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Staatsverträge
BR und Volksvertretung zum Ausdruck kommt.
Diesen aus der Rechtsnatur der St V gewonnenen
Anforderungen trägt die im Reiche und in Preu-
ßen übliche Form des nackten Abdrucks des
Staatsvertrages nebst Ratifikationsvermerk nicht
Rechnung. In beider Hinsicht sachgemäßer ist die
Verkündung in Bayern und in Württemberg und
meist in Hessen, z. T. auch in Sachsen, in Baden.
Das Staatsgrundgesetz in Sachsen-Koburg-Gotha
5 128 bestimmt geradezu „solche Verträge sind als
Gesetz zu veröffentlichen“.
Ueber die Verkündung Ernst Meier 329f;
band 163.
Tritt der Mangel fester Grundsätze in den nor-
malen Fällen des Inkraftsetzens eines St V schon
hervor, so ufert das Verhalten (im Reiche) aus,
sobald der Lebenslauf des St V ins Schwanken
kommt. Die Theorie ist hierauf kaum eingegangen.
So erfährt man, daß der Konsularvertrag mit
Brasilien von 1882 (RBl 69) außer Kraft ge-
treten ist, aus dem Reichsanzeiger v. 12. 11. 86.
Die gleiche Tatsache für Domingo, Costa Rica
und Salvador gibt das Röl 1897 S5, 785;
1902 S 168, für Zanzibar (Handelsvertrag von
1885) das Röl 1911 S 265 kund. Der Handels-
vertrag mit Chile (pr. GS 1863 S 761) ist 1895
gekündigt, die Fortdauer aber neu vereinbart
worden (/ Handelsverträge, Band II, 3611; daß
dieses gehörig verkündet worden wäre, ist mir
nicht bekannt.
III. Nicht eine Verkündung der St V, doch als Material-
sammlungschätzenswert und des Ausbaus sähig ist die Mit-
teilung von St Vian die Volksvertretung zur Kenntnisnahme,
die z. B. Württemberg Vu 8 86 zusagt „sobald es die Um-
stände erlauben“, Hessen 1830 (Abschriften der den Wir-
kungskreis der Stände berührenden St B; val. Seib 119),
und die selbst in Staaten, die der Volksvertretung keinen
Anteil für das Zustandekommen des St V einräumen, zu-
weilen vorgesehen ist (Braunschweig Landschafts O 1 8).
Gelegentlich werden sie mit dem zugehörigen Material im
Reiche zu einem „Weißbuche“ vereint, nach englischem
Vorbilde (Blaubuch) wie anderwärts auch: Frankreich
(Gelbbuch), Oesterreich, Spanien (auch Türkei: Rotbuch),
Italien lauch Rumänien: Grünbuch), Belgien (Graubuch),
Niederlande, Rußland „Orangebuch“.
5# 7. Wirksamkeit Willensmängel, Anslegung;
icherung. »
I. Der StV tritt mangels abweichender Verein-
barung mit dem Augenblicke der Vollendung
seiner Voraussetzungen in Kraft, die durch die
Ratifikation formalisiert wird (über Veröffent-
lichung oben § 6). In der Regel enthält der St V
oder ein vorbehaltener besonderer Vertrag (z. B.
àa 11 Vt über den Branntweinhandel unter den
Nordseefischern v. 16. 11. 87) einen festen An-
fangstermin oder berechnet von der Ratifikation,
ganz vereinzelt auch von der Veröffentlichung an
(Auslief. Vt mit Belgien 1874 a 17). Bei Kollektiv-
verträgen kann der Zeitpunkt der Wirksamkeit
für den einzelnen Staat auch verschieden gesetzt
sein (a 38 Kongoakte: bei jeder Macht von dem
Tage ab, an dem sie die Ratifikation vollzogen hat).
