absehen vom „Bewußtsein
der Rechtswidrigkeit“, sofern es sonst gefordert
wird (v. Liszt § 41 N 6), andererseits die Berück-
sichtigung entschuldbarer Normenunkenntnis, fer-
ner die hier besonders zu beachtende Frage der
Deliktsfähigkeit juristischer Personen und die
keitsübertragung auf Dritte, andererseits die Haf-
tung [∆ für Dritte. Versuch und Beihilfe
bleiben straflos, ebenso im Auslande begangene
Uebertretungen; kürzere Verjährung; eine beson-
dere Behandlung des Rückfalls wird vertreten. Im
Strafensystem kommt vor allem das Postulat
einer Beseitigung der Freiheitsstrafe, auch der
Strafumwandlung in solche, allenfalls unter Vor-
behalt des Rückfalls, in Betracht, daneben die völ-
lige richterliche Strafbefreiung in besonders leich-
ten Fällen, andererseits die Kumulation bei Real-