Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Staat und Staatswissenschaften 
  
geht, Organe hat, die seinen Willen zum Aus- 
druck bringen und daß deren Willenskundge- 
bungen entweder Satzungen oder Rechtsge- 
schäfte oder andere Rechtshandlungen sind. In 
allen einzelnen Merkmalen aber dehnt sich der 
Staat über das Vereinsschema hinaus, so daß 
seine juristische Persönlichkeit einem ausgewach- 
senen und deshalb für regelmäßig abgelegten 
Gewande gleicht, von dem nur im Notfalle dann 
und wann Gebrauch gemacht wird. Nirgends 
unterliegt denn auch der St. im ganzen oder auch 
nur im wesentlichen Teil seines Rechtslebens dem 
von ihm selbst gegebenen positiven Vereinsrechte. 
II. Der St. ist allerdings ein Personenver- 
band, aber von ganz eigentümlicher Art. 
Die Menschen, die in ihm zur Einheit zusammenge- 
faßt sind, gehören ihm in wesentlich anderer Weise 
an als einem Verein seine Mitglieder. Die recht- 
liche Form dieser Zugehörigkeit ist eine verschieden 
geartete in mannigfacher Hinsicht, vor allem ist 
sie grundverschieden für Herrscher und Untertan. 
1. Es ist ein höchster Wille, ein Herrsch er- 
wille vorhanden, dem jeder andere Wille im St. 
untertan ist. Der St. hat Herrschaft, einen Willen, 
dessen Gebot anders bindet als die Aeußerungen 
jedes andern vom Rechte anerkannten Willens im 
St. Die Herrschaft ist höchster menschlicher Wille 
(souverän), d. h. sie bestimmt sich ausschließ- 
lich selbst, ist unteilbar und nicht verantwortlich im 
Sinne des staatlichen Rechtes. Die Unteilbarkeit 
ergibt sich aus der Einheit des St., die Unverant- 
wortlichkeit aus dem Nichtvorhandensein eines 
höheren Willens. Herrschaft ist dem St. wesent- 
lich und ihm allein zu eigen. Ein St. ohne Herr- 
schaft ist kein St., auch wenn er so bezeichnet 
wird. 
Der Herrscherwille ist menschlicher Wille. 
Träger der Herrschaft sind Menschen, wirkliche, 
physische Personen, nicht überirdische Gewalten 
und auch nicht bloß gedachte Personen oder Mächte. 
Auch der St. selbst ist nicht der Herrscher. Wohl 
gehört die Herrschaft dem St. als Element des 
Begriffes zu, sie ist ihm in dem Sinn zu eigen, 
daß sie nur in bezug auf den St. bestehen kann. 
Niemand hat die Herrschaft um seiner selbst willen; 
nur um des St. willen ist sie da, aber dem Rechte 
nach verbindet sie sich mit bestimmten, physischen 
Personen. Sie gehört der Person nicht als Eigen- 
tum, denn sie ist keine Sache und knüpft sich auch 
an keine Sache, etwa an ein Vermögen, sondern 
sie ist eine mit dem Staat gegebene, vom Rechte 
anerkannte persönliche Willensmacht ohnegleichen. 
Der Herrscher ist also Angehöriger des St. 
durch die Innehabung der vom St. untrennbaren 
Herrschaft. Die Willensmacht des Herrschers ist 
nicht Wille über den Staat und auch nicht Wille 
des St. selbst, der St. ist weder Objekt noch Sub- 
jekt der Herrschaft, sondern die Herrschaft 
ist persönlicher Wille des dem St. 
als Personenverband angehörigen 
menschlichen Trägers im St. Durch 
die Ordnung des St. ist die Herrschaft ein Recht 
des Herrschers. 
2. In wesentlich anderer Weise gehören dem 
gleichen Verbande die Untertanen an. 
Durch ihre Vereinigung im St. sind sie unter 
sich verbundene Glieder desselben Verbandes, 
dem auf andere Weise auch der Herrscher ange- 
hört und sie stehen durch den St. in Beziehung 
  
