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Privilegium
gemäß nach seinem Inhalt. Derselbe ist, wie bei
jedem Gesetz durch Interpretation zu ermitteln.
In erster Linie entscheidet also der Wortlaut,
ferner aber der Grund und Zweck des P. Nach
Maßgabe des festgestellten Inhalts kann der Pri-
vilegierte von dem P. Gebrauch machen, also das
ihm erteilte Recht ausüben, die Pflicht zu Leistun-
gen ablehnen usw. Konkurrieren mehrere P
und Privilegierte, so geht das unbeschränkte dem
beschränkteren, das spezielle dem allgemeinen
vor. Die Wirkungen eines Privilegiums treten
ohne Zutun des Berechtigten ein. Eine Ver-
pflichtung des Privilegierten, von seinem P.
Gebrauch zu machen, besteht jedoch nicht, soweit
es sich um bloße Berechtigungen handelt, welche
in seinem Interesse gewährt sind und deren Aus-
übung und Nichtausübung lediglich für ihn Be-
deutung hat. Dagegen liegt eine solche Verpflich-
tung allerdings vor, wenn das P. im öffentlichen
Interesse gegeben und von diesem Gesichtspunkte
aus eine besondere, von dem gemeinen Rechte
abweichende Regelung bestimmter Verhältnisse
durch dasselbe getroffen worden ist. Dies hat für
das Gebiet des staatlichen Rechts, da die P. heute
für dasselbe eine geringere Bedeutung beanspru-
chen, keine wesentliche Bedeutung mehr, wohl aber
für das Gebiet der katholischen Kirche, in welcher
die sonst den regelmäßigen Behörden zustehenden
Rechte, z. B. die der bischöflichen Leitungsgewalt,
mitunter durch P. anderen geistlichen Würden-
trägern, so den sog. praelati nullius, übertragen
sind und bei Nichtausübung solcher Befugnisse
eine Lücke in dem Regierungsorganismus ent-
stehen würde.
5 6. Untergang und Aufhebung. Das P. kann
erlöschen: 1. aus Gründen, welche in dem P.
selbst oder in der Art seiner Erteilung liegen. Ein
Beispiel für das erstere bildet das Zusammenfallen
des persönlichen P. durch Tod der begünstigten
physischen oder durch Fortfall der berechtigten
juristischen Person oder des dinglichen P. durch
Untergang der Sache, an welcher es haftet. Unter
den zweiten Gesichtspunkt gehört das Erlöschen
des auf die Lebensdauer des Erteilers oder auf
seinen Widerruf (usque ad beneplacitum conce-
dentis) gewährten P., wenn einer dieser Fälle
eintritt. Der richtigen Ansicht nach führt aber,
ebensowenig wie bei allgemeinen Gesetzen, der
Umstand, daß der für die Erteilung des P. allein
maßgebend gewesene Grund fortfällt, eine Be-
seitigung des P. herbei.
2. Das P. geht auch durch Widerruf, d. h.
jeden auf die Beseitigung desselben gerichteten
Willensakt des Gesetzgebers unter, selbst wenn
Widerruf nicht von ihm vorbehalten worden ist.