Nur als seltene Ausnahmen, namentlich im Hin-
blick auf den konstitutionellen Mechanismus, ist
die Wirksamkeit schon auf den Zeitpunkt der Un-
terzeichnung gelegt (z. B. a 18 des Madrider
Abk. über Marokko v. 3. 7. 80; a 4 Vt mit Spa-
nien v. 12. 2. 99 über die Abtretung der Karo-
linen: „der gegenwärtige Vertrag gilt auf Grund
La-
der den Unterzeichneten erteilten Vollmachten als
ratifiziert und tritt am Tage der Unterzeichnung
in Kraft“). Der Vt wegen der Gotthardbahn
a 14 v. 13. 10. 09 (Rl 1913, 726) „soll am
1. 5. 10 in Kraft treten mit Rückwirkung v. 1. 5.
1909“ — ratifiziert ward er am 4. 10. 13.
II. Willensmängel sind an sich in
ihrem Einflusse auf die St V nicht anders zu
beurteilen als es das Privatrecht (— Allgemeine
Rechtslehre) kennt. Indessen wird praktisch bei
der sorgfältigen Vorbereitung der Akte die Frage
heut von untergeordneter Bedeutung, wenn auch
ein Irrtum über die Tragweite des sprachlichen
Ausdrucks nicht ausgeschlossen ist. Zwang ist nicht
schon anzunehmen, wo nicht der Vertragsgegner,
sondern die Lage der politischen Verhältnisse
einen Druck für den Abschluß des Vertrags aus-
üben (Protektoratsverträge, Friedensschlüsse).
Neubecker, Zwang und Notstand I 1910 S 134 f.
Mängel in der Abfassung, deren Vorliegen
beiden Vertragsunterhändlern bekannt ist (wie
bei den Versailler November-Verträgen), sind
nicht hierunter zu reihen.
III. Die Auslegung der St hat ihre
eigentümlichen, noch wenig untersuchten Schwie-
rigkeiten in einem Doppelten:
a) in der Sprachverschiedenheit, der zu einem
Teile durch die Aufstellung eines maßgebenden
Zwischentextes abgeholfen wird, z. B. englischer
Text für den auch deutsch und arabisch abgefaßten
Freundschafts Vt mit Zanzibar v. 20. 12. 85
(Roel 1886, 280);
b) mehr noch, wiewohl weniger erkannt, in der
Verschiedenheit der Grundauffassung vom Rechte,
wie sie die nationale Rechtslehre in den einzelnen
Staaten entwickelt und nach der jeweils die Ver-
tragsteile ihren Standpunkt für die Beurteilung
des Vertrages wählen. Ein Beispiel von beson-
derer Tragweite ist der Streit um die Bedeutung
des a 23 bei der Haager Landkriegsordnung, von
dem Einflusse des Krieges auf die Schuldverhält-
nisse von Privatpersonen, in dessen Auffassung
sich Kontinent und England-Nordamerika gegen-
Überstehen.
Daneben fehlt es nicht an Gegensätzlichkeit im
einzelnen Falle ohne solche spezifisch völkerrecht-
liche Wurzel (z. B. das berüchtigte jusqu's la
mer in a 5 des I. Pariser Friedens v. 30. 5. 1814).
Hier wird man auf das römische Recht als auf die
ratio scripta zurückgreifen dürfen.
Für Streit in der Auslegung von St#V strebt
die neuere Zeit die Regel schiedsrichterlichen Aus-
trags an [/ Schiedsgerichtsbarkeitl.
Heilborn, Grundbegrisse 1 14; Oppenheim,
Zukunft des Völkerrechts (Festschrift für Binding 1911,
1 165); Phillimore II 8 64—95; Pic, de Tinter-
Prétation des traités internationaux (Revue géentrale de
drolt Iintern. 17, 1910, 1—35); Prudhomme, La ld#l
territoriale et les traités diplomatiques devant les juri-
dictions des Etats contractants (these, Paris 1910).
IV. Sicherung der Vertragspflichten.
Realsicherung (Pfand) ist heut nur noch üblich als
Territorialgarantie durch Besitzeinraumung bis
zur Tilgung einer Kriegsentschädigung. Dagegen
gewinnt die Einräumung anderer Vermögensvor-
teile als Vertragssicherheit Raum, z. B. von) Zoll-
einnahmen. Der privatrechtlichen Bürgschaft
nahe steht die Garantie. Mit dem häufig ver-
wendeten Worte wird aber nicht immer das