Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
496 
Staatskirchliche Gerichtsbarkeit 
  
Wirren machte sich das Bedürfnis nach einer 
speziellen Regelung der st. G. geltend. 
In Betracht kommen hier vor allem Preußen, 
Sachsen und Hessen. 
52. Preußen. 
Das ALsk hatte über die Fälle eines Mißbrauchs der geist- 
lichen Amtsgewalt keine nähere Bestimmung getroffen. Daß 
ihm jedoch der Begriff des Recursus ab abusu nicht fremd, 
zeigt 3 56 II 11, ber bei einem Streit über die Rechtmäßigkeit 
der Ausschließung vom Gottesdienst und den Sakramenten die 
Entscheidung dem Staate zuspricht (uvgl. auch # 1175). Als 
eine eigentliche Appellatio tamaquam ab abusu wurde da- 
gegen bezüglich der katholischen Kirche der Rekurs 
behandelt, den die Kab O v. 12. 4. 1822 den Geistlichen bei 
einer im Disziplinarwege erfolgten Amtsentsetzung 
an den Kultusminister eröffnete. Denn die Untersuchung 
derartiger Fälle blieb darauf beschränkt, ob der Bischof 
mißbräuchlich über seine Besugnisse hinausgegangen sei und 
sich dadurch einer Rechtsverletzung schuldig gemacht habe. 
Event. lehnte die Staatsbehörde die Vollstreckung des Diszi- 
plinorerkenntnisses ab und schützte den abgesetzten Geistlichen 
in seinem Recht, soweit dasselbe die Temporalien betraf. 
Ein ähnliches Rechtsmittel gewährte die Gesetzgebung der 
1866 neu erworbenen Landesteile (hann. Landes Berf Gv. 
6. 8. 40 5 71, kurhess. Verf v. 5. 1. 31, nass. Verf v. 25. 5. 61). 
Tatsächlich besaß das Institut indes keine praktische 
Bedeutung. In den neuen Provinzen war der Rekurs 
wegen Mangels an festen Vorschriften für das Verfahren 
kaum jemals zur Anwendung gekommen, während in den 
älteren Provinzen die entgegenkommende Haltung, welche 
die Staatsbehörden mit Rücksicht auf a 15 BlU dem 
katholischen Episkopat gegenüber einnahmen, seit 1850 
den durch die Kab O v. 12. 4. 1822 begründeten Rechtszu- 
stand verdunkelt hatte. 
Erst das G v. 12. ö. 73 über die kirch- 
liche Disziplinargewalt steeckte, in 
Verbindung mit dem G v. 13. 5. 73 über die 
Grenzen des Rechts zum Gebrauch 
kirchlicher Straf= und Zuchtmittel, 
die Linien ab, innerhalb deren die kirchliche 
Disziplinargewalt freie Uebung behält (J Kir- 
chenzucht 2, 5191. Sodann bezeichnete es genau 
die Fälle, in welchen die Staatsbehörde befugt 
sein soll, ausschreitende Entscheidungen der Kir- 
chenoberen zurückzuweisen und ihrer Durch- 
führung mit den Mitteln der staatlichen Exekutive 
entgegenzutreten. 
Danach stand eine Berufung an den Staat offen: 1. wenn 
die kirchliche Disziplinarentscheidung von einer durch die 
Staatsgesetze ausgeschlossenen Behörde ergangen ist; 
2. wenn die Entscheidung der klaren tatsächlichen Lage wider- 
spricht oder die Staatsgesetze oder allgemeine Rechtsgrund- 
sätze oder wesentliche Formvorschriften verletzt; 3. wenn die 
Strafe gesetzlich unzulässig ist; 4. wenn die Strafe verhängt 
worden: wegen einer Handlung oder Unterlassung, zu wel- 
cher die Staatsgesetze oder obrigkeitliche Anordnungen ver- 
pflichten, serner wegen Ausübung oder Nichtausübung eines 
össentlichen Wahl- und Stimmrechts, endlich wegen Ge- 
brauchs der Berufung an den Staat; 5. wenn nach erfolgter 
Amtssusvension das weitere Disziplinarverfahren unge- 
buhrlich verzögert wird. — Die Berufung gebührt jedem 
Beteiligaten und, sofern ein öffentliches Interesse 
vorliegt, auch dem berpräsidenten. Zuständig für 
liche Gerichtshof für kirchliche Angele- 
adenheiten“. Dieser erkennt entweder auf Verwersung 
der Berufung oder auf Vernichtung des angesochtenen 
Disziplinarspruchs. 
