Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
  
Staatsfinanzen (III. Staatshaushalt) 
481 
  
(Budget) nach Gneist nur bei einzelnen Einnah- 
men (z. B. income tax) und Ausgaben. 
Unstreitig hat das StH. Gesetz in dem Ver- 
fassungsrecht Frankreichs und Belgiens einen 
anderen Charakter. Dieser besteht nach den Wor- 
ten Gneists darin, daß alle Ordnung im Staate 
den Beschlüssen der etatbewilligenden Kammer 
untergeordnet ist, „denn jedes verfassungsmäßige 
Organ des Staates bedarf zu seiner Wirksamkeit 
einer jährlichen Genehmigung der Majorität der 
Wahlversammlung“. 
II. Wenngleich im Endergebnis diese Sätze 
im wesentlichen kein ganz unrichtiges Ergebnis 
liefern, so lassen sie sich in dieser theoretisierenden 
Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten. Das Recht 
des StH. ist von Staat zu Staat verschieden und 
beruht auf der historisch erwachsenen Machtver- 
teilung zwischen Legislative und Exekutive eines- 
sowie zwischen den verschiedenen Machtfaktoren 
der Legislative anderenteils. Im englischen Recht 
gilt der Satz: Taxation is no part of legislation, 
womit gesagt sein soll, daß Steuerbewilligung 
nur dem einen Faktor der Gesetzgebung, nur 
dem house of commons zusteht; jede Steuer= und 
Geldbewilligung ist nach englischem Recht „a free 
gist and grant“ des Unterhauses. Weder die 
Krone noch das Oberhaus kommen dabei in Be- 
tracht. Es unterliegt trotz Gneist daher keinem 
Zweifel, daß das Unterhaus, wenn es wollte, 
alle Steuern und den ganzen Etat verweigern 
darf. Dies tut es aber seit den 80er Jahren des 
18. Jahrhunderts nicht, weil es (nach den Worten 
von Erskine May)y leichtere Waffen hat, die Re- 
gierung zum Gehorsam zu zwingen und vor allem, 
weil in England Regierung und Unterhausmehr- 
heit zusammenfallen. Aus letzterem Grunde be- 
wegen sich die Unterhausgeldbewilligungen nur 
um einzelne Steuern und Ausgaben (z. B. in- 
come tax). In Frankreich und Belgien ist zwar 
die Deputiertenkammer auch der stärkste Macht- 
faktor, indes nicht der einzige; die Mehrheit in ihr 
wechselt häufig und damit auch die Ministerien. 
Das Budgetrecht ist hier, was es einst auch in 
England war „le puissant moyen de maintenir 
le pouvoir exécutif dans ses limites“, oder, wie 
Bismarck 1849 in der II. Revisionskammer sagte, 
die Waffe, die geschickt gehandhabt, die Regierung 
unter die Füße des Parlaments bringt. Die Be- 
willigung des Etats ist hier das „vote de confiance“ 
und die Vollmacht, deren die Regierung bedarf, 
um die Staatsgeschäfte fortzuführen. Deshalb 
gelten alle Steuern stets nur auf ein Jahr bewilligt 
und sie dürfen nicht erhoben werden, wenn die 
Steuergesetze nicht erneuert werden, belg. Verf 
a 111. Jede Verfügung über Einnahmen oder 
Ausgaben ohne Etatsgesetz ist unzulässig. Die erste 
Kammer kann den Etat nur im ganzen annehmen 
oder ablehnen. Die Nichtbewilligung des Etats 
oder die Vertagung desselben durch die Depu- 
tiertenkammer bewirkt daher den Rücktritt des 
Min, in Frankreich (Mac Mahon, Grévy) ein- 
tretendenfalls auch den des Präsidenten. Das 
Etatsgesetz bedeutet nach alledem, nicht bloß daß 
die Einnahmen und Ausgaben gemacht werden 
dürfen, sondern auch daß dies gerade durch das 
am Ruder befindliche Min erfolgen darf. Die 
Ablehnung oder Vertagung ruft dem Ministerium 
zu: „öte-toi, que je m'y mette“. 
III. Verschieden hiervon ist das Budgetrecht in 
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch. 
  
