Staatskirchliche Gerichtsbarkeit
bayerischen Staatskirchenrecht übliche Tempora=
liensperre wird heute nicht mehr als ein zu-
lässiges Zwangsmittel erachtet. Dagegen gilt für
alle Fälle, in denen der gerügte Mißbrauch weder
durch Strafeinschreitung noch durch den Verwal-
tungsrechtsweg zu beseitigen, der rein admi-
nuistrative Zwangsvollzug zur Durch-
führung der von der Staatsbehörde erlassenen
Anordnungen für statthast.
#§ 4. Sachsen. Durch Mandat v. 19. 2. 1827
5*3 (Cod. des in Sachsen geltenden Kirchen- und
Schulrechts S 276) hatte sich der Landesherr vor-
behalten, „bei Beschwerden über Miß-
brauch der von dem VBikariate auszuübenden
geistlichen Gewalt Selbst in geeignetem Maße
zu entscheiden", nachdem vorher der Geheime
Rat (seit 1831 das Kultus Min) mit dem Apostoli-
schen Vikar in Benehmen getreten und ein rätliches
Gutachten erstattet hat. Diese Vorschrift ist dem-
nächst durch die VU#v. 4. 9. 31 §58, „Beschwer-
den über den Mißbrauch der kirchlichen Gewalt
können auch bis zu der obersten weltlichen Staats-
behörde gebracht werden“, bestätigt worden. Sie
gilt auch noch heut. Denn das neuere kirchen-
politische G v. 23. 8. 76 trifft über den Recursus
ab abusu nur insoweit Bestimmung, als er mit
der kirchlichen Straf= und Zuchtgewalt in Verbin-
dung steht. Nach #§ 9 hat die Staatsregierung
„gegen Verletzung eines Staatsgesetzes durch
Mißbrauch der kirchlichen Straf= und Zuchtgewalt
von Amts wegen einzuschreiten". Das
Recht der Beschwerdeführung seitens
des Verletzten ist, als verfassungsmäßig verbürgt
und damit als selbstverständlich, nicht weiter ge-
regelt. Nur zweierlei wird von dem Gesetz speziell
bestimmt: einmal, daß auch im Fall erhobener
Beschwerde die Staatsregierung sich auf eine
Prüfung und Entscheidung vom Stand-
punkt des Staates ohne Rücksicht auf die
kirchliche Seite zu beschränken hat; sodann, daß
die Staatsbehörde berechtigt sein soll, provi-
sorische Verfügungen zu treffen, wenn
der Mißbrauch der kirchlichen Straf= und Zucht-
gewalt ein Zivil= oder Strafverfahren begründet.
Letztere Vorschrift ist dem österr. G v. 7. 5. 74
§s# 28 entnommen, wonach, wenn durch die Ver-
fügung eines kirchlichen Oberen ein Staatsgesetz
verletzt wird, der hierdurch in seinem Recht Ge-
kränkte sich an die Verw Behörde wenden kann,
welche Abhilfe zu schaffen hat, sofern die Ange-
legenheit nicht auf den Zivil= oder Strafrechtsweg
zu überweisen. Im letzteren Fall darf sie nur
provisorische Anordnungen treffen.
Eine Ergänzung findet die st. G. in dem §# 15
v. 23. 8. 76, welcher der Staatsregierung das
Recht zuspricht, die Amtsentlassung eines Geist-
lichen oder anderen Kirchendieners zu verlangen,
sofern sich dieser wiederholt grober Verletzung der
-auf sein Amt oder seine geistlichen Amtsverrich=
tungen bezüglichen Vorschriften der Staatsgesetze
oder staatlichen Anordnungen schuldig macht, so
daß sein ferneres Verbleiben im Amt als der
öffentlichen Ordnung gefährlich erscheint. Wird
diesem Verlangen von der geistlichen Behörde
nicht stattgegeben, so ist die Staatsregierung be-
fugt, die Stelle für alle staatlichen Beziehungen
als erledigt zu erklären. Eine solche Erklärung hat
aber nach § 13 nur die Unfähigkeit zur Ausübung
des geistlichen Amts und den Verlust des Amts-
einkommens von Rechts wegen zur Folge.
