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sonderen Unfallgefahr ausgesetzt sind“, von der
Versicherung, selbst ohne Antrag, befreit werden.
Hier handelt es sich um eine „Befreiung“ konkreter
einzelner Personen, wenngleich das Gesetz unter
Verwischung des terminologischen Gegensatzes in
demselben Paragraphen von einem „für ver-
sicherungsfrei erklären“ redet. Die Befreiung ist
bei Wegfall ihrer Voraussetzung widerruflich. Auf
Beschwerde gegen Befreiung oder Widerruf ent-
scheidet das Oberversicherungsamt endgültig
g 649).
Neben der Versicherungspflicht gibt es eine Ver-
sicherungsberechtigung oder freiwillige
Versicherung in zwei Formen: als „Selbst-
versichenung", d. h. Versicherung der eigenen
Person oder Drittversicherung als Versicherung
anderer Personen. Die freiwillige Versicherung
kann durch Statut in eine gewisse Abhängigkeit
von der prompten Beitragszahlung gesetzt werden
(§ss 550—553). Eine freiwillige Fortsetzung der
Versicherung als besondere Versicherungsform
gibt es hier nicht.
8 3. Wirtschaftliche Grundlagen. 1. Die Ge-
werbell V umfaßt zunächst das Gewerbe als
besonderen Wirtschaftszweig gegenüber Land= und
Forstwirtschaft und Seefahrt (unten §5 15—16).
Sie bezieht sich ferner der Hauptsache nach auf ge-
werbsmäßige Betriebe in dem Sinne, daß dieselben
in der Absicht fortgesetzter Gewinnerzielung unter-
nommen sein müssen. Doch ist dies nur die Regelj;
daher gehören zu den Versicherungsbetrieben auch
Betriebe, d. h. Inbegriffe wirtschaftlicher Tätig-
keiten von gewisser Kontinuität und Dauer, welche
im Sinne des Gesetzes nicht gewerbsmäßigen
Charakter haben; so gemeinnützige Betriebe des
Staates und der öffentlichen Körperschaften,
wie die der Eisenbahnen, der Post= und Tele-
graphie, die Betriebe der Marine und Heeres-
verwaltungen (§ 537 Nr. 5), so auch Betriebe,
die wegen der Verwendung von Dampfkesseln
oder Motoren und der dadurch bewirkten Ge-
fährlichkeit als versicherungspflichtig erklärt sind
(F 538 Nr. 3; vgl. im ganzen die Begründung zur
RVO S258). In manchen Bestimmungen ist
der Ausdruck „Betrieb“ nach der Absicht des Ge-
setzes nur auf den technischen Teil des Unterneh-
mens, nicht auf die Tätigkeit im Bureau oder
Kontor zu beziehen, z. B. bei der Post und Eisen-
bahn, dem Speditionsbetrieb (§ 537 Nr. 5, 7;
vgl. Handbuch der U. 1 S 139, 164 u. a. m.).
Gelegentlich werden auch nur größere Betriebe
im Gegensatz zu „Kleinbetrieben“ der Versiche-
rung unterstellt (§ 537 Nr. 10, 11, & 538 Nr. 1).
Ueber den Kreis der Betriebe im obigen Sinne
geht das Gesetz insofern hinaus, als es Bau-
arbeiten und Tätigkeiten beim Halten von Reit-
tieren und Fahrzeugen, auch wenn sie keinen
Betrieb, geschweige denn einen gewerbsmäßigen
Betrieb darstellen, in die Versicherung einbe-
zieht (§ 537 Nr. 3, 6, 7).
2. In persönlicher Beziehung bildet regel-
mäßig die Beschäftigung im Betriebe oder bei ver-
sicherten Tätigkeiten die Grundlage der Versiche-
rung. Nur die freiwillige Drittversicherung kann
auf Antrag des Unternehmers Personen, die nur
die Betriebsstätte besuchen oder auf ihr verkehren,
sowie auf Antrag des Vorstandes der Genossen-
schaft deren Organmitglieder und Beamten der
Versicherung zuführen (5 552 Nr. 2, 3). Unter
Unfallversicherung (Versicherte)
den im Betrieb tätigen Personen treten auch
hier zunächst die unselbständig beschäftigten
und die Unternehmer einander gegenüber.
