B. Staatswissenschaften
heiten darstellen, der St. aber ist ebensowenig
wie der Mensch nach einheitlicher Methode er-
forschlich.
Daher kommt es, daß die Gleiches bedeutenden
Bezeichnungen Staatswissenschaft, Politik (JU#I,
St. Lehre in Wirklichkeit für Verschiedenerlei ge-
braucht werden, jede von ihnen nur für einen
Teil von dem, was sie dem Wortsinne nach an-
geben: St. Wissenschaft oft für Volkswirtschaft,
Einanzwissenschaft und Statistik, Politik für St.=
Kunstlehre, St. Lehre für St. Machtlehre. Auch
in anderem Sinn werden und wurden diese Be-
zeichnungen gebraucht. Politik und St. Lehre
wurden bis ins 19. Jahrhundert gleichbedeutend
Lgebraucht und zwar so, daß sie jeweils alles, was
man vom St. zu wissen glaubte, von der St. Kunst
und der St. Macht, der Statistik und der St. Geo-
graphie, dem St. Begriff und dem St. Recht in
sich zu fassen versuchten, um das Wesen des St. zu
erkennen.
2. Geschichte der Staatswissenschaften.
Politik (I(= Staatslehre) suchte zuerst das Wesen
des St. darzulegen. Solange sie darauf ausging,
war sie nicht Wissenschaft im heute gebräuchlichen
Sinn, sondern Teil der Philosophie oder der
Theologie, die sich bald gemeinsam, bald getrennt
zu solcher Erkenntnis berufen glaubten. Die
Geschichte der St. Wissenschaften beginnt erst mit
der Sonderung von Philosophie und Theologie
und damit, daß nicht mehr eine St. Wissen-
schaft den St. überhaupt, sondern viele
St. Wissenschaften den St. von allen Seiten her
erforschen. Den Anstoß zu dieser Sonderung
gaben die Naturwissenschaften, die es zuerst unter-
nahmen, den Dingen eine andere als die nach dem
theologisch dogmatischen Schöpfungsplane mut-
maßlich gewollte und durch Offenbarung ver-
mittelte Erklärung zu geben.
Mit diesem allmählichen Ablösungsprozeß der
Wissenschaften überhaupt, der St. Wissenschaften
insbesondere, geht parallel jene monistisch empi-
xische Richtung der Philosophie, die unter den
mannigfaltigsten Bezeichnungen und Wandlungen
den Materialismus der Gegenwart hervorgebracht,
das Entwicklungsgesetz an die Stelle der Schöp-
fungsidee gesetzt, die Wissenschaften in die beiden
Gebiete der Natur und Geisteswissenschaften
zerlegt und den letzteren neben der Religions-
wissenschaft, Theologie u. a. auch die St. Wissen-
schaften zugeteilt hat.
Im Altertum stehen sich drei geistige Welten
wesentlich unvermittelt gegenüber, die jüdische,
die griechische und die römische. Die theosophisch-
individualistische jüdische Geisteswelt hat für die
Ausbildung von St. Wissenschaften zunächst keinen
Boden geliefert, sie wurde erst in ihrer Umprä-
Zung als Christentum auch im St. bildnerisch und
zwar anfangs mit staatsfeindlicher Tendenz,
später in der überstaatlichen Herrschaftsform der
Kirche. Die griechische St. Lehre hat nach jener
wundersamen Periode religiös-künstlerischer Ge-
staltung (Homer) ihren festen Platz in der Philo-
sophie gefunden, wo sie besonders bei Sokrates
und Plato noch einen Bestandteil, bei Aristoteles
schon ein Gegenstück der Ethik ausmacht. Hier
zeigt sie schon die Neigung Wissenschaft zu werden
und sogar als St. Rechtswissenschaft eine beson-
dere Abgrenzung zu suchen. Aber neben den
ethischen Gedanken über St. Prinzipien pflegt sie
v. Stengel--Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl.
wesentlich nur die St. Kunstlehre und in dieser
wieder vorwiegend die Theorie der besten Ver-
fassung (#Politikl.
