Reichstag — Religionsgesellschaften
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vorgängigen Erlaubnis (Zensur) zu unterwerfen.
Ferner darf a) das Wort nur aus rechtlichen Ur-
sachen verweigert werden (Bemerkung zur Ge-
schäftsordnung, mangelnde Unterstützung; Ver-
tagung; Schluß der Debatte); lediglich den Zeit-
punkt der Erteilung bestimmt der Präsident;
b) Unterbrechen (Verweisen zur Sache; keine per-
sönliche Bemerkung; Ablesen; Redezeit abge-
laufen; Ordnungsruf) und Abschneiden (Wort-
entziehung) ist ebenfalls nur aus geschäftsord-
nungsmäßigen Gründen erlaubt; der Redner be-
sitzt auch einen Anspruch gegen den Präsidenten
auf Schutz gegen Unterbrechen durch andere
(Regierung, Kollegen, Tribüne); c) Vertagungs-
und Schlußanträge sind erschwert. Dagegen sind
folgende Präventivbeschränkungen gegeben: a)
keiner darf sprechen, ohne das Wort erbeten und
erhalten zu haben (Zwischenrufe daher unzulässig);
b teils direkt (Verweigerung des Wortes zur Ge-
schäftsordnung), teils indirekt (Vertagung; Schluß
der Debatte, Uebergang zur Tagesordnung)
können Präsident und Plenum dem Halten von
Reden vorbeugen; teils tut es die Geschäftsord-
nung unmittelbar (Kautelen gegen Mißbrauch des
Antrag-, Anfrage= und Interpellationsrechtes);
) der Redner darf an dem Ablesen seiner Rede
gehindert werden; nur Leute mit genügender
Bildung sollen reden (und gewählt werden);
obenan steht das Staatswohl, nicht Ehrsucht und
Wahlkreisinteresse; d) statthaft ist, den Redner zur
Sache zu verweisen; fährt er im Abschweifen fort,
so darf er zum Schluß gezwungen, d. h. ihm auf
Anfrage des Präsidenten von der Versammlung
ohne Debatte das Wort entzogen werden; dies
ist keine Strafe wegen Ordnungsverletzung, son-
dern Maßnahme gegen unnötiges Verlängern der
Beratung.
5 8. Präsidialgewalt. A. Die Präsidialgewalt
gegen die Abgeordneten zerfällt rechtlich
in zwei Gruppen von Befugnissen. Die Ausübung
der einen ist vor dem Plenum anfechtbar (Fest-
setzung der Tagesordnung; Fragenstellung; Ord-
nungsruf; Ausschließen von der Sitzung), die
der anderen nicht. Im Zweifel gilt letzteres; denn
Leitung und Handhabung der Ordnung ist nach
der Geschäftsordnung Sache nur des Präsidenten
und nicht des Plenums. Daher: a) er eröffnet,
unterbricht und schließt die Sitzung und bestimmt
Tag und Stunde der Sitzung nach freiem Ermes-
sen; b) ebenso erteilt er das Wort zur Geschäfts-
ordnung, während sonst der Satz gilt, wer sich
meldet, dem darf das Wort nicht verweigert wer-
den; c) die Reihenfolge unter den Gemeldeten
bestimmt er rechtlich frei, durch Brauch ist er teil-
weise gebunden (Parteienstärke); d) gegen Ver-
weisen zur Sache gibt es kein Einspruchsrecht;
e)das Plenum kann den Präsidenten nur bitten,
nicht zwingen, einen Ordnungsruf zu erteilen. —
Die Ausübung der Präsidialgewalt ist nicht nur
Recht, sondern Pflicht, denn der Präsident muß
die äußere Ordnung und Würde der Verhandlung
wahren und die Geschäfte leiten und damit för-
dern. Zur tatsächlichen Unterstützung dient ihm
der Seniorenkonvent (lelltestenrat), der
zwischen den Parteien (über Zeit und Art der
Geschäftseinteilung, also auch Rednerliste usw.)
verständigt.
B. Ueber Witglieer. besitzt der Präsident auch
Disziplin, über Nichtmitglieder nur Polizei. Die
Diensträume des Parlaments sind immun.
Andere Staatsorgane als die, welche den Verkehr
zwischen Regierung und Polizei pflegen, haben
— im Interesse der Unabhängigkeit der Volksver-
tretung (StG s 339, 106, 105) — ohne Er-
laubnis des Präsidenten keinen Zutritt zu den
Räumen.
8 9. Abteilungen und Kommissionen. Die Ab-
teilungen werden durch Los gebildet und jedes
Mitglied gehört einer und nur einer Abteilung an;
die Kommissionen werden gewählt, ein Mitglied
kann mehreren angehören. Die Abteilungen haben
herkömmlich die Vorprüfung der Vollmachten der
Mitglieder, sind also Wahlvorprüfungsausschüsse;
das Prüfungsgeschäft soll dadurch beschleunigt
werden, daß mehrere solche Ausschüsse vorhanden
sind. Zweitens wählen sie die Kommissionen. Der
Herrschaft der Kommissionen (Komiteeherrschaft)
soll vorgebeugt werden dadurch, daß alle Mitglie-
der an der Wahl teil haben. Allein die zur Ge-
schäftserledigung notwendige Entwicklung des
Fraktionswesens hat die Unabhängigkeit des Ab-
geordneten aufgehoben; er untersteht dem Frak-
tionszwang; von der Fraktion hat er tatsächlich ein
imperatives Mandat. So stimmt er in der Kom-
mission nach Fraktionsbeschluß; insbesondere die
Verteilung der Sitze in den Kommissionen werden
zwischen den Fraktionsvorständen vereinbart. (Die
neue Gesch O der II. bad. Kammer v. 16. 7. 12
hat daher die Abteilungen auf die Wahlprüfung
beschränkt; die Kommissionen werden unmittelbar
von der Kammer gewählt; dabei ist vorgeschrieben,
daß die Fraktionen nach ihrer Stärke beteiligt
werden sollen). —Der RT zerfällt in 7 Abteilungen.
Deshalb bestehen die RTKommissionen aus 7 oder
einem Vielfachen von 7 Mitgliedern (14, 21, 28
usw.); denn jede Abteilung wählt die gleiche Zahl.
Literatur: Die Lehrbücher des (Reichs.) Staats-
rechts, außerdem Hatschek, Die Organisation der mo-
dernen Volksvertretung, 1912; Derselbe, Das Inter-
vellationsrecht, 1909 (dazu Laband, DJZ## 1009 S 677).
Weitere Lit. bei Landtag, Abgeordnete, Wahlrecht, Reichs-
verfassung. Rebm.
Ws.
Prisenangelegenheiten
Religionsgesellschaften
A. Die christlichen Religionsgeselschaften
(Gewissensfreiheit, Evangelische Kirche, Katho-
lische Kirche, Kirchenhoheit.)
5 1. Geschichtliches. 1 2. Heutige Grundsätze. # 3. Lan-
deskirchen. # 4. Religionsgesellschaften mit Korporations-
rechten. 5. Religionsgesellschaften ohne Korporations-
rechte.
5 1. Geschichtliches. 1. Dem kanonischen Recht
ist der Begriff R. unbekannt (J Katholische Kirchel.
Religiöse Bildungen außerhalb der Kirche tragen