Reichsfinanzwesen (I. Ueberblick)
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der Besteuerung des Wertzuwachses getroffen
werden. Diese Steuer hat daher für die Finanz-
wirtschaft des R keine Bedeutung mehr, sondern
nur für die Finanzen der Gemeinden und Bundes-
staaten und die Vorschriften des RGesetzes haben
nur subsidiäre Geltung.
4. An Stelle dieser, nur den Wertzuwachs bei
Veräußerungen von Grundstücken betreffenden
Steuer hat das sog. Besitzsteuergesetz v. 3. 7. 13
(Rl 524) für das R eine allgemeine Vermö-
genszuwachssteuer unter der irreführenden
Bezeichnung „Besitzsteuer“ eingeführt. Es ist
hier nicht der Ort, die schweren finanzwissenschaft-
lichen und finanztechnischen Bedenken, welche
gegen diese sonderbare Besteuerungsform sich er-
heben, auszuführen; die Steuer ist ein Verlegen-
heitsprodukt; das Resultat eines Kompromisses
einander widerstreitender Parteien; ein Akt parla-
mentarischer Gesetzgebung, bei welchem die Re-
gierung Führung und Leitung verloren hat, weil
sie nicht Mut und Kraft besaß, einer Fraktion
energisch entgegenzutreten. Die Vorschriften des
Gesetzes sind sehr verwickelt, das Grundprinzip ist
durch zahlreiche Ausnahmen modifiziert, Veran-
lagung und Erhebung bieten große Schwierig-
keiten für die Finanzbehörden und setzen den
Steuerpflichtigen der Gefahr fiskalischer Schikanen
und Strafverfolgungen aus. Die Vermögens-
zuwachssteuer wirkt als Strafe für Fleiß, Unter-
nehmungsgeist und Sparsamkeit und man darf
vielleicht hoffen, daß sie in nicht zu ferner Zeit
durch eine vernünftigere und gerechtere Steuer
ersetzt werden wird. — Der Steuer unterliegt jeder
Zuwachs an Vermögen; jedoch gelten besondere
und nicht einfache Regeln darüber, was als Ver-
mögen und was als Zuwachs onzusehen ist, be-
ziehentlich was abzurechnen ist. Die Abgabe wird
nicht erhoben von dem Zuwachs, der den Betrag
von 10 000 Mk. nicht übersteigt; andererseits unter-
liegen der Steuer nicht Vermögen, deren Gesamt-
wert 20 000 Mk. nicht übersteigen (§58 12, 13).
Der Steuersatz ist nach einem Tarif nach der Höhe
des Vermögenszuwachses abgestuft und beginnt
mit 34% des Zuwachses. Ueber die Wertermitt-
lung enthält das Gesetz 95 28—47 sehr detaillierte
Regeln. Der Jahresbetrag der Steuer ist in
gleichen Halbjahrs= oder Vierteljahrsteilen zu
zahlen (5 70). Die Bundesstaaten erhalten für
die erste Veranlagung und Erhebung der Steuer
10, später 5% ihrer Roheinnahme (§ 86).
5. Die Erbschaftssteuerl“]. Dem R-
v. 3. 6. 06 zufolge ist an das R eine Steuer zu
entrichten von jedem Erwerb von Todes wegen
und von Schenkungen; ihr ist unterworfen das
gesamte bewegliche Vermögen, wenn der Erb-
lasser zur Zeit seines Todes Angehöriger eines
deutschen Bundesstaates war; ferner das im In-
lande befindliche Vermögen eines ausländischen
Erblassers, welcher zur Zeit seines Todes im
RGebiet seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Auf-
enthalt hatte; endlich in allen Fällen das in in-
ländischen Grundstücken und Immobiliarrechten
bestehende Vermögen. Die Steuer ist nach dem
Verwandtschaftsverhältnis des Erwerbers in 5
Klassen zu 4, 5, 6, 8 und 12% abgestuft und wird
bei Beträgen von über 20 000 Mk. progressiv er-
höht, so daß sie bis zu 25% des Erwerbes an-
steigen kann, ohne die Zuschläge, welche die
Bundesstaaten für eigene Rechnung zu erheben
berechtigt sind (RG v. 3. 7. 13 § 10). Die Ver-
mögenszuwachssteuer (oben 4) wird neben der Erb-
schaftssteuer erhoben. Kirchen, gemeinnützige und
fromme Stiftungen sowie die Erben land= und
orstwirtschaftlicher Grundstücke genießen Steuer-
ermäßigungen. Deszendenten und Ehegatten sind
bis jetzt von der RSteuer frei; die Einzelstaaten
sind aber berechtigt, auch Abkömmlinge und
Ehegatten mit einer Erbschafts- und Schenkungs-
steuer zu belasten. Von dem Ertrage der RErb-
schafts-- und Schenkungssteuer, deren Erhebung
den Bundesstaaten obliegt, verbleibt denselben ein
Füntel ihrer Roheinnahme (FinanzG v. 3. 7. 13
).
