Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Unterrichtswesen (höheres) 
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willige Leistung des Staates, der 
Gemeinden oder Privater, die durch 
Erhebung von Schulgeld ermöglicht oder erleich- 
tert wird. Die grundsätzliche Schulgeldfreiheit 
aller Schulen ist eine noch unerfüllte Forderung 
einzelner politischer Parteien; die Abstufung 
des Schulgeldes nach Steuersätzen (sog. Krefelder 
System) ist vereinzelt durchgeführt; die Zufüh- 
rung mittelloser, aber begabter Schüler zu den 
höheren Schulen ist, der Wichtigkeit der Sache 
entsprechend, durch ein, allerdings des weiteren 
Ausbaues noch vielfach bedürfendes Freistellen- 
wesen (meist 10% ) ermöglicht. 
Die höhere Knabenschule beginnt erst mit der 
Sextastufe für gjährige Schüler und bedarf daher 
entweder der Angliederung einer Vorschule oder 
der Mittel-, bezw. Volksschule als Vorbereitungs- 
anstalt; neuerdings wird mit besonderem Nach- 
druck, namentlich von seiten der Volksschullehrer, 
die völlige Beseitigung der nur noch in Anhalt, 
Lübeck, Lippe-Detmold und Mecklenburg-Strelitz 
allgemein durchgeführten Vorschule und die 
Schaffung der „Einheitsschule“ in dem 3- oder 
4 klassigen Unterbau der Volksschule nach badi- 
schem oder bayerischem Muster gefordert. Soll 
diese Forderung, der zur Zeit schwerwiegende 
schultechnische und — bei dem heutigen System 
der Schulgelderhebung — finanzielle Bedenken 
entgegenstehen (vgl. für die Einheitsschule 
zuletzt K. F. Sturm, Die nationale Einheits- 
schule, Lpz. 1913; gegen sie E. Ries, Zur 
Frage der E., Lpz. und Fr. a. M. 1913) erfüllt 
werden, so muß durch besondere Kurse für be- 
fähigte Schüler im dritten Volksschuljahr der 
rechtzeitige Uebergang zur viertuntersten Klasse der 
Hhöheren Schulen gesichert werden (vgl. B. Richter, 
Der Uebergang von der Volksschule zur höheren 
Schule, 1913). In Preußen sind die Verhältnisse 
der dreiklassigen Vorschule, mit 18, 20, 22 als Maxi- 
malstundenzahl, geregelt durch die — der Erneue- 
rung dringend bedürftige — Min V v. 23. 4. 83. 
Die im allgemeinen auf 40—50 für die Unter- 
und Mittel-, 30 für die Oberstufe normierten 
Klassen frequenzen werden unter dem Druck 
finanzieller Rücksichten vielfach nicht eingehalten; in 
Preußen zählten im Jahre 1909 3205 der Unter---, 
41% der Mittelklassen höhere Ziffern; 150 
Unterklassen enthielten mehr als 50 Schüler. Der 
Uebelstand wird vielfach durch Fernhalten un- 
geeigneter Elemente von den höheren Schulen 
bis zu einem gewissen Grade beseitigt werden 
können. Die hohen, manchmal stark übertriebenen 
Kosten für die Ausstattung der höheren Schulen 
mit Lehrmitteln namentlich naturwissenschaftlicher 
Art führen begreiflicherweise stets aufs neue zur 
Gründung großer Doppelanstalten, die schultech- 
nisch und pädagogisch sehr unerfreulich sind. Der 
Uebelstand läßt sich durch Gemeinsamkeit der 
Aulen und gewisser Lehrräume für im übrigen 
getrennte Schulen wenigstens teilweise vermeiden. 
ie Berliner Dezemberkonferenz von 1890 setzte 
400 als Höchstzahl für die Schüler einer 
Schule fest; doch waren 1902 im Reiche 16 höhere 
Knabenschulen mit über 700, 135 mit über 500, 
in Preußen 1 mit über 700, 22 mit über 600 und 
77 mit über 500 Schülern (ohne die Vorschüler). 
Der Durchschnitt der Gesamtschülerzahlen (ohne 
Vorschüler) betrug 1911 in Preußen 275, im 
Reich 270. 
v. Stengel- Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl. 
