Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

Staatsfinanzen (II. Staatsschulden) 
Die Verwaltungsschulden umfassen 
alle in Ausũbung der regelmäßigen VerwTätiglkeit 
für die Wirtschaftsführung und die Funktionen der 
einzelnen Verw Zweige eingegangenen Schuldver- 
bindlichkeiten, die sich in der Regel in nichts von 
Verbindlichkeiten Privater unterscheiden. Die Ver- 
waltung bedarf hierzu keiner besonderen gesetz- 
lichen Ermächtigung, da sie sich als Ausfluß jeder 
VerwTätigkeit darstellen. Das Recht der Kon- 
trahierung steht jedem Verwressort im Bereiche 
seiner Tätigkeit zu. Sie sollen sich in den Gren- 
zen der im Etat vorgesehenen Höhe der Kredite 
bewegen. Die Erteilung der Befugnis zu ihrer 
Aufnahme an die einzelnen Behörden ist Auf- 
gabe der Dienstinstruktionen. 
Einen ganz anderen Charakter haben die Fi- 
nanzschulden (Staatsschulden im eigent- 
lichen Sinne). Diese ersetzen eine fehlende 
Quelle von Staatseinnahmen. Die Aufnahme er- 
folgt durch das Zentralorgan der staatlichen Finanz- 
verwaltung, sei es, um bleibend außerordentliche 
Hilfsmittel herbeizuziehen, sei es auch nur, um 
innerhalb einer Finanzperiode den Staatshaus- 
halt (NIl kassengeschäftlich durchzuführen. Während 
die VerwöSchulden lediglich durch eine Maßregel 
der Verwaltung entstehen, sind die Finanzschulden 
hinsichtlich der Zulässigkeit der Aufnahme Gegen- 
stand der Gesetzgebung. (Näheres §# 6 und 8.) 
§5 2. Arten und Formen der Staatsschulden. 
I. Bei den Finanzschulden unterscheidet man vor 
allem fundierte Schulden und schwe- 
bende Schulden. 
1. Die fundierte Schuld ist nicht ein 
bloß vorübergehendes Anlehen der Finanzver- 
waltung, sondern der Hauptteil und Inbegriff 
aller vom Staate für außerordentliche Ausgaben 
mit Ermächtigung der gesetzgebenden Gewalt 
übernommenen Schuldverbindlichkeiten. 
Die in Deutschland herkömmliche Art der fun- 
dierten Schulden sind die Staatsschuldver- 
schreibungen. Die Regel bildet hierbei 
die Anwendung von Inhaberpapieren (Staats- 
obligationen) — in anderen Staaten, z. B. 
Bayern, Württemberg, Baden, sind aber auch 
Namenpapiere ausgegeben worden — die auf 
eine bestimmte Summe nebst Zinsen lanten. 
Der Gesamtbetrag einer solchen Anleihe wird 
in eine größere Anzahl von „Stücken“ mit ver- 
schiedenen Nominalbeträgen zerlegt. Diese Form 
der Ausfertigung begünstigt die Uebertragbarkeit 
und die Leichtigkeit des Verkehrs mit den Papie- 
fren. Ein Kündigungsrecht steht den Gläubigern 
nicht zu, sondern ist lediglich dem Staat vor- 
behalten. An Stelle jenes Rechts der Gläubiger 
trat zunächst die Verpflichtung des Staates 
gegenüber den Gläubigern, in festgesetzter Weise 
eine Rückzahlung, eine Tilgung der Anleihe 
eintreten zu lassen. Bei solchen rück zahl- 
baren Anleihen wird in den Anleihebe- 
dingungen entweder nur eine Minimal= und 
eine Maximalfrist für die Rückzahlung festgesetzt, 
oder es liegt ein fester Tilgungsplan vor. In 
der Regel findet dann eine allmähliche, auf eine 
lange Reihe von Jahren berechnete Rückzahlung 
statt, indem eine bestimmte Quote jährlich durch 
Rückkauf der Schuldtitel an der Börse nach dem 
Tageskurse, oder durch Auslosung und unmittel- 
bare Rückzahlung zum Parikurse an die Inhaber 
oder, wie namentlich neuerdings vielfach üblich, 
  
