Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Selbstverwaltung (B. Deutsch-Südwestafrika) 
Besiedelung und Erschließung trat neben den mili- 
tärischen Maßnahmen immer mehr auch die 
Notwendigkeit rein verwaltungsmäßigen Vor- 
gehens zutage, und damit die Zweckmäßigkeit, die 
Zivilbevölkerung an den Aufgaben der Verwal- 
tung zu beteiligen. Die Möglichkeit, für das öffent- 
liche Leben der Schutzgebiete bestimmte Perso- 
nengesamtheiten zu gemeinsamen Rechten und 
Pflichten zusammenzuschließen, gab die Kaiserl 
V, betr. die Vereinigung von Wohnplätzen in den 
Schutzgebieten zu kommunalen Ver- 
bänden v. 3. 7. 99 (Rl 366), die den RK 
ermächtigte, Wohnplätze in den Schutzgebieten 
zu kommunalen Verbänden zu vereinigen und die 
näheren Bestimmungen über ihre Organisation zu 
treffen. Praktischer Gebrauch wurde von dieser 
Verordnung erst 1901 in Ostafrika gemacht (un- 
ten & 3), während in Südwest durch Gouv. #„Pg 
v. 18. 12. 99 ohne Gründung von Verbänden die 
Einrichtung von Bezirksräten dergestalt angeord- 
net wurde, daß jeder Bezirksamtmann verpflichtet 
sein sollte, sich einen ständigen Beirat von 3 Mit- 
gliedern aus dem Stande der Kaufleute, der 
Farmer und der Handwerker zu schaffen und die- 
sen Beirat vor allen gesetzgeberischen Maßnahmen 
zu hören. Die Möglichkeit, die Bevölkerung an 
der Landesverwaltung teilnehmen zu lassen, 
wurde durch V'g des RK betr. die Bildung von 
Gouvernementsräten v. 24. 12. 03 
(KBl 1904, 1), für alle Schutzgebiete mit Ausnah- 
me von Kiautschou [JI geschaffen. Unter teil- 
weiser Anlehnung an Einrichtungen in den eng- 
lischen Kronkolonien wurde bei jedem Gouverne- 
ment ein Gouvernementsrat gebildet, der sich 
aus dem Gouverneur, einer Anzahl von Schutz- 
gebietsbeamten („amtlichen“ Mitgliedern) und 
einer Anzahl von weißen Einwohnern des Schutz- 
gebietes („außeramtlichen“" Mitgliedern) zusam- 
mensetzt. Als Mindestzahl müssen jedem Gou- 
vernementsrate drei außeramtliche Mitglieder 
angehören, und die Zahl der amtlichen Mitglieder 
darf die der nichtamtlichen nicht übersteigen. Auch 
die außeramtlichen Mitglieder werden — nach 
gutachtlicher Anhörung der Berufskreise — vom 
Gouverneur ernannt. Dieser Gouvernementsrat 
hat begutachtende Tätigkeit hinsichtlich 
der Vorschläge für den jährlichen Haushalts- 
anschlag und der Entwürfe der von dem Gouver- 
neur zu erlassenden oder in Vorschlag zu bringen- 
den Verordnungen, soweit sie nicht lediglich lokale 
Bedeutung haben. 
Einen wirklich systematischen Ausbau hat die 
Teilnahme der Bevölkerung an der Verwaltung 
bisher nur im südwestafrikanischen 
Schutzgebiete erfahren, wo durch V des 
RK v. 28. 1. 09 (KBl 141) der Versuch gemacht 
wurde, die Teilnahme der Bevölkerung nach Maß- 
gabe des erreichten Grades der Leistungsfähigkeit 
in organischer Entwicklung für die lokale, für die 
Bezirks= und für die Landesverwaltung zu regeln 
(unten & 2). Bei dieser Regelung sind Kommunal= 
körper sowohl in Gestalt neugegründeter Ge- 
meinden als in Gestalt von Bezirksverbänden ge- 
schaffen worden; gleichzeitig ist eine aus den 
Kommunalkörpern heraus sich entwickelnde Ver- 
tretung der Bevölkerung bei der Landesverwal- 
tung, ein Landesrat errichtet worden. Im übrigen 
steht die Entwicklung kommunaler Verwormen in 
allen Schutzgebieten in den allerersten Anfängen. 