Wenngleich es die materielle Gerechtigkeit erfor-
dert, daß der Gesetzgeber den Widerruf nicht aus
bloßer Laune oder Willkür eintreten läßt, so ist
es doch ungerechtfertigt, das Vorhandensein einer
begründeten Ursache als rechtliches Erfordernis
der Gültigkeit des Widerrufs hinzustellen. Das
Kirchenrecht kennt keinen Anspruch des Privile-
ierten auf Entschädigung wegen Entziehung des
g. (c. 24 X 5, 33) und läßt ohne weiteres die
Entziehung wegen Mißbrauchs zu: „privilegium
meretur amittere, qui permissa sibi abutitur
potestate“. Für das staatliche Recht wird ein
Anspruch mehrfach für die Fälle, wo das P. nicht
wegen Mißbrauchs und ohne Vorbehalt des Wi-
derrufes entzogen ist, behauptet. Auch dies geht
zu weit. Wie der Gesetzgeber befugt ist, die in der
allgemeinen Rechtsordnung begründeten Privat-
und Vermögensrechte ohne Entschädigung aufzu-
stellen, so ist er auch berechtigt, dies in betreff der
P. zu tun. (vgl. Dernburg, Pand. I, 2001).
Allerdings können auch die durch P. begründeten
subjektiven Berechtigungen Gegenstand der Ex-
propriation sein und dann gelten selbstverständlich
in betreff der Entschädigung [NI die für dieselbe
in Frage kommenden Rechtsnormen. Für das
konstitutionelle Staatsrecht entsteht aber die
weitere Frage, ob da, wo der Landesherr oder
eine Behörde zur Erteilung von P. berechtigt ist,
diese auch ohne weiteres durch ihn oder die letz-
tere aufgehoben werden können. Diese Frage
wird zu verneinen sein, da das vorbehaltene oder
delegierte Recht der Erteilung nicht von selbst
auch das Recht des Widerrufes umfaßt. Der
Widerruf durch den Gesetzgeber kann ausdrücklich
und speziell oder durch eine generelle Klausel
erfolgen. Auf dem Gebiete des Kirchenrechts sind
die Klauseln üblich: non obstantibus quibus-
cunque privilegiis oder auch die verstärkte: „vel
quacunque verborum forma conceptis ober
etiamsi eorum mentio ad verbum fieri deberet“.
Nur dann ist ein ausdrücklicher Widerruf nach dem
Kirchenrecht erforderlich, wenn das P. von vorn-
herein unter der Bedingung erteilt ist, daß es zu
seiner Beseitigung einer besonderen Erwähnung
bedarf, weil hier eine freilich ebenfalls durch ge-
setzggeberischen Akt zu beseitigende, aber ohne
einen solchen fortgeltende Norm über die Form
des Widerrufs vorliegt. Gleichgültig ist es aber
jedenfalls, ob der Widerruf durch einen speziell
darauf gerichteten Akt oder in einem allgemeinen
Gesetz ausgesprochen ist. Ueber die Publikation
und die Wirksamkeit des Widerrufs gelten die-
selben Grundsätze, wie für den das P. begründen-
den Akt. Nur wenn derselbe in allgemeinen Ge-
setzen enthalten ist, kommen die für solche in der
gedachten Hinsicht maßgebenden Regeln zur An-
wendung.
3. Wenn man früher vielfach auch ein Erlöschen
des P. durch Verzicht angenommen hat, so
war dies eine Verwechselung der Beseitigung
des P. als solchen und des durch das P. etwa
begründeten subjektiven Rechts [ Oesfentliche
Rechtel. Der Wille des Begünstigten vermag
die im P. liegende Anordnung des Gesetzgebers
niemals aufzuheben, vielmehr kann durch diesen
nur das Produkt derselben, die für den Privi-
legierten entstandene subjektive Berechtigung
oder Befreiung, beseitigt, andererseits aber auch
derselbe Erfolg durch sonstige Gründe, welche
im übrigen Rechte des gleichen Charakters wie
das durch das P. entstandene zur Erlöschung
bringen können, so durch Nichtgebrauch, durch
usucapio libertatis und Acquisitivverjährung her-
beigeführt werden. Die Statthaftigkeit des Ver-
zichtes insbesondere bleibt aber dadurch bedingt,
daß das P. nicht im öffentlichen Interesse gegeben
und der Begünstigte zur Ausübung desselben
nicht verpflichtet ist. Eine Annahme des an sich
zulässigen Verzichtes bedarf es für die Regel nicht,
da die P. in den meisten Fällen nur einseitige
Berechtigungen gewähren. Nur wenn ausnahms-
weise mit diesen (z. B. bei einem päpstlich verliehe-
nen Patronatrechte) Lasten verbunden sind, ist