Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Selbstverwaltung (C. Internat. Niederlassung in Schanghai) 
  
  
  
wirkung des Generallonsuls auf die Gemeinde- 
verhãältnisse]. 
II. Die internationale Nbildet eine Gemeinde 
mit dem Rechte der Selbst Verw unter der Aufsicht 
des Konsularkorps sämtlicher Vertragsmächte. Sie 
übt die Polizei, verwaltet insbesondere das Ge- 
werbe= und Verkehrswesen und hat das Recht, 
Abgaben innerhalb der N, auch von den Chinesen, 
zu erheben (praktisch sind besonders Mietsteuer, 
Grund= und Gebäudesteuer, Kaigelder). 
1. Organisation: Die Gemeindeversamm- 
lung (rate payers moeoting) besteht aus den in 
der N angesessenen Angehörigen von Vertrags- 
staaten, die für ein Grundstück im Werte von wenig- 
stens 500 Taels Grund= oder Gebäudesteuer zahlen. 
Sie tritt — unter dem Vorsitz des Doyens des 
Konsularkorps — jährlich im Februar zur Fest- 
stellung des Budgets zusammen, wird aber vom 
Gemeinderat auch für jede wichtigere Ent- 
schließung einberufen. Die Gemeindeversammlung 
wählt auf ein Jahr den Gemeinderat 
(council for the foreign community) mit 9 Mit- 
gliedern, die 50 Taels Jahressteuer oder doch eine 
Steuer von einer Jahresrente von 1200 Taels 
zahlen; darunter befinden sich regelmäßig 7 Eng- 
länder, 1 Amerikaner und 1 Deutscher. 
Der Gemeinderat führt die laufende Verwaltung, 
deren Umfang in der Höhe des Budgets zum Aus- 
drucke kommt (1905 rund 1½ Millionen Taels). 
2. Justiz. Es gilt materielles und Prozeß= 
recht nach dem Rechte für die Konsulargerichtsbar- 
keit der einzelnen Staaten für deren Angehörige 
(vgl. Niemeyers Zeitschrift 22 S 554; 23 S 258). 
Für englische Staatsangehörige besteht in Schang- 
hai ein besonderer supremo court of China. Dieses 
Nebeneinander verschiedener Rechte und Gerichte 
birgt Unzuträglichkeiten. Der Wunsch nach ge- 
mischten Gerichten, ähnlich denen in Aegypten, 
wird deshalb von angesehenen Kaufleuten auf- 
gestellt (vgl. Dauge S 859). 
a) Besondere Vorsorge getroffen ist nur für Strei- 
tigkeiten zwischen Fremden und Chine- 
sen, die in der N wohnen. Maßgebend geblie- 
ben ist das (zunächst nur auf ein Jahr berechnet 
gewesene) englische Regl v. 20. 4. 69 (Abdruck 
bei W. F. Mayers, Treaties“", 1902, 236) mit 
Abänderungen, und der Vt zwischen England 
und China zu Tschifu v. 13. 9. 76 (Martens, Nou- 
veau recueil des traitées II 3, S 507). Als Be- 
klagte oder Angeklagte werden Chinesen von 
chinesischen Richtern, die in der N amtieren, bei 
schwereren Straffällen von dem Distriktsrichter in 
der Chinesenstadt, abgeurteilt. Ist bei dem Falle 
ein Fremder als Kläger oder Verletzter beteiligt, 
so wirkt bei der Verhandlung der Konsul seines 
Landes (oder dessen Vertreter, in der Regel der 
Dolmetscher) mit — sog. gemischtes Ge- 
richt, mixedc court —, jedoch nicht (auch heut 
niemals ?) mit entscheidender Stimme, sondern zur 
„Ueberwachung des Verfahrens im Interesse der 
Gerechtigkeit" mit einem Einspruchsrecht gegen 
die Entscheidung. Meist stellt das Urteil ein Kom- 
promiß zwischen den Ansichten des Richters und 
des Dolmetschers dar (teilt Forke S 19 aus eigener 
Praxis mit). Bei der Macht der Fremden ge- 
nügt das tatsächlich, um die Chinesen gegen die 
Grausamkeit ihrer eigenen Justiz zu schützen 
(Fälle bei Rioche 393, 400), bleibt aber doch recht- 
lich unzulänglich. 
  
