Staatsfinanzen (III. Staatshaushalt)
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(Budget) nach Gneist nur bei einzelnen Einnah-
men (z. B. income tax) und Ausgaben.
Unstreitig hat das StH. Gesetz in dem Ver-
fassungsrecht Frankreichs und Belgiens einen
anderen Charakter. Dieser besteht nach den Wor-
ten Gneists darin, daß alle Ordnung im Staate
den Beschlüssen der etatbewilligenden Kammer
untergeordnet ist, „denn jedes verfassungsmäßige
Organ des Staates bedarf zu seiner Wirksamkeit
einer jährlichen Genehmigung der Majorität der
Wahlversammlung“.
II. Wenngleich im Endergebnis diese Sätze
im wesentlichen kein ganz unrichtiges Ergebnis
liefern, so lassen sie sich in dieser theoretisierenden
Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten. Das Recht
des StH. ist von Staat zu Staat verschieden und
beruht auf der historisch erwachsenen Machtver-
teilung zwischen Legislative und Exekutive eines-
sowie zwischen den verschiedenen Machtfaktoren
der Legislative anderenteils. Im englischen Recht
gilt der Satz: Taxation is no part of legislation,
womit gesagt sein soll, daß Steuerbewilligung
nur dem einen Faktor der Gesetzgebung, nur
dem house of commons zusteht; jede Steuer= und
Geldbewilligung ist nach englischem Recht „a free
gist and grant“ des Unterhauses. Weder die
Krone noch das Oberhaus kommen dabei in Be-
tracht. Es unterliegt trotz Gneist daher keinem
Zweifel, daß das Unterhaus, wenn es wollte,
alle Steuern und den ganzen Etat verweigern
darf. Dies tut es aber seit den 80er Jahren des
18. Jahrhunderts nicht, weil es (nach den Worten
von Erskine May)y leichtere Waffen hat, die Re-
gierung zum Gehorsam zu zwingen und vor allem,
weil in England Regierung und Unterhausmehr-
heit zusammenfallen. Aus letzterem Grunde be-
wegen sich die Unterhausgeldbewilligungen nur
um einzelne Steuern und Ausgaben (z. B. in-
come tax). In Frankreich und Belgien ist zwar
die Deputiertenkammer auch der stärkste Macht-
faktor, indes nicht der einzige; die Mehrheit in ihr
wechselt häufig und damit auch die Ministerien.
Das Budgetrecht ist hier, was es einst auch in
England war „le puissant moyen de maintenir
le pouvoir exécutif dans ses limites“, oder, wie
Bismarck 1849 in der II. Revisionskammer sagte,
die Waffe, die geschickt gehandhabt, die Regierung
unter die Füße des Parlaments bringt. Die Be-
willigung des Etats ist hier das „vote de confiance“
und die Vollmacht, deren die Regierung bedarf,
um die Staatsgeschäfte fortzuführen. Deshalb
gelten alle Steuern stets nur auf ein Jahr bewilligt
und sie dürfen nicht erhoben werden, wenn die
Steuergesetze nicht erneuert werden, belg. Verf
a 111. Jede Verfügung über Einnahmen oder
Ausgaben ohne Etatsgesetz ist unzulässig. Die erste
Kammer kann den Etat nur im ganzen annehmen
oder ablehnen. Die Nichtbewilligung des Etats
oder die Vertagung desselben durch die Depu-
tiertenkammer bewirkt daher den Rücktritt des
Min, in Frankreich (Mac Mahon, Grévy) ein-
tretendenfalls auch den des Präsidenten. Das
Etatsgesetz bedeutet nach alledem, nicht bloß daß
die Einnahmen und Ausgaben gemacht werden
dürfen, sondern auch daß dies gerade durch das
am Ruder befindliche Min erfolgen darf. Die
Ablehnung oder Vertagung ruft dem Ministerium
zu: „öte-toi, que je m'y mette“.
III. Verschieden hiervon ist das Budgetrecht in
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch.