  
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##2. Südwestafrika. 
1. Die örtliche Selbstverwaltung findet ihre 
Verkörperung in Gemeindeverbänden. 
Die Einführung der Gemeindeverwaltung ist 
geschehen für die Orte Windhuk, Swakopmund, 
Lüderitzbucht, Keetmanshoop, Klein-Windhuk, 
Okahandja, Omaruru, sofort; für die Orte Usakos 
und Tsumeb durch V des Gouverneurs v. 23. 6. 10 
(KBl 717 f). 
a) Da es sich um deutsche Gemeinden in deut- 
schem Lande handelt, ist die deutsche Bevölkerung 
grundsätzlich die Trägerin des aktiven und passi- 
ven Gemeindewahlrechts. Die Gemeinde hat 
aber die Befugnis, das Wahlrecht und damit die 
Wählbarkeit ihrerseits an Nicht-Deutsche zu ver- 
leihen. Zur Wahrung der Rechte der Eingeborenen 
sind Eingeborenen-Kommissare berufen. Nur 
durch den Kommissar können die Eingeborenen in 
der Gemeinde ihre Rechte ausüben. 
b) Die Gemeinde ist eine Körperschaft des öffent- 
lichen Rechtes. Ihre Befugnisse gipfeln darin, 
daß sie ihre Angelegenheiten in dem ihr zugewie- 
senen Umfange selbständig regeln und verwalten 
kann. Die einzelnen der Gemeindeverwaltung 
überwiesenen Aufgaben werden besonders 
aufgeführt. Soweit eine Gemeinde durch Ueber- 
tragung dieser Pflichten zu schwer belastet wer- 
den würde, ist die Möglichkeit einer Erleichterung 
geschaffen, wie andererseits für die Zukunft auch 
die Möglichkeit einer Ausdehnung des Aufgaben- 
kreises vorgesehen ist. Zwei Aufgaben, die einen 
wesentlichen Bestandteil heimischer Gemeinde- 
verwaltung bilden, sind den Gemeinden Südwest- 
afrikas zunächst nur in beschränktem Umfange 
überwiesen worden: Schule und Polizei. 
c) Die Handhabung der Gemeindeverwaltung 
liegt bei dem Gemeinderat. Der Gemeinde- 
rat ist unter Einhaltung eines besonderen Verfah- 
rens befugt, auf allen der Gemeindeverwaltung 
unterstellten Gebieten Bestimmungen mit öffent- 
lichrechtlicher Kraft zu erlassen. Die Zusam- 
mensetzung des Gemeinderats ist den Gemeinden 
selbst überlassen; nur die bindende Vorschrift 
einer Mindestzahl von vier Mitgliedern neben 
dem Vorsitzenden ist gegeben. Beamtengqualität 
hat lediglich der Gemeindevorsteher und sein ein 
für allemal zu wählender Vertreter. Die Wahl 
der Gemeinderatsmitglieder geschicht durch die 
Gemeindeangehörigen aus ihrer Mitte. Wahl- 
berechtigt sind alle über 25 Jahre alten deutschen, 
wirtschaftlich selbständigen Gemeindeangehörigen 
männlichen Geschlechts, die mindestens zwei 
Jahre lang ihren Wohnsitz im Gemeindebezirk 
haben. Die Wahl geschieht auf eine Periode von 
vier Jahren. Es ist den Gemeinden überlassen, 
Wahlverfahren und Wahlsystem nach eigenem Er- 
messen ortsgesetzlich zu regeln; aber für den Regel- 
fall ist ein kombiniertes Wahlverfahren eingeführt 
worden, und zwar dergestalt, daß die Hälfte der 
Gemeinderatsmitglieder aus allgemeinen, glei- 
chen, direkten Wahlen und die andere Hälfte aus 
berufsständischen Wahlen hervorgeht. Auf diese 
Weise hat man die Garantie, daß in jeder Ge- 
meinde die hauptsächlichsten Berufsstände wirk- 
lich vertreten sind, daß aber auch das Stärkever- 
hältnis der einzelnen Bevölkerungsschichten in 
den allgemeinen Wahlen zum Ausdruck kommen 
kann. Die Wahl des Gemeindevorstehers ist dem 
Gemeinderat überlassen. Es ist Sache der Ge-
	        
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