Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

Religionsgesellschaften (A. Christliche) 
  
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keit) eingeräumt. Die für gemischte Ehen sich 
hier ergebenden Schwierigkeiten sind allenthalben 
zum Gegenstande staatsgesetzlicher Vorschriften 
gemacht, welche sämtlich die von der katholischen 
Kirche erhobene Forderung ausschließlich katholi- 
scher Kindererziehung ablehnen, positiv aber in 
zwei Gruppen zerfallen, deren eine das Religions- 
bekenntnis des Vaters als des für die Ehe bestim- 
menden Teiles entscheiden, während die andere 
eine Teilung der Kinder nach dem Geschlecht ein- 
treten läßt; die Freiheit der Eltern, unabhängig 
von diesen (dann nur subsidiär wirkenden) Vor- 
schriften das Religionsbekenntnis der Kinder nach 
Belieben zu bestimmen, ist meist anerkannt, teil- 
weise aber auch, da das Religionsbekenntnis kein 
Vertragsobjekt sein könne, ausgeschlossen (Litera- 
tur und Einzelangaben bei Friedberg, Kirchenrecht", 
287 Anm. 10 ff). 
c) In Verfolg des Grundsatzes der Religions- 
freiheit sind aufgehoben alle kirchlichen Vor- 
schriften, welche den Erwerb und Genuß der bür- 
gerlichen oder staatsbürgerlichen Rechte irgendwie 
von der Erfüllung religiöser Pflichten abhängig 
machten, so der Zwang, Kinder taufen, Ehen kirch- 
lich einsegnen zu lassen, der Zwang der Chelosig- 
keit, welcher in einzelnen kirchlichen Eheverboten 
lag (ordines majores, votum solemne), der Zwang 
absoluter Unlösbarkeit des Ehebandes, den das 
kanonische Recht durch das Verbot der Eheschei- 
dung aufstellt (dies alles ergibt sich aus dem R v. 
6. 2. 75), der Zwang kirchlicher Beerdigung (V1 — 
teils durch völlige Sakularisierung der Begräbnis- 
stätten (so auf dem linken Rheinufer, in Nassau, 
meist in Hessen, Baden, Württemberg, teilweise 
auch Bayern), teils unter Aufrechthaltung ihres 
konfessionellen Charakters durch gesetzliche Für- 
sorge, daß jedermann ein geordnetes bürgerliches 
Begräbnis empfängt (Thudichum 1, 92ff, bes. 
29 ff; ALK II 11 & 189; bayer. Rel.Ed. § 100; 
württ. V v. 12. 9. 1818). 
d) Aus dem vorigen ergibt sich die notwendige 
Folgerung, daß diejenigen amtlichen Urkunden, 
auf welchen der Personenstand IJI] der 
Bevölkerung beruht (Geburts-, Heirats-, Sterbe- 
register) ohne Rücksicht auf die Konfession in 
bürgerlicher Weise eingerichtet und von bürger- 
lichen Beamten geführt werden müssen, wie dies 
auch durch die deutsche Reichsgesetzgebung ein- 
gerichtet wurde (G v. 6. 2. 75). 
e) Der Zusammenhang des Schulwesens 
mit Religion und Kirche besteht teils fort, teils ist 
er gelöst (über die Entwicklung Hinschius, KR. 4, 
572—690). Historisch sind alle Schulen, höhere wie 
niedere, im wesentlichen eine Frucht kirchlicher 
Arbeit. Die moderne Entwicklung, bestimmt 
durch das Prinzip der Religionsfreiheit, geht da- 
hin, den Zusammenhang von Kirche und Schule 
mehr und mehr zu lösen. Alle deutschen Staaten 
haben demgemäß das Unterrichtswesen I/ durch 
die Staatsgesetzgebung geordnet und zwar fast 
alle in der Weise, daß das höhere (Universi- 
täten J ) überall, das mittlere (Gymnasien) zum 
größten Teile direkt vom Staate verwaltet wird, 
indes ein Teil des mittleren (so in Preußen) 
und der weitaus größte Teil des Elementar- 
schulwesens [X Volksschule] vom Staate in kom. 
munale Selbstverwaltung überwiesen ist. Dem 
Privatschulwesen M einschließlich der unter diesen 
Begriff fallenden Schulen von Kirchen und R. 
  
