Rechtsweg und Kompetenzkonflikt (Reich und Preußen)
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hen einander aus. Damit ist der Wert des 8 13
erschöpft. Da nämlich das Landesrecht über die
Zuständigkeit der VerwBehörden und der Verw-
Gerichte — soweit diese nicht etwa reichsgesetzlich
begründet sind — zu bestimmen hat, hängt es
zunächst von der Landes-, nicht von der Reichs-
gesetzgebung ab, wie weit die im Nebensatz fest-
gelegte Ausnahme reicht. Vor allem aber ist der
grundlegende Begriff der bürgerlichen Rechts-
streitigkeiten flüssig und ohne Heranziehung des
landesrechtlichen Staats= und Behördenrechts
nicht festzulegen. Insbesondere wäre es unrichtig,
wollte man darunter lediglich Streitigkeiten über
Ansprüche verstehen, die auf Grund des BG#B
oder im Bereich der im Einführungsgesetz für das
Landesrecht gemachten Vorbehalte geltend ge-
macht werden, also Streitigkeiten innerhalb des
reichsgesetzlich festgelegten Rahmens des bürger-
lichen Rechts (Privatrechts). Eine solche Auf-
fassung würde dahin führen, gerichtliche Klagen,
welche auf anderen Gebieten lägen, reichsrechtlich
für unzulässig zu halten, auch wenn sie landes-
rechtlich vor oder nach 1879 zum RW verstattet
wären. Eine Einengung des RW aber hat das
Reichsrecht in § 13 G nicht vornehmen wollen.
Die in den Worten des Gesetzes wie in seiner
Beratung genügend zum Ausdruck gekommene
Absicht des Gesetzgebers ging dahin, den Landes-
gesetzgebungen freie Hand zu lassen. Wenn man
so verfährt wie das Reichsgericht — das sagt, es
komme nicht darauf an, ob der Anspruch in einer
öffentlich= oder einer privatrechtlichen Norm wur-
zele, sondern darauf, ob es sich um einen Gegen-
stand des öffentlichen Interesses, des Gemein-
wohls oder um das Rechtsgut, die individuelle
Rechtssphäre des einzelnen handele, also ob der
Anspruch selbst ein privatrechtlicher sei; das sei
stets der Fall, wenn der Anspruch ein vermögens-
rechtlicher sei, — so wird allerdings kaum eine
Klage angestrengt werden, die nicht zu den bür-
gerlichen Rechtsstreitigkeiten zu rechnen wäre.
III. Die Frage läßt sich im Reich wie in Preu-
ßen nur auf Grund der Einzelbestimmun-
gen beantworten: Wo der NW für unzulässig
erklärt oder eine andere Behörde zur Entschei-
dung über einen Anspruch bestellt ist, sind die
Gerichte unzuständig; anderenfalls ist zu prüfen,
ob der Anspruch im Privatrecht oder im öffent-
lichen Rechte wurzelt. Letzteres ist anzuneh-
men, wenn das der Klage zugrunde liegende
Rechtsverhältnis nicht auf einem privaten Willens-
akt, sondern auf der Zugehörigkeit einer Person
zu einem öffentlich-rechtlichen Verbande (Staat,
Kommunalverband, öffentlich-rechtliche Genossen-
schaft, Kirche usw.) beruht.
IV. Das Reichsrecht enthält drei Bestimmun-
gen, welche die Befugnis der Landesgesetzgebung
zur Abgrenzung des RW einschränken: Für bür-
gerliche Rechtsstreitigkeiten, für welche nach dem
Gegenstand oder der Art des Anspruchs der RW
zulässig ist, darf aus dem Grunde, weil als Partei
der Fiskusll, eine Gemeindel] oder
eine andere öffentliche Korporation beteiligt ist,
der NW nicht ausgeschlossen (wohl aber beschränkt)
werden (§4 Ech ZPO). — Wegen vermögens-
rechtlicher Ansprüche der Richter''J ] aus
ihrem Dienstverhältnisse, insbesondere auf Gehalt,
Wartegeld oder Ruhegehalt, darf der RW nicht
ausgeschlossen werden (§96GVGh). — Für vermö-
gensrechtliche Ansprüche Dritter gegen die
deutschen Landesherrenl##l, deren Familien
sowie gegen die Mitglieder der Fürstl. Familie
Hohenzollern, des vormaligen Hannoverschen
Königshauses, des vormaligen Kurhessischen und
des vormaligen Herzoglich Nassauischen Fürsten-
hauses sind zwar Abweichungen von der 38PO nach-
gelassen, doch darf die Zulässigkeit des RW nicht
von der Einwilligung des Landesherrn abhängig
gemacht werden (§ 5 EG 3 PO). Sofern diese
Abweichung in der Zuweisung der Prozesse an
ein besonderes Gericht besteht, z. B. in Preußen
an den Geheimen Justizrat, muß man hier RW
im weiteren Sinne (oben §5 1 1 A) verstehen.