2. Aufl.
den deutschen Staaten und in Oester-
reich; dabei hat man Einnahmen und Ausgaben
und bei den Einnahmen die aus Steuern und aus
sonstigen Quellen (Eisenbahnen, Domänen, Berg-
werken, Post usw.) fließenden auseinander zu
halten. Bezüglich der Einnahmen aus dem Staats-
vermögen führte die preußische Verfassung keine
Beschränkung der Regierung ein, während andere
deutsche Verfassungen z. B. die Veräußerung, also
auch die Einnahmen aus Domänen--Verkäufen
usw. nur unter Mitwirkung des Landtags zulassen.
Allmählich ist auch in Preußen die Regierung nach
manchen Richtungen beschränkt worden: so darf
sie die seit den 70er Jahren verstaatlichten Eisen-
bahnen nur durch Gesetz verkaufen und sie muß
ferner jährlich eine Aufstellung über die etwa ver-
äußerten Domänen [), Grundstücke durch die
Oberrechnungskammer dem Landtage zur Kennt-
nis vorlegen. Bezüglich der Steuern war den
Kammern im Grundlage G v. 6. 4. 48 das (un-
eingeschränkte) Bewilligungs= und (also Ver-
weigerungs-)recht versprochen. Dieses Verspre-
chen ist durch den nach harten Kämpfen in den
Revisionskammern durchgesetzten a 109 der preuß.
Vu zurückgenommen, wonach Steuern und Ab-
gaben so lange forterhoben werden, bis sie durch
"iit Faktoren der Gesetzgebung wieder aufgehoben
Ind.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß in
Preußen der Landtag [Jl] kein Einnahme-
bewilligungsrecht hat. Außeretatsmäßige Einnah-
men oder Ueberschreitung der etatsmäßigen Ein-
nahmen werden dem Landtag nicht zur Geneh-
migung sondern nur zur Kenntnis mitgeteilt.
Die Ausgaben dagegen bedürfen alle, auch
die auf Gesetz beruhenden, der Landtagsgenehmi-
gung. Dies ist in der Thronrede v. 5. 8. 66 und
Indemnitätsvorlage von 1866 förmlich anerkannt
und entspricht der Praxis. Daraus folgt aber noch
nicht, daß der Landtag frei in der Bewilligung
der Ausgaben ist, diese ist nur teilweise res merao
facultatis; soweit die Ausgaben unmittelbar oder
mittelbar auf Gesetz beruhen, z. B. für Bezahlung
der Kupons, Beamtengehälter, Arbeitslöhne, be-
stellte Waren, ist der Landtag gebunden,
sie zu bewilligen. Er hat zu prüfen und festzu-
stellen, ob und wie weit dies der Fall ist. Prak-
tisch zeigt sich das Ausgabebewilligungsrecht des
Landtags bei allen Neu= und allen wilkürlichen
Ausgaben.
Das Budgetrecht im Reiche deckt sich im
wesentlichen mit dem in Preußen, die bezüglichen
a 69 f RV# sind auf Antrag Miquel aus der preu-
H#ischen entnommen. Verschieden ist, daß im Reiche
Einnahmen aus der Veräußerung des Reichsver-
mögens der Genehmigung des Reichstags be-
dürfen, vorgängig oder spätestens im zweitfolgen-
den Etatssahr (Gv. 25. 5. 73, ReBl 113 f 10).
Aus dem belgischen Recht hat die preußische Ver-
fassung (a 63 Abs. 3) die Vorschrift entnommen,
daß der St H.Etat zuerst dem Abgeordnetenhause
vorzulegen und vom Herrenhause nur im ganzen
angenommen oder abgelehnt werden kann [JLand-
tag jl.
Etatsüberschreitungen bedürfen in
Preußen wie im Reiche der nachträglichen Ge-
nehmigung des Parlaments. Als solche gelten
in Preußen nur außeretatsmäßige Ausgaben oder
Ueberschreitung etatsmäßiger Ausgaben (G v.
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