bleibt bei dieser Entwicklung nur mehr geringer 
Raum. Private Universitäten sind in Deutschland 
nirgends zugelassen; private Gymnasien sind in 
Reringer Zahl vorhanden, doch unter strenger Auf- 
icht des Staates; private Elementarschulen stehen 
gleichfalls unter der genau geordneten Aufsicht 
des Staates (preuß. G v. 11. 3. 72). Das ganze 
System ist beherrscht von dem staatlich fixierten 
Schulzwang. 
f) Religiöse Bildungen, welche den Grundsatz 
der Religionsfreiheit zu bekämpfen bezwecken, 
können im Staate nicht zugelassen werden; dem- 
emäß hat das Deutsche Reich die Gesellschaft 
Seia IXl] und die mit ihr verwandten Orden (/#I 
und Kongregationen (Lazaristen, Gesellschaft vom 
heiligen Herzen Jefu) gesetzlich von seinem Ge- 
biete ausgeschlossen und den einzelnen Mitglie- 
dern solcher Gesellschaften jede Wirksamkeit in 
Liche W Schule untersagt (Gv. 4. 7. 72, 
8) Der Staatsschutz, welcher den R. ge- 
währt wird, ist grundsätzlich gleich (jedoch St G B 
§#& 166, 167; Hinschius 252). 
§ 3. Landeskirchen. 1. Neben der im vorigen 
dargelegten Gedankenreihe, welche im 19. Jahr- 
hundert, besonders seit 1848, die staatsrechtliche 
Entwicklung beherrscht, steht eine zweite, welche 
ältere Anknüpfungspunkte hat und unzweifelhaft 
für die öffentlichen Verhältnisse der heutigen Welt 
noch große Bedeutung besitzt, das sog. Landes- 
kirchentum, das auch in preuß. Vl. a 14 eine 
allerdings sehr unbestimmt formulierte Anerken- 
nung gefunden hat (, die christliche Religion wird 
bei denjenigen Einrichtungen des Staates, welche 
mit der Religionsübung in Zusammenhang 
stehen, unbeschadet der im a 12 gewährleisteten 
Religionsfreiheit zum Grunde gelegt“). Der 
Begriff Landeskirche ist nicht gesetzlich fixiert, son- 
dern kann nur geschichtlich abgeleitet werden. 
Landeskirchen sind in Deutschland fast allent- 
halben, jedenfalls in sämtlichen größeren Einzel- 
staaten, die katholische und evangelische Kirche. 
Zur katholischen Kirche [) gehören in Preußen, 
Bayern, Baden, Hessen nach staatlichem Recht 
auch die Altkatholiken, sei es kraft son- 
dergesetzlicher Bestimmung (preuß. G v. 4. 7. 75, 
bad. G v. 15. 6. 74 über die Beteiligung der Alt- 
katholiken an Kirchenvermögen), sei es kraft der 
rechtlichen Annahme, daß eine Trennung zwi- 
schen römischen und Altkatholiken nicht erfolgt 
sei; doch unterstehen die Altkatholiken in Deutsch- 
land und in der Schweiz einem eigenen Bischof. 
(Literatur bei Friedberg, Kirchh", S. 835). 
Die rechtliche Stellung der katholischen Kirche 
als Landeskirche ist der Rest jener älteren Auf- 
fassung, wonach erst die Kirche den Staat völlig 
beherrschte, dann nach Ueberwindung der hiero- 
kratischen Periode wenigstens in den katholischen 
Staaten die allein berechtigte Kirche („ecclesia 
dominans“) war (bayer. Konkordat von 1817 aljz 
österr. Konkordat von 1855 a 1). Beide Systeme 
sind in den deutschen Staaten überwunden, aber 
eine Anzahl von Privilegien, welche aus der 
früheren Zeit herrühren, hat die katholische Kirche 
heute noch. 
Aehnlich die evangelische Kirche (NI. Auch sie 
war im nachreformatorischen Staate, wo aner- 
kannt, ecclesia dominans; begründet wurde dies 
nicht mit der katholischen Forderung der Ueber-
	        
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