Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Theaterrecht 
  
vorrichtung besitzen. Der eiserne Vorhang ist 
unbedingte Vorschrift. Die Zahl der Plätze, der 
Notausgänge, der Nottreppen, der Notlampen 
ist genau geregelt. Die Lichtanlagen der Bühne 
und des Zuschauerraumes müssen von getrennten, 
selbständigen Stellen gespeist werden. Neuer- 
dings sind auch große Nauchabzüge vorgesehen. 
Aehnliche Bestimmungen sind heute in allen 
deutschen Bundesstaaten vorhanden. 
Das Kinderschutzgesetz v. 30. 3. 03 ge- 
stattet im § 6 lediglich die Beschäftigung von Kin- 
dern bei Vorstellungen, bei denen ein höheres 
Interesse der Kunst oder Wissenschaft obwaltet, 
schreibt aber auch da immer eine ausdrückliche 
Genehmigung der untern Verw Behörde nach An- 
hörung der Schulaufsichtsbehörde vor. 
Das Stellenvermittlergesetz I I 
v. 2. 6. 10 regelt den Verkehr zwischen Bühnen- 
leitern, Bühnenangehörigen und Theateragenten, 
allerdings, wie die Praxis bereits ergeben hat, 
in wenig befriedigender Weise. Die Verdienst- 
möglichkeiten der Theateragenten sind bei kleinen 
Gagen so gering, daß die minder bezahlten Schau- 
spieler überhaupt keinen Agenten mehr finden. 
Die Reichsversicherungsgesetze v. 
19. 7. 11 endlich ziehen auch die Bühnen= und 
Orchestermitglieder ohne Rücksicht auf den Kunst- 
wert der Leistung in den Kreis der Versicherungs- 
pflichtigen, und zwar wenn der regelmäßige Jah- 
resverdienst bei der Krankenversicherung 2500 Mk. 
(§+§ 165 Abs 1 Ziff. 4), bei der Invalidenversiche- 
rung 2000 Mk. (5 1220) nicht übersteigt. 
Einige weitere öffentlich-rechtliche Bestimmungen enthält 
der Entwurf des Reichstheatergesetzes. 
Er versucht dem Zulauf zum Theater dadurch wirksam 
zu begegnen, daß er den „Musik= und dramatischen Unter- 
richt“ in den 1 35 GewdO einordnen will (Untersagung 
bei Unzuverlässigkeit). Der Versuch ist zu begrüßen. Da- 
gegen muß mit Entschiedenheit Stellung genommen wer- 
den, wenn der Entwurf dem Bdie Besugnis zuspricht, 
Vorschriften darüber zu erlassen, in welcher Weise die 
Bühnenleiter ihre Bücher zu führen und welcher volizei- 
lichen Kontrolle über den Umfang und die Art ihres Ge- 
schäftsbetriebes sie sich zu unterwerfen haben. Würde diese 
Vorschrift Gesetz, so wären in Zukunft die Bühnenleiter, 
abgesehen etwa von den Pfandleihern, die einzigen Unter- 
nehmer, denen das Recht entzogen wird, die kaufmännische 
Organisation ihres Unternehmens selbst zu bestimmen. 
Noch bedenklicher wäre die polizeiliche Kontrolle über den 
Umfang und die Art des Geschäftsbetriebes. 
§#6. Privatrecht. Eine besonders wichtige Seite 
des Theaterrechtes ist die privatrechtliche; doch 
kann sie hier nur kurz berührt werden. 
Hervorzuheben sind die vertraglichen Abreden 
und der Theaterbrauch. Neben dem allge- 
meinen Theaterbrauch hat sich ein rein 
lokaler vielfach herausgebildet. Es werden 
sich ohne weiteres die Usancen der großen von den 
kleinen Theatern, der Hofbühnen von den Privat- 
bühnen scheiden lassen. Diese oft ganz scharfe 
Trennung wird bedingt durch die Verschiedenhei- 
ten der Buhnenbetricbe, die durch Größe, Zweck, 
Existenzbedingungen, Länge der Spielzeit, Höhe 
der gegahlten Gagen, Führung als Einzelunter- 
nehmen, als Gesellschaft, als Sozietätstheater, als 
städtisches Institut hervorgerusen werden. Man 
darf nicht übersehen, daß die königlichen Bühnen 
in Berlin mit ihren mehr als tausend Angestellten 
ebenso als „Theater“ in gesetztechnischem Sinne 
  