Im übrigen gehören die reichsrechtlichen Nor-
men über den RW Gebieten an, die reichsgesetz-
lich erschöpfend geregelt werden, z. B.:
RBG (1907) 1½ 149 f, Mil. Pens. G v. 31. 5. 06 6# 39,
60, 78, Mil. Vers. G v. 31. 6. o6 1 42, 61, 73, Mil. Hinterbl. G
v. 17. 5. 07 18 85f, BHinterbl. G v. 17. 6. 07 1# 13, 109,
GewGer G (1901) 8 6, 76 f, 84, Gew O (1900) # 81a“,
81 b., 83 11, 91—91 b, Kaufm Ger G 1# 6, 19, RöStempc
(1909) 3 94, RErbsch Ste 57, Ravon G #41, TelW G 8,
Quartierleist G #8 11 f. 17, KriegsleistS# ## 383 f, Friedens-
leistG (1898) 1 14, Gen G (1898) 4 81, Unterstützungs-
wohnsitzh (1908) #8 36 f, Patent G ## 28ff.
V. Auch im preußischen Landes-
rechte finden sich nur wenige Gesetze allge-
meinen Inhalts über den RW. Teils auf die ge-
schichtliche Entwicklung, teils auf praktische Er-
wägungen sind die zerstreuten und verschieden
gestalteten Vorschriften über Eröffnung, beschränk-
te Zulassung oder Ausschließung des RW auf den
verschiedenen Gebieten zurückzuführen.
Die geschichtliche Entwicklung der Grenze
zwischen Gerichten und Verw Behörden in Preu-
ßen ( steht in engstem Zusammenhang mit der
Entwicklung der landesherrlichen Gewalt und der
Behördenorganisation (eingehend Löning, Verw-
Arch 2 und 3). Zusammenfassend sei hervorgeho-
ben, daß — abgesehen von einer vorübergehenden
rückläufigen Bewegung in den 1830er und 1840er
Jahren — der preußische Gesetzgeber seit Friedrichs
des Großen Regierungsantritt bestrebt gewesen
ist, als größeren Rechtsschutz den RW zu erwei-
tern. Merksteine in dieser Entwicklung sind das sog.
RessortRegl v. 19. 6. 1749, die V wegen ver-
besserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei= und
Finanzbehörden v. 26. 12. 1808 — noch heute
die Grundlage des geltenden Rechts —, die
Kab O, betr. die genauere Beobachtung der
Grenzen zwischen landeshoheitlichen und fiskali-
schen. Rechtsverhältnissen, v. 4. 12. 31, — das G
über die Zulässigkeit des RW in Beziehung auf
polizeiliche Verfügungen v. 11. 5. 42, — das G,
betr. Erweiterung des RW, v. 24. 5. 61. Seit
etwa 1870 aber findet diese Tendenz, den Rechts-
schutz zu erhöhen, eine neue Richtung: durch
Schaffung einer Verw erichtsbarkeit (J/ wird
zwar der RW (im weiteren Sinne) erheblich er-
weitert, andererseits aber die Zuständigkeit der
ordentlichen Gerichte, der RW im engeren Sinne,
nach manchen Richtungen hin beschränkt. Und
diese Beschränkung setzt sich fort durch die Zuwei-
sung vieler Rechtssachen an gleichfalls neu be-
gründete besondere Gerichte, wie Gewerbe= und
Kaufmannsgerichte (Jl, Schiedsgerichte für Ar-
beiterversicherung (Versicherungsämter (JI) u. a.
So hat gerade in den letzten Jahrzehnten die