Vollzug mit den Mitteln der staatlichen Exekutive verhindert 
  
Im letzteren Fall wird sein weiterer D! 
und die Rücknahme der etwa bereits getroffenen Ausfüh- 
rungsmaßregeln durch Ordnungsstrafen erzwungen. 
Infolge des kirchenpolitischen Ausgleichs sind 
die vorstehenden Bestimmungen durch Gv. 21. 5. 
86 (a 10) aufgehoben und damit das Rechtsmit- 
tel der Berufung an den Staat be- 
seitigt worden. Dagegen haben diejenigen 
Vorschriften des G v. 12. 5. 73 (§#. 24 ff) ihre Gel- 
tung behalten, die dem Staat das Recht ein- 
räumen, in Fällen, wo ein Kirchendiener seine 
staatsbürgerlichen Rechte derart verletzt, daß seine 
fernere Amtstätigkeit mit der öffentlichen Ordnung 
unverträglich wird, die Entfernung des Schuldigen 
aus dem Kirchenamt durch richterliches Urteil her- 
beizuführen, sofern die vorgesetzte kirchliche In- 
stanz zu diesem Behufe ohne Erfolg angegangen 
worden ist. Doch darf hier, gemäß der Nov. v. 
14. 7. 80 (a 1), nicht mehr auf Entlassung 
aus dem Kirchenamt, sondern nur noch 
auf Unfähigkeit zur Bekleidung 
des Amts erkannt werden. 
§ 3. Bayern. In Bayern sind für den Recur- 
sus ab abusu die s#s 50—32 der II. Beil. zur VU 
v. 26. 5. 1818, sog. Religionsedikt, maß- 
gebend. Danach steht „den Genossen einer Kir- 
chengesellschaft, welche durch Handlungen der 
geistlichen Gewalt gegen die festgesetzte 
Ordnung beschwert werden, die Befugnis 
zu, dagegen den landesfürstlichen Schutz anzu- 
rufen“". Gegen die festgesetzte Ordnung (juris 
ordine non servato) verstoßen alle Handlungen, 
welche entweder das staatliche Recht oder das vom 
Staat anerkannte Statutarrecht der betr. Reli- 
gionsgesellschaft verletzen. Ein Mißbrauch der 
geistlichen Amtsgewalt liegt deshalb insbesondere 
dann vor, 1. wenn die Kirchenbehörde in die 
Rechtssphäre des Staates eingreift und sich z. B. 
eine Jurisdiktion in Zivil- und Kriminalsachen 
anmaßt; 2. wenn sie die Kirchenhoheitsrechte der 
Krone mißachtet und z. B. den Vorschriften über 
das Plazet, die geistliche Amtsführung, die Er- 
richtung und Besetzung der Kirchenämter, die 
Ausübung der kirchlichen Disziplinargewalt, die 
Verwaltung des Kirchenvermögens die Folge 
versagt; 3. wenn sie einzelne Mitglieder in ihren 
subiektiven kirchlichen Rechten verletzt, z. B. ihnen 
die Teilnahme am Gottesdienst oder die Spen- 
dung der Sakramente versagt, ihre kirchliche Frei- 
heit durch ungehörige Zumutungen beeinträch- 
tigt, oder geistliche Strafen über sie dem kirchlichen 
Recht zuwider verhängt. 
Berechtigt zur Einlegung des Rekurses sind nur 
die Interessenten selbst; ein Verfahren e#x 
officio findet nicht statt. Das Rechts- 
mittel, das bei der Kreisregierung oder unmittel- 
bar bei dem Landesherrn eingelegt werden kann, 
hat Suspensiveffekt. Seine Prüfung 
erfolgt durch den ressortmäßig beteiligten Staats- 
minister, der auch nach vorangegangenem 
Benehmen mit der geistlichen Behörde die Ent- 
scheidung trifft. Letztere kann auf gänzliche Abwei- 
sung oder Verweisung des Rekurrenten auf den 
Rechtsweg lauten. Wird aber der Rekurs für be- 
die Entscheidung ist ein besonderes Gericht: der „König- 
gründet erachtet, so ist zunächst die geistliche Be- 
hörde zur Beseitigung des Mißbrauchs aufzu- 
fordern und event. „das Geeignete zu 
verfügen". Ueber die Frage, was „das 
Geeignetc“ sei, geben weder die Verfassung, noch 
andere Gesetze nähere Aufklärung. Die im älteren
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.