Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Prisenangelegenheiten 
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die Konferenz für die Formulierung des Grund- 
satzes in a 58, wonach die neutrale oder feindliche 
Eigenschaft der an Bord eines feindlichen Schiffes 
vorgefundenen Waren durch die neutrale oder 
feindliche Eigenschaft des Eigentümers 
bestimmt wird. 
Dagegen wurde keine Einigung bezüglich der 
Frage, wie die neutrale oder feind- 
liche Eigenschaft des Eigentümers 
bestimmt werden soll, erzielt. Hier stehen 
einander zwei Systeme schroff gegenüber: Das 
System der Nationalität (Mehrzahl der 
Staaten) und jenes des Domizils. Das 
Domizilsystem führt übrigens auch zu teilweise 
absurden Konsequenzen; die Kriegführenden müß- 
ten in Fällen, in denen ihre Angehörigen im feind- 
lichen Lande domilizieren, diese als Feinde be- 
handeln und auf die Wegnahme von Waren ver- 
zichten, welche Angehörigen des Kriegsgegners 
ehören, die in neutralen Ländern domilizieren. 
Fur das Nationalitätssystem berief man sich mit 
Recht auch auf die Analogie der für die Schiffe 
anerkannten Regel, ferner auf den a 16 des Haa- 
ger Abkommens betr. die Rechte und Pflichten der 
Neutralen im Landkriege, wo ausdrücklich be- 
stimmt wird, daß unter neutralen Personen die 
Angehörigen der neutralen Staaten zu ver- 
stehen sind. Nicht unbeachtet dürfen auch die ein- 
zelne Fragen des internationalen Privatrechts 
normierenden Haager Abkommen der Jahre 1902 
und 1904 bleiben, in denen die Staatsangehörig- 
keit und nicht das Domizil innerhalb der betreffen- 
den Kollisionsnormen durchgreifende Bedeutung 
gewonnen hat. 
à 59 enthält die alte Regel, wonach die an 
Bord eines feindlichen Schiffes be- 
findliche Ware bis zum Beweise des 
Gegenteils als feindlich gilt. Gegen diese 
einfache Vermutung ist der Beweis des Gegen- 
teils zugelassen. Die Beweislast trifft den Eigen- 
tümer. 
a 60 behandelt den Fall, wo eine Ware, die zur Zeit 
ihrer Absendung feindliches Eigentum war, während der 
Dauer der Reise Gegenstand eines Verkaufs oder einer 
anderen Uebertragung geworden ist. In derlei Fällen galt 
schon bisher der Grundsatz, daß die feindliche Eigenschaft 
der an Bord eines seindlichen Schisses verladenen Ware 
bis zur Ankunft am Bestimmungsorte bestehen bleibt, voraus- 
gesetzt, daß der Eigentumswechsel während der Be- 
förderung nach Beginn der Feindseligkeit eingetreten ist. — 
Abs 2 des a 60 lautet: „Uebt jedoch vor der Wegnahme 
im Falle des Konkurses des derzeitigen feindlichen Eigen- 
tümers ein früherer neutraler Eigentümer ein gesetzliches 
Rückforderungsrecht in Ansehung der Ware aus, so nimmt 
diese die neutrale Eigenschaft wieder an.“ Hierin liegt 
für den neutralen Handel im Falle eines nicht nur zum 
Scheine herbeige führten Konkurses eine Sicherheit, die zu 
wertvoll ist, als daß sie preisgegeben werden dürfte; der 
à 60 Abs 2 bezweckt, sie aufrechtzuerhalten. 
6 3, Flaggenwechsel. I. Im Zusammenhange 
mit den Interessen der neutralen Staatsangehö- 
rigen steht die Frage der Rechtsbeständigkeit der 
Uebertragung eines feindlichen Schiffes an einen 
Neutralen während des Krieges oder im Hinblick 
auf einen bevorstehenden Krieg. Neben Rechts- 
geschäften, durch welche feindliche Staatsange- 
Horige ihre Schiffe von der Wegnahme zu schützen 
uchen und die daher nur zur Täuschung des 
Kriegsgegners abgeschlossen werden, kommen 
  