Im republikanischen Rom kann man
einen Beginn der St. Wissenschaften neben der sa-
kralpolitischen St. Praxis höchstens in Gestalt der
Ueberlieferungspflege nachweisen, der die Ge-
schichtschreibung und die Aufzeichnung der Staats-
männer (Annalen) dienen. Diese Ueberlieferungs-
pflege steht unter dem Zeichen der Vorstellung,
daß, was ehemals galt, immer gilt. Es ist Wissen-
schaft der St. Praxis, durchaus unphilosophisch;
der St. ist die Tatsache schlechthin und theorie-
feindlich. Im hellenistischen Zeitalter ist es die
Stoa und ist es vor allem Polybius, wodurch eine
St. Lehre, die nicht selbst Praxis ist, Eingang fin-
det. In Cicero vollendet sich die Hellenisierung
Roms und wird die Republik Objekt der Wissen-
schaft im Banne griechisch-philosophischer Ethik,
ein Bann, dem das Kaisertum sich wieder entzog.
Inzwischen aber sog das paulinische Christentum
alles wissenschaftliche Denken an sich und pflanzte
in Rom, antike Elemente zusagender Art, nament-
lich ethische, in sich aufnehmend, den Geist der
jüdischen Theokratie und mit ihm auch jene Kritik
des Heidentums, die in Augustins Lehre vom
geoffenbarten Gottesstaat und Gottesrecht den
Grundstein zur christlichen Universalkirche legte.
Damit war für ein langes Zeitalter die Wissen-
schaft vom St. in Bann getan und an ihre Stelle
die christliche Philosophie gesetzt, deren geistiger
Oberhoheit auch der byzantinische Hellenismus
im Grunde nicht Stand hielt.
Das Mittelaltet, so bildsam das politische
Leben selbst gerade in dieser Zeit war, brachte doch
eigentlich keine selbständige St. Wissenschaft hervor.
Die ganze geistige Kraft des Zeitalters schien sich in
der Konstituierung einer Weltherrschaft erschöpfen
zu wollen. Bis ins 12. Jahrhundert überwiegt
der Augustinische Deismus als transzendentale
Machttheorie, der praktische Kirchenstaat nach
dem Vorbilde des theoretischen Gottesstaates
(Johannes von Salisbury). Dieser philosophisch-
theologischen St. Lehre ist auch die kanonistische
Jurisprudenz durchaus dienstbar, während die
weltlich gearteten Lehren Mangolds von Lauter-
bach und des Irnerius, jene im germanischen,
diese im romanischen Geiste sich bemühten, die
Grundlagen positiver St. Rechtslehre auf histo-
rische Quellen zurückzuführen. Alles ist auf den
großen Streit um das Verhältnis von Kaiser und
Papst orientiert und bleibt es auch, als im späte-
ren Mittelalter das Studium des Aristoteles neu
einsetzte. Zu klarer Scheidung der obersten Be-
griffe gelangte Thomas von Aquin mit der Tren-
nung von jus divinum und jus naturale. Einer
positiven St. Rechtslehre aber näherten sich erst
Lupold von Bebenburg (1 1363), Marsilius von
Padua (1 1343), Aeneas Sylvius (7 1464),
Nikolaus von Cues (7 1464), Peter von Andlau
(1 1480), Nicolo Machhiavelli (1 1527), mit denen
die St. Lehre im Geiste des Humanismus an die
Wirklichkeit des Lebens anzuknüpfen beginnt.
„Während die bislang genannten Schriftsteller
sich systematisch in der Hauptsache lediglich mit
der Frage nach dem Träger und dem Erwerb des
Imperiums beschäftigt haben, ist es Aeneas
Sylvius, der zum erstenmale auch Wesen und
Inhalt des Imperiums dogmatisch zusammenfaßt“
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