Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

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Sitzungspolizei (Ungebühr) 
  
diese als öffentliche oder als nicht-öffentliche Ver- 
handlungen stattfinden. Die Handhabung der S. 
wird von Wach zutreffend als Ausübung der Dis- 
ziplinargewalt charakterisiert, die den mit der Lei- 
tung der Verhandlungen betrauten Personen zur 
Wahrung der Würde des Gerichts und eines geord- 
neten Verfahrens gegenüber den bei der Ver- 
handlung beteiligten Personen und etwaigen Zu- 
hörern übertragen ist. Von einer Ausübung der 
S. kann also nur in den Fällen die Rede sein, in 
denen eine „Verhandlung“" mit, vor oder seitens 
der Gerichtspersonen stattfindet, während die Be- 
fugnis, eine ungebührliche Ausdrucksweise in den 
für die Gerichte bestimmten Schriftsätzen 
zu rügen und unter Umständen zu bestrafen, 
nicht unter den Begriff der S. fällt. Hier greifen 
vielmehr die Befugnisse Platz, die den Behörden 
gegenüber einer außerhalb der Sitzung ver- 
übten „Ungebühr“ zustehen (s. &§ 2 C). Dagegen 
rechnet die herrschende Meinung das Einschreiten 
gegen Handlungen, die begangen sind, während 
das Gericht sich zur Beratung zurückgezogen 
hat, mit Recht zur Ausübung der S., da die an die 
öffentliche Verhandlung sich anschließende „Bera- 
tung“ einen Bestandteil der Verhandlung bildet. 
5#2. Bor den ordentlichen, den Gewerbe= und 
Kaufmannsgerichten. 
A. Die Handhabung der S. in den Verhand- 
lungen vor den ordentlichen Zivil- und 
Strafgerichten aller Instanzen ist für das ganze 
Deutsche Reich einheitlich durch die S 177—185 
GV und die tg8 8, 194 FG. geregelt. 
1. In erster Linie hat der Vorsitzende 
die Befugnis und Verpflichtung, die Ordnung 
während der Verhandlung aufrecht zu erhal- 
ten. Zwangs= oder Strafmittel stehen hier- 
bei dem Vorsitzenden eines Kollegialgerichts 
nicht zur Seite; dagegen kann er alle sonstigen, 
ihm zur Aufrechterhaltung der Ordnung er- 
forderlich und sachdienlich erscheinenden ange- 
messenen Anordnungen treffen, z. B. Entziehung 
des Worts (RE#t 4, 151); Erteilung einer Rüge, 
auch gegenüber Anwälten (das. 8, 657); Aufhebung 
der Sitzung (RG3 32, 390); streitig ist es da- 
gegen, ob er einen förmlichen Ordnungsruf er- 
teilen kann. Derartige Anordnungen kann der 
Vorsitzende gegenüber jeder in der Sitzung an- 
wesenden Person erlassen, also nicht bloß gegen- 
über den Parteien, Peugen, Zuhörern, sondern 
auch gegenüber den Rechtsanwälten und Staats- 
anwälten (Rst 11, 135; ein Rügerecht 
PMgenüber den Staatsanwälten dürfte aber dem 
orsitzenden nicht zustehen). 
2. Zwangs= und Strafmittel zur Aufrechterhal- 
tung der Ordnung stehen bei den Kollegialgerichten 
nur dem Gericht als solchem, nicht dessen Vor- 
sitzendem zu Gebote, und zwar in folgender Weise: 
a) Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige, 
sowie bei der Verhandlung nicht beteiligte Per- 
sonen, die sich gegenüber den zur Aufrechterhaltung 
der Ordnung erlassenen Befehlen ungehorsam 
erweisen, können aus dem Sitzungszimmer zwangs- 
weise entfernt, zur Haft abgeführt und während 
einer in dem Beschlusse zu bestimmenden Zeit von 
höchstens 24 Stunden in Haft gehalten werden. 
Gegen Militärpersonen (JI kann eine Haftstrafe 
nur durch Ersuchen der Militärbehörde festgesetzt 
und vollstreckt werden. Vgl. 4 50 Abs 4 StpO. — 
b) Machen sich diese Personen einer Ungebühr 
  