  
Fall, daß ein Fremder von einem Chinesen ver- 
klagt oder wegen Verletzung eines Chinesen ange- 
klagt ist, ist eine entsprechende Teilnahme des 
chinesischen Richters an der Konsularjustiz vorge- 
sehen (indessen selten praktisch: Encyclopaedia 
Britannica# VI, 1910, 185). Die zweite Instanz 
soll sich aus dem Konsul und dem Taotai zusam- 
mensetzen; als oberste Instanz soll der Gesandte 
in Peking zusammen mit einem Vertreter des 
Justizministers und des Ministers des Auswärtigen 
tätig werden (Scié S 120 bezweifelt, daß dies je 
geschehen sei). 
Für die französische N ist nach ähnlichen Grund- 
sätzen eine besondere cour mixte eingerichtet. Bei 
dem Wechsel der chinesischen Bevölkerung über 
die Grenzen der beiden N erwachsen schwierige 
Zuständigkeitsfragen. Für ihre Behebung sind 
unter dem 10. 6. 02 provisional rules vereinbart 
(Martens II 32 S 308); für Streitigkeiten ledig- 
lich zwischen oder von Chinesen bleibt es bei der 
gewöhnlichen Zuständigkeit (Wohnsitz, Ort der 
Tat), ist jedoch ein Fremder Kläger oder Ver- 
letzter, so wird dessen Status für die Zuständig- 
keit bestimmend; es gehört also der Chinese in 
allen Fällen vor das gemischte Gericht der inter- 
nationalen N, es sei denn, daß ein Franzose 
Kläger oder Verletzter ist, was die Zuweisung vor 
das gemischte Gericht der französischen N bedingt. 
b) Alljährlich (seit 1870) bestellt das Konsularkorps 
aus seiner Mitte einige Mitglieder als Gerichtshof 
für Klagen gegen den Gemeinderat 
des intern. settl., z. B. aus Verträgen, die die 
Gemeinde geschlossen hat (Rechtstitel hierfür 7). 
3. Die Polizeibeamten einer jeden 
FremdenN werden auch in der anderen N tätig; 
jedoch ist eine Zustimmung des Doyens des 
Konsularkorps (entsprechend des französischen Kon- 
suls) im einzelnen Falle einzuholen. Schwierig- 
keiten bleiben nicht aus. 
Lüteratur: Die Verträge sind gesammelt in Herts- 
lef’s China Treaties', 1908 (eine von den Imperial Chinese 
Maritime customs 1908 herausgegebene List of chinese trea- 
ties war mir nicht zugänglich); William Frederick Mayers, 
Treaties between the Empire of China and foreign powers. 
etc., Schanghait 1877, "/1902 chier benutzt; jetzt 41900); 
Nur vereinzelt bei Martens, Recuell général des traites. 
an den im Texte bezeichneten Stellen. 
Zu 1 1: Herm. Schumacher, Diechinesischen Ber- 
tragshäfen, ihre wirtschaftliche Stellung und Bedeutung 
(Jahrb N Oek 71, 1898, S 577, 721; 72, 1899, S 65, 289, 
unvollendet); (Konsul) Nik. Post, Handels-- und Ge- 
schäftsverhältnisse in China (Jahrbuch der Export--Akademie 
des k. k. österreich. Handelsmuseums, 1908, S1—72; Ver- 
tragshäfen S 45—62); Scié (Ton-a), Condition 
des étrangers en Chine (Revue de droit international 
Privé et de drolt pénal International II, 1906, S110—120):; 
Dauge, De la condition juridlaue des étrangers en 
Chine (Journal du droit intern. privé 32, 1905, S 850/859); 
Jernigan, China in law and commerce (New Vork 
1905); Hosea Ballon Morse, The trade and admini- 
stration of the Chinese Empire, 1008; Wilh. v. Kries, 
Serzollverwaltung und Handelsstatistik in China, 10913; 
Encyclopaedla Britannicau VI 1910, „Chi- 
na“: — Cordier, Histolre des relations de la Chine avec 
les puissances occidentales, 1860/1902 (1901/2) war mir 
nicht zugänglich; W. Schüler, Abriß der neueren Ge- 
schichte Chinas, ohne Jahr (1912), Warneck, Geschichte 
Auch für den umgekehrten der protest. Missionen 1% 1913 S. 462—407. 
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