Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

det sich im unmittelbaren Verkehr der auswärtigen 
Vertretungen eine Routine der Biegsamkeit und 
Loyalität; wohl ist in Friedenszeiten ein Streben 
der wechselseitigen Förderung von Staat zu Staat 
in zunehmendem Maße erkennbar, auch bedient 
sich die Herrschaft im auswärtigen Verkehre für 
die Regel ihrer gewinnendsten Formen; aber der 
Zustand des Friedens selbst ist nur ein bedingter 
und durch keine Gebote und Mittel des Rechtes 
absolut garantierter. Die Entschließung, den 
Frieden zu brechen, ist nach dem formalen Rechte 
jedes St. frei, wenn die äußerste Not die Abbre- 
chung durch die Tat gebietet. Der Krieg ist trotz 
aller Einschränkungen, welche das Völkerrecht den 
Formen seines Beginns, der Führung und den 
Mitteln, der Ausdehnung und Beendigung setzt, 
die wirksamste und überzeugendste tatsächliche 
Kundgebung des St. Willens nach Außen und die 
derbste Form der internationalen Verständigung 
außerhalb der Rechtsordnung. 
Es gehen von der Machtpolitik außer den un- 
mittelbaren Maßnahmen der Sicherung auch noch 
andere Motive aus. Gesundheit, Wehrkraft, va- 
terländischer Sinn und Anderes wird gepflegt. Al- 
les jedoch mit dem offenbaren Zweck der Erhal- 
tung und Stärkung, Sicherung und Vergrößerung 
der im Staate gegebenen Verbandseinheit. 
2. Ein zweites, wesenbestimmendes Motiv des 
St. ist seine Wirtschaftspolitik. In demselben 
Maß, in welchem der St. durch seine Machtpolitik 
alles Gewaltsame vom Leben der einzelnen ablöst 
und monopolisiert, macht er Kräfte des wirtschaft- 
lichen Erwerbes frei. Hervorbringung, Austausch 
und Verarbeitung der Güter ist nicht in erster Linie 
Aufgabe des St. Die Entwicklung der Weltwirt- 
schaft ist im wesentlichen ohne Zutun des St., 
nicht selten sogar gegen seine Politik erfolgt. 
Der St. greift nur da und dort regulierend, för- 
dernd, hemmend, vorwiegend aber schützend ein, 
bald beherrscht von der Absicht, seinen Angehöri- 
gen überhaupt Vorteile in der Weltwirtschaft zu 
sichern, bald bestrebt, ausgleichend auf die Er- 
folge der Einzelwirtschaft zwischen Reich und Arm 
zu wirken und der Armut und Erwerbsunfähig- 
keit Sicherung des Daseins zu bieten. So ver- 
bindet sich die Sozialpolitik mit der Wirt- 
schaftspolitik. 
3. Macht und Wirtschaft stehen in un- 
lösbarer Verbindung unter sich, obgleich sie 
im Grunde verschiedene Elemente sind. Auch 
das wirtschaftliche Leben bringt eine Macht- 
form hervor, die derjenigen des Militärs und 
der Polizei in vielem bis aufs Haar gleicht. 
Diese Machtform ist das Kapital, d. i. die 
in einem einheitlichen Erwerbswillen zusammen- 
gefaßten und nach einheitlicher Ordnung ver- 
wendbare Masse materieller Güter. Kapital ist 
der große Arbeitgeber. Ein solcher ist auch der 
St. und wenn er die höchste Gewalt behaupten 
will, muß er auch der größte Arbeitgeber sein. 
Doch hat das Kapital die in seiner Aufgabe be- 
gründete und den Interessen der Weltwirtschaft 
sich anpassende Neigung, dem St. sich zu ent- 
ziehen. Es will sich lieber von ihm schützen als 
leiten lassen. Und umgekehrt ist der St. von dem 
vollen Verständnis für die rein kapitalistischen In- 
teressen vielfach durch die Ziele der Steuer= und 
Sozialpolitik und nicht selten auch durch andere 
Rücksichten abgelenkt. St. und Kapital stoßen sich 
A. Der Staat 
  