  
  
  
in der Sitzung schuldig, so kann gegen sie eine so- 
fort zu vollstreckende Geldstrafe bis zu 100 Mk. 
oder eine Haftstrafe bis zu 3 Tagen verhängt 
werden; (bei Militärpersonen wie zu a). —o) Auf 
Rechtsanwälte und Verteidiger fin- 
den die unter a und b mitgeteilten Bestimmungen 
keine Anwendung; sie können aber, wenn sie sich 
einer Ungebühr in der Sitzung schuldig machen, zu 
einer Geldstrafe bis zu 100 Mk. verurteilt werden. — 
d) Der Staatsanwaltschaft gegenüber stehen dem 
Gerichte Zwangs= oder Strafmittel nicht zu. — 
Die Vollstreckung der verhängten 
Zwangsmaßregeln oder Strafen. Eine Umwand- 
lung der Geldstrafen in Freiheitsstrafen findet 
nach der übereinstimmenden Praxis der Gerichte 
nicht statt, während in der Rechtslehre überwie- 
gend der gegenteilige Standpunkt vertreten wird; 
ich halte die gerichtliche Praxis für richtig. — 
k) Dem Einzelrichter (Amtsrichter, er- 
suchten und beauftragten Richter) stehen die unter 
a—e#i erwähnten Befugnisse nicht bloß in der 
Sitzung, sondern auch außerhalb derselben bei der 
Vornahme irgendwelcher Amtshandlungen (z. B. 
Zeugenvernehmung, Augenscheinseinnahme usw.) 
zu. — g) Ueber die unter a—c, e und fkerwähnten 
Vorgänge ist, sofern es sich nicht lediglich um die 
Entfernung einer bei der Verhandlung nicht 
beteiligten Person handelt, ein entsprechender 
Vermerk in das Protokoll aufzunehmen; fehlt 
dieser, so ist auf Beschwerde der Beschluß aufzu- 
heben. — h) Hat ein Landgericht oder ein Einzel- 
richter die unter b und o (die unter a erwähnte 
Anordnung ist auch in diesem Falle unanfechtbar) 
erwähnten Strafen verhängt, so findet gegen die 
Entscheidung binnen einer Woche nach deren Be- 
kanntmachung die Beschwerdebei dem Oberlan- 
desgericht statt; diese Beschwerde hat in dem unter 
I60 erörterten Falle, sowie in allen Fällen, in denen 
es sich um die Entscheidung eines Einzelrichters 
handelt, aufschiebende Wirkung. Die Beschlüsse 
der Oberlandesgerichte, nicht die eines Oberlandes- 
erichtsrats als beauftragten Richters, sowie die 
es Reichsgerichts sind unanfechtbar. 
B. Gemäß # 38 Abs 3 GG und §& 16 Kö# 
finden die vorstehend mitgeteilten Vorschriften der 
## 177—185 GVG in dem Verfahren vor den 
Gewerbe= und Kaufmannsgerichten sss] 
entsprechende Anwendung. 
C. Ungebühr außerhalb der Sit- 
zung, insbesondere in schriftli- 
chen Eingaben. Einverständnis herrscht jetzt 
darüber, daß die I# 177 f GV auf ein unge- 
bührliches Verhalten außerhalb der Sitzung, 
insbesondere in schriftlichen Eingaben, keine An- 
wendung finden, so daß kraft Reichsrechts 
ein derartiges Verhalten einem Ordnungsstraf- 
recht der Gerichte nicht unterliegt. Dagegen ist es 
lebhaft bestritten und zweifelhaft, ob auch die 
landesrechtlichen Vorschriften über die 
Ungebühr in Schriftsätzen durch das Reichsrecht 
aufgehoben oder noch jetzt in Geltung sind. Vom 
OLe# Hamburg wird die Gültigkeit der landes- 
rechtlichen Vorschriften in ständiger Rechtspre- 
chung bejaht (vgl. neueste Entsch v. 17. (7.9) 2. 10 
im Recht 1910 Sp. 278; DJZ 1910 Sp. 682 ffj; 
vom OLG Celle (KG 8, 256) und Jena (DJ3 
1904 Sp. 112, 208) dagegen verneint. Das 
RSt (28. 12. 83; Bd. 9, 357) hat sich für die 
Fortgeltung der Vorschriften der §§ 30, 31 preuß.
	        
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