  
Die vielumstrittene gemeinsame Exziehung von 
Knaben und Mädchen (Koedukation) ist in 
Sachsen, Württemberg, Baden, Oldenburg, Hessen 
Gotha, Anhalt und Elsaß-Lothringen grundsätzlich 
zugelassen und z. T. in größerem Umfange durch- 
geführt. Preußen, abgesehen von der Zulassung 
von Knaben zu Mädchenschulen [JX1, und Bayern 
lehnen sie noch grundsätzlich ab. Wo das Fehlen 
einer entsprechenden Schulart durch sie ausgegli- 
chen werden kann, verdient sie jedenfalls den Vorzug 
vor der Beschulung der Kinder außerhalb des 
Wohnortes der Eltern. 
#m656. Unterhaltung. 
I. Ein Unterrichts gesetz, das das höhere Un- 
terrichtswesen erschöpfend regelte, ist in keinem 
deutschen Bundesstaat vorhanden; in den meisten 
Überwiegt, teilweise fast noch ausschließlich, die 
Regelung der Materie auf dem VerwWege, die 
außer der Ueberfülle des Verwöchreibwerks vor 
allem auch den Nachteil einer höchst unsicheren 
rechtlichen Lage der Lehrer mit sich bringt; auch 
in bezug auf Einzelgesetze ist, begreiflicherweise, 
das VolksschulwesenM besser gestellt. Eine über- 
sichtliche Zusammenstellung aller vorhandenen 
gesetzlichen Bestimmungen, unter vergleichender 
Heranziehung derer des Auslandes, ist dringend 
erforderlich. 
Ein Schulunterhaltungsgesetz für die höheren 
Knabenschulen ist neuerdings u. a. in Hessen ge- 
fordert und auch vorbereitet worden. 
II. Der Anteil des Staates an der Grün- 
dung und Unterhaltung der höheren Knaben- 
schulen ist in den verschiedenen Staaten und 
Landesteilen noch sehr verschieden. 
1911 wurden nach amtlicher Statistik unterhalten: vom 
Staat 327 Gymnasien, 7 Progymnasien, 51 Realgym- 
nasien, 10 Realprogymnasien, 14 Oberreal- und 43 Real- 
schulen; von Gemeinden 146 Gymnasien, 30 Pro- 
cgymnasien, 158 Realgymnasien, 47 Realprogymnasien, 
114 Oberreal- und 216 Realschulen; von Staat und 
Gemeinde gemeinsam 22 Gymnasien, 3 Progymna= 
sien, 11 Realgymnasien, 5 Realprogymnasien, 26 Oberreal- 
und 45 Realschulen; von anderweiten Trägern 29 
Gymnasien, 41 Progyhmnasien, 3 Realgymnasien, 1 Real- 
progymnasium, 13 Oberreal- und 107 Realichulen. Nach 
Schularten fallen also auf den Staat allein 55, 205 der 
gymnasialen Anstalten, 9,89% der Realanstalten, auf die 
Städte allein 29,19 der ersteren, mehr als 50% der 
letzteren. 
1. Der preu ische Etat der höheren Knabenschulen 
zeigte 1913 an Ausgaben 152 076 Mk. für die auf Stiftungen 
beruhenden, 15 138 388 Mk. für die Staats--, 252 710 Mk. 
für die Kompatronats- und 4 218 401 Mk. für die städtischen 
Anstalten. 
Bon kommunalen Aufswendungen für das höhere 
Unterrichtswesen sei als Beispiel erwähnt, daß der Aus- 
gabenetat in Frankfurt a. M. (1913), die Bauausgaben 
und allgemeinen Berw Kosten ungerechnet, sich auf 1 692 480 
Mk. stelltc. Einige Grundsätze für das Verfahren bei Ver- 
staatlichung kommunaler Anstalten gibt die Min Bsg v. 
23. 1. 90. 
2. Schullasten verteilung in anderen Staa- 
ten: Bayern 1908 Staat 50,4%, Kreisfonds 30,1% , Ge- 
meinden 8,8% , Stiftungen und Schulgelder 11,20%0; in Sach- 
sen sind sämtliche Nealschulen Gemeindeanstalten und erhal- 
ten, abgesehen von Dresden, Leipzig und Chemnis, einen 
Zuschuß von 12 000 Mk.; Württemberg 1900 Staat 
59% , Gemeinden 40% , Schulsonds 196; Baden 1910 
Staat 47.2%. Gemeinden 23,6%, Schulgeld 24,20%, son- 
III. 41
	        
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