doch auch ernstlich gemeinte, bona fide abgeschlos- 
sene Geschäfte in Betracht, die nicht unberücksich- 
tigt bleiben können. In der bisherigen Praxis 
wurde von der Behandlung eines unter neutraler 
Flagge fahrenden Schiffes als feindliches Umgang 
genommen, wenn es sich nicht um ein Schein- 
geschäft handelt, das Geschäft also unbedingt, 
nicht in transitu und nicht mit Rücksicht auf den 
Krieg abgeschlossen worden ist. Ferner wurde 
nach der Praxis der meisten Staaten der Verkauf 
eines Schiffes während der Reise und nach Er- 
öffnung der Feindseligkeiten als nichtig betrach- 
tet und das Schiff eingezogen. Nach französischer 
Praxis war jeder Flaggenwechsel nach Beginn 
der Feindseligkeiten unwirksam. 
II. Für alle hier in Betracht kommenden Fälle 
ist zum Zwecke rechtlicher Regelung der Materie 
im ganzen maßgebend a) die zeitliche Be- 
ziehung des Uebertragungsgeschäftes zu dem 
betreffenden Kriege; b) das Interesse der 
Kriegführenden an der Beseitigung der 
Wirkungen fraudulösen Flaggenwechsels, und 
) das aus der Freiheit des Handels der Neutra- 
len und Kriegführenden sich ergebende Inter- 
esse der Neutralen an der Anerkennung 
ernstlich und bona fide abgeschlossener Geschäfte. 
Wenn die Neutralisierung des Schiffes vor 
Beginn des Krieges stattfand, ist Grundsatz 
(# 55): „Der Uebergang eines feindlichen Schiffes 
zur neutralen Flagge ist gültig.“ Soll jedoch 
die Behandlung eines solchen Schiffes als feind- 
liches und die Einziehung bewirkt werden, so muß 
der Nehmestaat im Prisenprozeß beweisen, daß 
die im übrigen rechtlich korrekte Uebertra- 
gung den Zweck hatte, das Schiff den Folgen des 
damals schon vorauszusehenden Krieges zu ent- 
ziehen. Dieses fraudulose Vorgehen der Betei- 
ligten wird indessen schon vermutet, wenn 
sich die Uebertragungsurkunde nicht an Bord be- 
findet und das Schiff die Nationalität des Krieg- 
führenden weniger als 60 Tage vor Beginn der 
Feindseligkeiten verloren hat. Der Gegenbeweis 
ist zugelassen (a 55 Abs 1). Im Interesse des 
neutralen Handels ist der Zeitraum, innerhalb 
dessen das Recht, einen Flaggenwechsel für nichtig 
zu betrachten, geltend gemacht werden darf, auf 
30 Tage beschränkt; bei einer Uebertragung mehr 
als 30 Tage vor Beginn der Feindseligkeiten strei- 
tet eine unwiderlegbare Vermutung 
für die Gültigkeit der Uebertragung, und zwar 
unter folgenden Voraussetzungen: Die Ueber- 
tragung muß unbedingt und voll- 
ständig sein, sie muß der Gesetzgebung 
der beteiligten Länder entspre- 
chen und zur Folge haben, daß die Verfügung 
über das Schiff und der Gewinn aus seiner Ver- 
wendung in die Hände des Erwerbers gelangt ist. 
Der im Prisenprozeß erbrachte Beweis dieser Um- 
stände bewirkt allerdings die Freigebung der 
Prise; allein wegen des Umstandes, daß die Be- 
schlagnahme auf hinreichendem Verdacht beruhte, 
ist der Anspruch auf Schadensersatz ausgeschlossen 
(a 55 Schlußsatz). — Bei Uebertragung nach 
Beginn der Feindseligkeiten (a 56) streitet die 
Vermutung für die Nichtigkeit des 
Geschäfts:; hier hat der neutrale Eigentümer 
den Gegenbeweis zu führen, daß die Ueber- 
tragung nicht herbeigeführt worden ist, um das 
Schiff der Gefahr der Wegnahme zu entziehen 
  
 
	        
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