#§s 5. Württemberg. Der Text des württemb.
Gv. 30. 1. 62, betr. die Regelung des Verhält-
nisses der Staatsgewalt zur katholischen Kirche
enthält keine Vorschriften über den Recursus
ab abusu. In den Motiven zum Gesetzentwurf
wird jedoch ausdrücklich das Recht der Staats-
gewalt gewahrt, im Falle eines Mißbrauchs der
geistlichen Amtsgewalt einzuschreiten und einer-
seits auf § 36 V v. 30. 1. 1830, wonach „den Geist-
lichen wie den Weltlichen, wo immer ein Miß-
brauch der geistlichen Gewalt gegen sie stattfindet,
der Rekurs an die Landesbehörden“ offen steht,
andererseits auf einen an den Bischof von Rotten-
burg gerichteten Reg Erlaß v. 5. 3. 53 hingewiesen,
der folgendes bemerkt: „Obgleich es keineswegs
in der Absicht liegt, gegen jede Erkenntnis der
geistlichen Gerichte gleichsam eine Appellation
an die Staatsbehörde als höhere Instanz zu ge-
statten, so kann doch die Regierung
nicht verzichten, einzuschreiten,
wenn Organe der Kirchengewalt
ihre vom Staat anerkannten Be-
fugnisse überschreiten oder we-
sentliche Grundsätze eines recht-
lichen Verfahrens, unter dessen Vor-
aussetzung allein der Staat eine kirchliche Straf-
gewalt anzuerkennen vermag, außer acht
lassen sollten.“ Eine erschöpfende Auf-
zählung der einzelnen Fälle, in denen der Rekurs
statthaft, erklären die Motive nicht für möglich.
Als Beispiele werden aber angeführt: wenn das
ordentliche Rechtsverfahren nicht beobachtet, ins-
besondere dem Angeschuldigten nicht die gehörige
Verteidigung gestattet, wenn einem Verurteilten
der Zutritt zu den höheren kirchlichen Instanzen
abgeschnitten, wenn andere als die nach dem
Staatsgesetz zulässigen Strafen angewendet, wenn
das für Geldbußen und für die Einberufung in das
Besserungshaus festgesetzte Maximum überschrit-
ten, wenn zur Führung einer kirchlichen Unter-
suchung oder zur Vollziehung einer Strafe von
der Kirche selbst äußere Zwangsmittel angewen-
der werden sollten. Macht der zunächst Beteiligte
von seinem Beschwerderecht keinen Gebrauch, so
ist die Staatsregierung auf Grund des ihr nach
8 72 der VU zustehenden obersthoheitlichen Schutz--
und Aufsichtsrechtes befugt, gegen einen Miß-
brauch der geistlichen Amtsgewalt von Amts
wegen einzuschreiten. Ueber die zur Entschei-
dung des Rekurses zuständigen Behörden und
das von den letzteren einzuhaltende Verfahren
fehlt es an gesetzlichen Bestimmungen.
#s6. Baden. In Baden besteht der Recursus
ab abusu nur noch insoweit zu Recht, als „Ver-
fügungen und Erkenntnisse der Kirchengewalt ge-
gen die Freiheit oder das Vermögen einer Person
wider deren Willen nur von der Staatsgewalt und
nur unter der Voraussetzung vollzogen werden
können, daß sie von der zuständigen Staatsbe-
hörde für vollzugsreif erklärt worden sind“: Gv.
9. 10. 60, betr. die rechtliche Stellung der Kirchen
und kirchlichen Vereine im Staat § 16. Damit ist
der § 36 des Edikts für die oberrheinische Kirchen-
provinz (oben & 1 II2) für Baden eingeschränkt
und ein Schutzrecht des Staates nur in Beziehung
auf bestimmte äußerlich erkennbare und abwend-
bare Uebel, nämlich Vermögens= und Freiheits-
v. Stengel--Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl. III. 32