zum Herrscher. Die Herrschaft ist eine Willens- 
macht über sie. Dieses Verhältnis nun ist vor 
allem ein Gehorsams= und Abhängigkeitsverhält- 
nis, aber kein Unterwerfungsverhältnis. Auch 
der Untertan ist Rechtspersönlichkeit, besitzt Rechts- 
fähigkeit und kann die Freiheit, deren Mangel 
ihn gleich dem Tier zur Sache herunterdrücken 
würde, nie verlieren. Das Gehorsamsverhältnis, 
in welches er durch seine St. Zugehörigkeit zum 
Herrscher gelangt, ist ein rechtliches Verhältnis 
von Person zu Person, aber es ist ohne weiteres 
kein persönliches Dienstverhältnis; soll ein solches 
entstehen, so bedarf es besonderer Begründung 
durch Gesetz oder Rechtsgeschäft. Der Untertan 
schuldet ohne besondere Anordnung dem Herrscher 
keinen einzigen Dienst und keine einzige Sach- 
leistung. Das Verhältnis zwischen Herrscher und 
Untertan ist zunächst ein formales, inhaltloses 
Abhängigkeitsverhältnis über und untergeord- 
neten persönlichen Willens, beim Herrscher ist es 
eine rechtliche Fähigkeit zum Gebieten, beim 
Untertan eine rechtliche Bereitschaft zum Gehor- 
chen. Das Recht erst normiert den Inhalt. 
III. Bevor aber dieser Inhalt in persönlichen 
Pflichten und Rechten ausgeprägt wird, bedarf es 
einer Ordnung der Herrschaft selobst samt 
näherer Bestimmung ihrer Beziehung zu den Un- 
tertanen. Anders als durch das Recht kann auch 
diese Ordnung und nähere Bestimmung nicht her- 
gestellt werden. Die Ordnung der Herrschaft und 
ihres Verhältnisses zur Untertanschaft ist die Ver- 
fassung (#/1, sie ist das oberste Gesetz des St. und 
der erste Willensakt des Herrschers. Indem er 
sie gibt, stellt er die ferner nicht mehr lösbare 
Verbindung von St. und Recht her und verwan- 
delt damit die vorher etwa schon vorhandene tat- 
sächliche Gewaltordnung in eine Rechtsordnung. 
Das Verhältnis, welches durch die Verfassung 
zwischen Herrscher und Untertan geschaffen wird, 
ist ein rechtliches Verhältnis eigener Art und der 
mannigfaltigsten Gestaltung fähig. [7X Verfassung! 
Die Verfassung hat nicht nur die Gestaltung 
dieses Verhältnisses zum Gegenstande, sondern 
sie ist auch die Ordnung der Herrschaft selbst. Sie 
bestimmt, wer Herrscher sei und wie die 
Herrschaft auszuüben sei. 
Die Geschichte lehrt an Tausenden von Fällen, 
daß die Herrschaft tatsächlich nicht immer 
von demjenigen besessen wird, dem sie nach 
dem Rechte gehört und daß sie oft ein 
Gegenstand des Kampfes ist. Man nimmt der 
Geschichte von ihrem Inhalte nicht viel, wenn 
man sie bestimmt als die Lehre vom Kampf 
um die Herrschaft. Es ist die schwache Seite 
des St., daß die zur Innehabung der Herr- 
schaft unbedingt geeigneten Personen nicht ohne 
weiteres erkennbar sind. Zeiten reicher Phantasie 
und naiven Glaubens hatten mythische Götter 
zu diesem Zweck zur Verfügung, die den schwachen 
Menschen bei Einsetzung der Herrscher halfen. 
Aber der Polytheismus zeigte darin selbst seine 
Schwäche, daß er auch die Götter in Kampf um 
die Herrschaft verwickelte. Die Erkenntnis der 
Notwendigkeit der Einheit des St. und seiner 
Herrschaft, wohl die blutigste aller Erfahrungen 
der Menschheit, bildete nachweislich eine der wich- 
tigsten psychologischen Grundlagen des Mono- 
theismus, eine Religionsform, welche denn auch 
im Verlauf der Dinge in den Jahrtausenden dem
	        
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