6. Einen einmaligen außerordentlichen
Wehrbeitrag zur Deckung der Kosten der
Heeresverstärkung hat das R v. 3. 7. 13
(Rol 505) auferlegt. Er wird erhoben teils
vom Vermögen, teils vom Einkommen und
schließt sich in vielen Einzelbestimmungen an das
Besitzsteuergesetz vom gleichen Tage an. Der Bei-
trag wird nicht erhoben von solchen Vermögen,
die 10 000 Mk. nicht übersteigen und die beitrags-
freie Vermögensgrenze erhöht sich bei einem
Einkommen von nicht mehr als 2000 Mk. auf
50 000 Mk. und bei einem Einkommen von mehr
als 2000, aber nicht mehr als 4000 Mk. auf 30 000
Mark. Die Abgabe steigt nach der Größe des
Vermögens von 0,15% bis 1,5% vom Vermögen
und von 1°, bis 8% nach der Höhe des Ein-
kommens ( 32). Der einmalige Beitrag ist in
drei Jahresraten zu entrichten (§ 51).
7. Ueberschüsse der gewerbsmeä-
ßbigen Betriebe des R'J Reichsvermögen
#s 3, 4 unten S 282, 2831. Hierzu gehören:
a) Die Ueberschüsse der Post= und Tele-
graphen verwaltung; jedoch verwalten Bayern
und Württemberg nach a 52 der RV ihr Post-
und Telegraphenwesen auf eigene Rechnung und
haben an den zur R Kasse fließenden Einnahmen
keinen Teil. Zwischen den Verwaltungen des R
und Württembergs besteht ein Sozietätsverhältnis;
die Ueberschüsse werden nach einem vereinbarten.
Maßstabe verteilt, so daß die Postwertzeichen
einheitlich sind.
b) Reinertrag der Reichsdruckerei (S282)
und der Herausgabe des R- und Staatsanzeigers.
c) Der Gewinn aus dem Betriebe der Reichs-
eisenbahnen in Elsaß-Lothringen und der
vom R in Pacht genommenen Wilhelm-Luxem-
burg-Eisenbahn.
d) Der Gewinn aus der Münzprägung I/I.
e)Der Anteil des Ran dem Reingewinn der
Reichsbank l/I und der Ertrag der Bank-
notensteuer (BankG#v. 14. 3. 75 5 24 und § 9
R v. 7. 6. 99 a II (Ruel 311).
8. Die Zinsen und Zuschüsse aus
Reichsfonds (Finanzvermögen) und Zinsen
und Rückzahlungen der an Schutzgebiete und an
die ostafrikanische Eisenbahngesellschaft gegebenen
Darlehen. ç
9. Verwaltungseinnahmen im
engeren Sinne, nämlich Gebühren (J1, welche für
die Amtshandlungen der RBehörden, z. B. des
Rerichts, der Konsulate (7/), des Patentamtes 191
usw. zu entrichten sind, ferner die finanziellen.
Nebennutzungen des Verw Vermögens durch Ver-
mietung, Verpachtung u. dgl., sowie der Erlös für
entbehrlich oder unbrauchbar gewordene Grund-