aufzufassen sind als die kleine Schmierentruppe 
von sechs oder acht Mitgliedern, von denen fünf 
oder sieben noch Familienangehörige des Direktors 
sind. Es erhellt ohne weiteres, daß sich bei so ver- 
schiedenen Theatern ein ganz verschiedener Thea- 
terbrauch herauskristallisieren mußte. Diese un- 
endliche Verschiedenheit der deutschen Bühnen- 
betriebe muß übrigens einer einheitlichen 
gesetzlichen Regelung beinahe unüberwindbare 
Hindernisse bereiten. 
Der heute geltende Bühnenvertrag, der nach 
der herrschenden Ansicht als Dienstvertrag, bei 
Gastspielen unter gewissen Bedingungen als 
Werkvertrag aufzufassen ist, weist einige im Büh- 
nenbetrieb liegende Sonderbestimmungen auf. So 
gibt es im Bühnenvertrag, entsprechend etwa dem 
§e346 BG, ein sog. „Gastspiel mit unterlegtem 
Vertrag“, d. h. der Bühnenleiter hat das Recht, 
erst nach Erledigung eines Gastspieles, obwohl 
der Vertrag schon geschlossen ist, einseitig zu er- 
klären, ob dieser geschlossene Vertrag nun auch in 
Kraft treten soll oder nicht. 
Ein weiterer Brennpunkt des Theaterrechtes ist 
die „Kostümlieferung“. Bis jetzt ist es an allen 
größeren und guten Bühnen üblich, daß die 
Bühnenleiter nur die historischen Kostüme liefern. 
Die Bühnenkünstler verlangen jetzt aber auch die 
Stellung der gesamten Garderobe. 
Daß die Disziplinarvorschriften bei dem 
weitverzweigten Organismus einer großen Bühne 
anders geartet sein müssen als bei anderen Beru- 
fen erhellt allein die Ueberlegung, daß das Fehlen 
oder die Unpünktlichkeit eines einzigen Menschen 
den ganzen Betrieb vollkommen lahmlegen und 
dem Bühnenleiter durch das Ausfallen einer Vor- 
stellung oder Probe einen empfindlichen Schaden 
bereiten kann. Aus dem gleichen Grunde müssen 
auch die Kontraktbruchsbestimmungen des Bühnen- 
vertrages vielleicht etwas schärfer gefaßt werden, 
als es den Bühnenmitgliedern recht ist. Die Ver- 
leitung zum Vertragsbruch durch hohe und lockende 
Gagen ist größer als in jedem anderen Berufe, 
genau wie die Wanderlust und die Nervosität des 
einzelnen Künstlers. Diese viel angefeindeten 
Vertragsbruchsbestimmungen sind keineswegs von 
einer übertriebenen Härte, sondern lediglich den 
Verhältnissen und dem Wesen der Künstler an- 
gepaßt. Die Folgen des Kontraktbruches eines 
Bühnenmitgliedes sind einmal die Zahlung der 
Vertragsstrafe, dann aber auch die Aussper- 
rung des Mitgliedes von den kartellierten Bühnen. 
Diese letzten sind verpflichtet, während einer be- 
stimmten Zeit die ausgesperrten Mitglieder nicht 
zu engagieren. Eine Sonderheit der Vertrags- 
bruchbestimmungen ist es, daß die Mitglieder sich 
ihnen vertraglich unterwerfen. Die Rechtswirk- 
samkeit dieser Abreden ist auch vom Reichsge- 
richte anerkannt. 
Das Reichstheatergesetz befaßt sich, nach dem vorliegen- 
den Entwurf, nur mit einem, und nicht einmal dem wesent- 
lichsten Teil der privatrechtlichen Sonderfragen, die in jedem 
Theaterbetricbe auftauchen. Es läßt vollkommen unberührt 
die sehr wichtigen Beziehungen zwischen Bühnenleiter und 
Verleger und Autor und Komponisten (die zum Teil sehr 
schwierigen urheber- und verlagsrechtlichen Fragen), die 
Beziehungen zwischen Bühnenleiter und Publikum (den 
Kontrahierungszwang des Theaterunternehmers) das Rocht 
am Bühnenbild, das geistige Eigentum des Regisseurs, das 
Urbeberrecht am Theaterzettel. In Frage lonnten auch 
 
	        
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