2. Aufl. 
den deutschen Staaten und in Oester- 
reich; dabei hat man Einnahmen und Ausgaben 
und bei den Einnahmen die aus Steuern und aus 
sonstigen Quellen (Eisenbahnen, Domänen, Berg- 
werken, Post usw.) fließenden auseinander zu 
halten. Bezüglich der Einnahmen aus dem Staats- 
vermögen führte die preußische Verfassung keine 
Beschränkung der Regierung ein, während andere 
deutsche Verfassungen z. B. die Veräußerung, also 
auch die Einnahmen aus Domänen--Verkäufen 
usw. nur unter Mitwirkung des Landtags zulassen. 
Allmählich ist auch in Preußen die Regierung nach 
manchen Richtungen beschränkt worden: so darf 
sie die seit den 70er Jahren verstaatlichten Eisen- 
bahnen nur durch Gesetz verkaufen und sie muß 
ferner jährlich eine Aufstellung über die etwa ver- 
äußerten Domänen [), Grundstücke durch die 
Oberrechnungskammer dem Landtage zur Kennt- 
nis vorlegen. Bezüglich der Steuern war den 
Kammern im Grundlage G v. 6. 4. 48 das (un- 
eingeschränkte) Bewilligungs= und (also Ver- 
weigerungs-)recht versprochen. Dieses Verspre- 
chen ist durch den nach harten Kämpfen in den 
Revisionskammern durchgesetzten a 109 der preuß. 
Vu zurückgenommen, wonach Steuern und Ab- 
gaben so lange forterhoben werden, bis sie durch 
"iit Faktoren der Gesetzgebung wieder aufgehoben 
Ind. 
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß in 
Preußen der Landtag [Jl] kein Einnahme- 
bewilligungsrecht hat. Außeretatsmäßige Einnah- 
men oder Ueberschreitung der etatsmäßigen Ein- 
nahmen werden dem Landtag nicht zur Geneh- 
migung sondern nur zur Kenntnis mitgeteilt. 
Die Ausgaben dagegen bedürfen alle, auch 
die auf Gesetz beruhenden, der Landtagsgenehmi- 
gung. Dies ist in der Thronrede v. 5. 8. 66 und 
Indemnitätsvorlage von 1866 förmlich anerkannt 
und entspricht der Praxis. Daraus folgt aber noch 
nicht, daß der Landtag frei in der Bewilligung 
der Ausgaben ist, diese ist nur teilweise res merao 
facultatis; soweit die Ausgaben unmittelbar oder 
mittelbar auf Gesetz beruhen, z. B. für Bezahlung 
der Kupons, Beamtengehälter, Arbeitslöhne, be- 
stellte Waren, ist der Landtag gebunden, 
sie zu bewilligen. Er hat zu prüfen und festzu- 
stellen, ob und wie weit dies der Fall ist. Prak- 
tisch zeigt sich das Ausgabebewilligungsrecht des 
Landtags bei allen Neu= und allen wilkürlichen 
Ausgaben. 
Das Budgetrecht im Reiche deckt sich im 
wesentlichen mit dem in Preußen, die bezüglichen 
a 69 f RV# sind auf Antrag Miquel aus der preu- 
H#ischen entnommen. Verschieden ist, daß im Reiche 
Einnahmen aus der Veräußerung des Reichsver- 
mögens der Genehmigung des Reichstags be- 
dürfen, vorgängig oder spätestens im zweitfolgen- 
den Etatssahr (Gv. 25. 5. 73, ReBl 113 f 10). 
Aus dem belgischen Recht hat die preußische Ver- 
fassung (a 63 Abs. 3) die Vorschrift entnommen, 
daß der St H.Etat zuerst dem Abgeordnetenhause 
vorzulegen und vom Herrenhause nur im ganzen 
angenommen oder abgelehnt werden kann [JLand- 
tag jl. 
Etatsüberschreitungen bedürfen in 
Preußen wie im Reiche der nachträglichen Ge- 
nehmigung des Parlaments. Als solche gelten 
in Preußen nur außeretatsmäßige Ausgaben oder 
Ueberschreitung etatsmäßiger Ausgaben (G v. 
III. 31
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.