Die letzteren unterliegen nur als Kleinunter-
nehmer der statutarischen Versicherungspflicht oder
genießen, gemäß der Satzung auch bei größeren
Betrieben, das Recht der Selbstversicherung
(& 548 Nr. 1, § 550). Hausgewerbliche Unter-
nehmer von Versicherungsbetrieben können gleich-
falls durch Statut als versicherungspflichtig erklärt
werden (/ 548 Nr. 2).
3. Bei den unselbständig beschäftigten Per-
sonen ist bei der UV, anders als bei der KV und
der Jus#V, nur die Beschäftigung, nicht aber
die entgeltliche Beschäftigung Voraussetzung der
Versicherungspflicht. Auch spielt die Dauer der
Beschäftigung keine Rolle. Dagegen tritt die
Scheidung der Arbeiterstufe (Arbeiter, Gehilfen,
Gesellen, Lehrlinge) und der Betriebsbeamten-
stufe (Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker)
auch hier hervor. Die Arbeiterstufe ist ohne Rück-
sicht auf eine Obergrenze ihres Entgelts ver-
sicherungspflichtig, die Betriebsbeamten sind es
kraft Gesetzes nur bis zu 5000 Mk. und nur durch
Statut auch darüber hinaus. Soweit sie nicht
versicherungspflichtig sind, können sie durch den
Unternehmer versichert werden (§5 544 Nr. 1, 2,
#548 Nr. 3, § 552 Nr. 1).
# 4. Persönliche Grundlagen. Das Ge-
schlecht begründet keinen Unterschied für die
Versicherung. Ebensowenig besteht eine Alters-
grenze nach oben oder, wie bei der JuH V, nach
unten. Die allgemeine Vorschrift (§ 159), daß
die Beschäftigung des einen Ehegatten durch
den anderen keine Versicherungspflicht begründet,
gilt auch für die UV; doch wird der im Betriebe
tätige Ehegatte in bezug auf die Vorschriften
über die Versicherung der Unternehmer gleich-
falls als solcher behandelt (§ 551). Auf die
Staatsangehörigkeit des zu Versichern-à
den kommt es nicht an; dagegen gilt die Ver-
sicherung nur für inländische Betriebe einschließ-
lich ihrer ins Ausland übergreifenden unselb-
ständigen Betriebsteile. Für internationale Ver-
einbarungen gilt der allgemeine § 157 RVO
(vgl. z. B. das Abkommen zwischen dem Deutschen
Reiche und Belgien über UV v. 6. 7. 12, RBl
1913, 23). Vgl. noch unten §# 8, Ziffer 8.
5. Einzelne Betriebs= und Personenklassen.
1. Die der UV unterliegenden Betriebe und
Tätigkeiten sind grundlegend in § 537 unter
zehn Nummern aufgezählt. Der Kreis derselben
hat durch die RV O erhebliche Erweiterungen er-
fahren. Neu hinzugetreten sind z. B. die Binnen-
fischerei, der Betrieb der Badeanstalten, die Apo-
theken, das Dekorateurgewerbe, der gewerbs-
mäßige Fahr-, Reittier- und Stallhaltungsbetrieb
sowie auch das nicht gewerbsmäßige Halten von
Fahrzeugen und Reittieren (oben §& 3 Nr. 1); auch
alle größeren kaufmännischen Betriebe „zur Be-
handlung und Handhabung der Ware“, also nicht
mehr bloß die kaufmännischen Lagerungsbetriebe,
sondern u. a. auch die Verkaufstätigkeit, unter-
liegen jetzt der UV. Eine nähere Bestimmung
des Begriffs der versicherungspflichtigen Fabriken
(§J 537 Nr. 2) enthält § 538 Nr. 1—4, wobei zu-
gleich das RVA ermächtigt ist, gewisse sonstige
Betriebe den Fabriken gleichzustellen. Der Ver-
sicherung unterliegen auch andere Betriebe, als