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Reichsfinanzwesen (IV. Reichshaushaltsetat)
entwickelt worden. Es ist zu unterscheiden zwischen
dem Gesetz, betreffend die Feststellung des
Etats, und dem Etat selbst, welcher dem
Gesetz als Anlage beigefügt ist. Das Gesetz kann
sich darauf beschränken, die Gesamtsumme der
Ausgaben und Einnahmen zu konstatieren; es
kann aber auch überdies Anordnungen enthal-
ten, welche mit der Finanzwirtschaft des R in Zu-
sammenhang stehen (z. B. Ermächtigungen zur
Ausgabe oder Kündigung von Anleihen, von
Schatzscheinen) oder welche aus einem zufälligen
Grunde bei Gelegenheit der Etatsfeststellung ge-
troffen werden.
Der Etat besteht aus den beiden Hauptabteilun-
gen, Ausgaben und Einnahmen. Der Ausgaben-
etat zerfällt in die fortdauernden und einmaligen
Ausgaben, und bei den letzteren werden die ordent-
lichen und außerordentlichen Etats unterschieden,
je nachdem die Ausgaben aus den regelmäßigen
Einnahmequellen oder aus den Beständen des Fi-
nanzvermögens oder den Erträgen der Anleihen
gedeckt werden. Der Einnahmeetat ist ein Netto-
etat, d. h. die Kosten der Erhebung und Verwaltung
und die Anteile der Einzelstaaten werden in Ab-
zug gebracht.
Beim Militäretat werden für Preußen,
Sachsen und Württemberg die Ausgaben bei den
einzelnen Titeln in Parallelkolonnen aufgeführt.
Hinsichtlich Bayerns wird gemäß dem Vt v. 23. 11.
70 III 58 6 Ziff. II der für das bayerische Kontin-
gent zu verwendende Geldbetrag in einer Gesamt-
summe ausgeworfen, während die Aufstellung
der Spezialetats Bayern überlassen bleibt, wo-
bei aber die Ansätze des Rtats zur Richtschnur
zu nehmen sind.
Eine besondere Beilage bildet der Besoldungs-
und Pensionsetat des ReichsbankDirekto-
riums; derselbe wird zwar im Wege der Resetz-
gebung festgestellt, die Ausgaben erfolgen aber
aus den Mitteln der RBank. Ebenso wird der
Besoldungs= und Pensionsetat des Direktoriums
der RVersicherungsanstalt für Angestellte zwar
durch den RH festgestellt, die Ausgaben erfolgen
aber zu Lasten der Vlnstalt für Angestellte.
Gv. 20. 12. 11 5 102.
Für die Schutzgebiete wird nach dem Gv.
30. 3. 92 ein besonderes Etatsgesetz erlassen.
§5 3. Die Ausgaben. a 69 stellt an die Spitze
des die RFinanzen betreffenden Abschnitts der RV
den Grundsatz, daß alle Einnahmen und Ausgaben
des R für jedes Jahr veranschlagt und auf
den RHpEtat gebracht werden. Die RV erklärt
daher ausdrücklich, daß der Etat ein Voran-
schlag ist. a 71 bestimmt weiter, daß die ge-
meinschaftlichen Ausgaben in der Regel für
ein Jahr bewilligt werden, bezieht sich daher
allein auf die Zeit, auf die Dauer der Be-
willigung. Dagegen enthält die RVkeine Vor-
schrift, inwicweit der RT und BR zur „Bewil-
ligung“ von (Einnahmen und) Ausgaben ver-
pflichtet oder zur Verweigerung befugt sind.