———.. — □ — — –. 
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durch Anrechnung auf schon bewilligte Kredite ge- 
tilgt wird. Auch kann bei Aufnahme der Anleihe 
ein bestimmtes Kapital ausgeworfen werden, 
dessen Zinsen zum Ankauf der Schuldtitel dienen; 
alle von diesem besonderen Tilgungsfonds ange- 
kauften Schuldtitel sind dann zu vernichten. Dies 
war die namentlich in früherer Zeit (erste Hälfte 
des 19. Jahrh.) vielfach übliche Form der Tilgung, 
die sich aber nicht besonders bewährte. Eine be- 
sondere Art zurückzuzahlender (amortisierbarer) 
Anleihen bilden die Lotterie= oder Prä- 
mienanleihen, deren Eigenart darin liegt, 
daß feste jährliche Zinsen entweder gar nicht (sog. 
unverzinsliche) oder doch nur zum Teil (sog. ver- 
zinsliche Lottericanleihen) gezahlt, der entsprechend 
vielmehr zum Gegenstand einer Lotterie gemacht 
wird. Bei den Prämienanleihen erhalten die Gläu- 
biger außer der Rückzahlung des Darlehens noch 
eine anderweite Geldsumme (Prämie) zugesichert. 
In Deutschland kann die Emission einer Prämien- 
anleihe seitens eines Staats nur noch auf Grund 
reichsgesetzlicher Ermächtigung stattfinden (R v. 
8. 6C. 71). Näheres bei „Staatsschulden-Tilgung“. 
Die Rückzahlung erwies sich für den Staat 
häufig als nachteilig, weil sie auch dann statt- 
finden mußte, wenn sie nicht aus Ueberschüssen 
bestritten werden konnte, und deshalb vielfach 
durch eine oft unter ungünstigen Bedingungen 
aufzunehmende Anleihe erfolgte. Der letzte 
Schritt in der Entwicklung des staatlichen Schul- 
denwesens war daher die gänzliche Beseitigung 
der Rückzahlungspflicht durch Uebergang der 
zurückzuzahlenden Anleihen in die Renten- 
schuld; in Preußen seit dem sog. Konsolidie= 
rungsG von 1869 (Konsols), im Reiche von 
Beginn an. In anderen Staaten besteht dage- 
gen meist noch die Rückzahlungspflicht allgemein 
oder doch für einen Teil der St. (Sachsen). 
Gegen die Gefahr, durch zufälligen Ver- 
lust der St. Verschreibung sein Forderungsrecht 
selbst einzubüßen, schützen Einrichtungen, die den 
Besitz der Forderung von dem Besitze der Urkunde 
unabhängig machen. Diesen Gedanken verwirklicht 
für Preußen das durch G v. 20. 7. 83 eingeführte 
Staatsschuldbuch; für das Reich das 
Reichsschuldbuch (Roa v. 31. 5. 01/28. 6. 04), 
für Hessen G v. 27. 3. 98 (auch Sachsen-W., 
Bayern, Württemberg, Baden, Hamburg, Bre- 
men haben Staatsschuldbücher). Gegen Ein- 
lieferung von Schuldverschreibungen der 4-, 
3½= und 3prozentigen konsolidierten preußi- 
schen und Reichs= usw. Anleihen erfolgt die 
Eintragung der Forderung auf den Namen des 
Gläubigers und die Verwandlung der auf den 
Inhaber lautenden Schuldverschreibungen in Buch- 
schulden auf den Namen des bestimmten Gläu- 
bigers. Neuerdings ist die Eintragung durch Er- 
mäßigung der Gebühren usw. besonders erleichtert 
worden. 
Je nach dem Zwecke, zu dem die fundierten 
Schulden dienen, unterscheidet man solche für 
werbende und solche für nicht werbende sog. un- 
produktive Zwecke.In den deutschen Einzelstaaten 
überwiegen die ersteren, namentlich für Eisen- 
bahnzwecke, im Reiche die letzteren, namentlich 
für Heeres= und Flottenausgaben. Neuerdings 
sucht man auch im Reiche den Grundsatz durchzu- 
führen, nur noch für werbende Zwecke Schulden. 
aufzunehmen. 
 
	        
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