  
463 
  
ab und ziehen sich wieder an je nach den Um- 
ständen. Die nächste Beziehung zwischen beiden 
findet sich in der Aristokratie, wo der Besitz un- 
mittelbaren Anteil an der Herrschaft gewährt. 
So stark ist das Element der Macht dem St. 
durch die Geschichte eingewachsen, daß er selbst 
in seiner Wirtschaftspolitik weit mehr sein Macht- 
interesse als das unmittelbar wirtschaftliche In- 
teresse von Handel, Industrie, Gewerbe und Ver- 
kehr im Auge zu haben pflegt. Es ist aber auch 
andererseits kein Zweifel, daß gerade der Schutz 
der wirtschaftlichen Interessen einen be- 
sonders großen Aufwand von reinen Machtmitteln 
erheischt. Dabei spielt dann die Technik die wunder- 
same Rolle, daß sie all ihre für wirtschaftliche 
Zwecke verwendbaren Kraftmittel in erster Linie 
dem St. für seine Machtinteressen zur Verfügung 
zu stellen hat. Macht und Wirtschaft machen den 
weitaus größten Teil der staatlichen Arbeit aus. 
Dort ist er der allein bestimmende Wille, hier 
findet er einen Konkurrenten, mit dem er sich da- 
durch abfindet, daß er für das, was er an Steuern 
empfängt und aus dem Wohlstande gewinnt, den 
Schutz übernimmt. Er ist im reinen Machtleben 
der ausschließlich gebende, im wirtschaftlichen 
Leben der vorwiegend empfangende Teil. 
III. Eine andere Welt sind Religion und Kultur. 
In noch höherem Maße als im wirtschaftlichen Le- 
ben ist hier der St. der Empfangende. Nur sehr 
bedingt treffen die Anmaßungen zu, die sich dahin 
äußern: Macht ist Kultur, Wirtschaft ist Kultur. 
Hier ist es geboten, Abstände zu halten. Eher 
trifft nämlich das Umgekehrte das Richtige. 
Religion und Kultur sind selbständige weltge- 
schichtliche Mächte, die ihr Dasein nie und nir- 
gends zuerst dem St. oder der Wirtschaft ver- 
danken. Sie bedeuten eine Erhöhung des Ge- 
samtniveaus des Lebens durch geistige Mittel 
und haben sich diese besondere Aufgabe selbständig 
und zumeist im Kampfe mit dem St. gestellt. 
Das mittelmäßige geistige Wesen des St. und der 
gesicherte Stand seiner Herrschaft bringen von 
selbst eine gewisse Gleichgültigkeit, wenn nicht 
gar Argwohn gegenüber allem, was geistig hoch- 
steht, hervor. Daher sind die um die Menschheit 
verdientesten Geister nicht selten die Verfolgten, 
fast immer die Unterschätzten gewesen. Und doch 
sind sie die nicht offiziellen Herrscher der Mensch- 
heit, indem sie dem Leben durch ihr Verhalten 
in Leid und Not oder durch die Größe ihrer Ge- 
danken, Entdeckungen und Erfindungen die gro- 
ßen Richtlinien und Zielpunkte gesetzt haben. 
Ihnen gegenüber hatte der St. immer eine 
grobe Hand. Kluge Herrscher ehren sich selbst, 
indem sie etwas vom Ruhm dieser Führer auf 
sich lenken. Im ganzen gedeihen Religion und 
Kultur unter dem allgemeinen Schutz und etwas 
abseits von den Zentren des St. am besten 
und der St. empfängt in allen seinen Glie- 
dern bei solchem Abstand von Religion und 
Kultur alles, was er aufzunehmen fähig ist. Daß 
ein Teil der Kultur der Gesamtheit nur auf dem 
Umweg über den St. zugänglich ist, lehrt die Mühe, 
die dieser sich mit Schule, Erziehung und Bildung 
des Volkes gibt, wobei er indes sein Macht- 
interesse nicht zu vergessen pflegt und auch nicht 
vergessen darf. Daß der Staat zu Zeiten der 
Religion und Kultur sein herrschaftliches Ge- 
präge mit Erfolg gegeben hat, ist nicht zu über-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.