Hält man den obersten Grundsatz des konstitu-
tionellen Staatsrechts fest, daß das bestehende
Recht und die rechtlich begründeten Institutionen
des Staates nur unter Uebereinstimmung von
Souverän und Volksvertretung, nicht einseitig
von einem einzelnen der bei der Gesetzgebung
zusammenwirkenden Organe verändert werden
durfen, so ergibt sich die Konsequenz, daß der
RT — und ebenso der BR — nicht einseitig
die bestehenden Gesetze durch Verweigerung der zu
ihrer Ausführung notwendigen Mittel suspendie-
ren oder aufheben kann. Der Etat ist nicht ein
Organisationsgesetz des ganzen R für je ein Jahr,
sondern ein Wirtschaftsplan;z er setzt eine gesetzlich
feststehende Organisation als feste Grundlage vor-
aus. Es folgt aus diesem Prinzip der Rechtssatz,
daß das Ausgabenbewilligungsrecht des RT und
des BR durch die bestehenden RGesetze
und Einrichtungen gebunden ist, d. h. daß Aus-
gaben, welche zur Durchführung und Aufrechter-
haltung derselben erforderlich sind, nicht ver-
weigert werden dürfen. Wenn ein anderes Gesetz
nicht zustande kommt, so hat dies keine Rechts-
wirkung, d. h. das bestehende Recht und die be-
stehenden Einrichtungen des R bleiben unver-
ändert; wenn dagegen das Etatsgesetz nicht zu-
stande kommt, so hat dies die positive Rechts-
wirkung, daß an Stelle der von der NRV vorge-
schriebenen etatsmäßigen Finanzverwaltung die
budgetlose tritt. Die gesetzgebenden Organe des
R haben daher die verfassungsmäßige Pflicht,
den Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben
alljährlich festzustellen und dürfen sich dieser
Pflicht nicht durch einseitige Abänderungen des
bestehenden Zustandes entziehen.
Die Ausgaben zerfallen mithin in dieser Be-
ziehung in zwei Kategorien, willkürliche und not-
wendige (im staatsrechtlichen Sinne). Die ersteren
dürfen vom RT und B nach Belieben verwei-
gert werden und ihre Genehmigung hat den
Charakter einer wirklichen Bewilligung, ohne
welche die Regierung zur Verausgabung nicht er-
mächtigt ist. Die anderen dürfen nicht von einer
der beiden Körperschaften ohne Zustimmung der
anderen und des etwa berechtigten Gläubigers
verweigert werden; ihre Bewilligung hat nicht den
Charakter einer Zahlungsermächtigung für die
Regierung, sondern eines Anerkenntnisses
der Notwendigkeit oder Angemessenheit der Aus-
gabe; der eigentliche Rechtsgrund derselben ist un-
abhängig vom Etat in RGesetzen oder Verträgen
gegeben.
Im Gegensatz zu dieser Auffassung steht eine
weitverbreitete Theorie, welche von dem Axiom
ausgeht, daß die Regierung zu keiner Aus-
gabe ohne Ermächtigung durch das Etatsgesetz be-
fugt sei. Sie setzt an die Stelle einer festen, durch
Gesetze begründeten Ordnung das alljährliche
Belieben einer nicht verantwortlichen und in ihren
Beschlüssen von unkontrollierbaren Motiven ge-
leiteten Parlaments-Majorität. In der RV findet
diese Ansicht ke ne Stütze.
#§s 4. Die Einnahmen. Die RV spricht von einer
„Bewilligung"“ derselben nicht; die Einnahmen
beruhen vielmehr auf dauernden, einer jährlichen
Genehmigung nicht bedürftigen, gesetzlichen Titeln.
Die Ansätze des Etats sind keine Ermächtigungen,
sondern finanzwissenschaftliche oder kalkulatorische
Schätzungen. Neue, d. h. in den bisherigen Ge-
setzen nicht begründete Einnahmequellen können
nur unter Zustimmung des BR und des RIL ein-
geführt werden; auch zur Kontrahierung von An-
leihen und zur Verwendung von RFinanzvermö-
gen bedarf die Regierung der gesetzlichen Ermäch=
tigung. Hinsichtlich des Verw Vermögens bestimmt
das R v. 25. 5. 73 § 10 (RG#Bl. 115), „daß alle
Einnahmen aus der Veräußerung von Grund-