Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

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Unterrichtswesen (höheres) 
  
bestimmte Zulassung von Mittelschullehrern an 
Stelle von Oberlehrern zum wissenschaftlichen 
Unterricht, die der organischen Einheit der Schul- 
arbeit von der Unter= bis zur Oberstufe jedenfalls 
nicht günstig ist, werden zur Zeit lebhafte, leider 
vielfach mehr die Standes= als die schultechnische 
Seite berührende Erörterungen gepflogen. 
Aus Ersparnisgründen greift vielfach, nament- 
lich an staatlichen Anstalten, statt der Schaffung 
der nötigen neuen Stellen die Beschäftigung von 
Hilfslehrern Platz. 
Der Prozentsatz der wiss. Hil#slehrer zur Zahl der Direk- 
Noren und Oberlehrer betrug (nach G. Eimon) an den 
Koatlichen Anstalten 1902 9,70%, 1912 17,800 an den nicht- 
staatlichen 1902 7,200, 1012 11,40; die Zahl der wissenschaftl. 
ilfslehrer gegenüber der Zahl der unbesetzten Stellen 
1902 277—83, 1912 577—41. 
Das System des „Konrektorats“ ist in Bayern 
in weitem Maße durchgeführt und neuerdings 
mit Rücksicht auf die Notwendigkeit einer sprachlich- 
historischen und einer naturwissenschaftlich-mathe- 
matischen Fachaufsicht innerhalb der Schule auch 
zur allgemeinen Einführung empfohlen worden. 
II. Das Mindestmaß der Studienzeit für 
die Oberlehrer ist in den meisten deutschen Staa- 
ten noch das Triennium; nur Bayern, Württem- 
berg, Baden und Hessen fordern 4 Jahre; Bayern, 
Württemberg und Sachsen fordern mindestens 2, 
Preußen mindestens 3 Semester auf einer Landes- 
universität. Die tatsächliche Studiendauer ist 
höher; so betrug die durchschnittliche Zahl der 
Semester zwischen Reife= und abgelegter Staats- 
prüfung am 1. 5. 12: 11,57, am 1. 5. 13: 11,67. 
III. Die Prüfungen für das höhere Lehramt 
sehen entweder eine, abgesehen von den zulässigen 
Ergänzungsprüfungen, einheitliche Prüfung vor, 
wie z. B. Preußen (1898), Sachsen (1908), Baden 
(1903), Hessen (1908), oder sie zerlegen die Prü- 
fung in zwei durch das Seminarjahr getrennte 
Teile wie Bayern (1912), das außerdem inner- 
halb der ersten 10 Jahre nach der zweiten Prü- 
fung noch eine „besondere Prüfung" zum Nach- 
weist hervorragender Befähigung zu „Vorstands- 
stellen“ zuläßt, und Württemberg (1913). Verlangt 
werden in den meisten Staaten 2 Lehrbefähigun- 
gen für die erste und 1 für die Mittelstufe. 
Mitglieder der Prüfungskommissionen sind fast 
Ülberall die Professoren der in Betracht kommen- 
den Hochschulen und Schulmänner. 
Die Zahl der Lehramtsprüfungen betrug in Preußen 
1911 2365; von den 2050 Kandidaten, die sich einer ersten, 
Wiederholungs-- oder Ergänzungsprüfung unterzogen, waren 
73,40% auf Gymnasien, 26,51i% auf Realanstalten vorge- 
bildet. 
Die neue bayerische Prüfungsordnung (die 
zweckmäßigerweise im Entwurf auch den Standes- 
vereinen zur Prüfung vorlag) stellt in der zwangs- 
weisen Vereinigung von Latein, Griechisch, 
Deutsch und Geschichte und auch sonst zu hohe An- 
sorderungen, stellt aber in der Herausarbeitung 
eines einheitlichen Oberlehrerstandes für Bayern 
einen großen Fortschritt dar. 
Nachahmenswert ist die Einführung der Archäo- 
logie als Prüfungsfach in Bayern und jetzt auch 
in Württemberg. 
Einen sehr wesentlichen Fortschritt auf dem 
Wege zur tatsächlichen Einheit des deutschen 
höheren Unterrichtswesens bedeutet das 1889 
erstmalig abgeschlossene und seitdem mehrfach 
  
(1904, 1900) erneuerte Abkommen über 
die gegenseitige Anerkennung 
der Prüfung für das höhere Lehramt zwi- 
schen Preußen, Sachsen, Mecklenburg-Schwerin, 
den sächsischen Großherzog= und Herzogtümern, 
Braunschweig und Elsaß-Lothringen. 
IV. Nach Abschluß des fachwissenschaftlichen 
Universitätsstudiums folgt in Bayern, Sachsen, 
Württemberg, Baden, Reuß ä. L. und Elsaß- 
Lothringen eine 1 jährige, in den anderen Staaten 
eine, in Preußen durch Ordnungen v. 15. 3. 90 
und 15. 3. 08 geregelte 2 jährige Zeit der prak- 
tischen Ausbildung (Seminar--= und 
Probe jahrs: ersteres in Preußen seit 1890 nach 
hessischem Vorbild, letzteres schon seit 1826; val. 
W. Fries, Die Vorbildung der Lehrer für das 
höhere Lehramt, 1896; O. Adamek, Die päd. B. 
für das Lehramt an der Mittelschule, Graz 1892; 
K. Neff, Das pädagogische Seminar, 1908). 
1. Das Seminarjahr. 
Preußen hatte 1912 insgesamt 153 pädagogische Semi- 
nare, darunter die Rheinprovinz 29, Brandenburg 26, West- 
salen 17, Schlesien und Sachsen je 13, Oannover 14, Hessen- 
Nassau 10, Westpreußen und Posen je 7, Pommern und 
Schleswig-Holstein je 6, Osipreußen 5. 
Stipendien für die Seminarkandidaten sind 
durch Min V v. 1. 6. 93 geschaffen. 
Die lokal in Betracht kommenden preußischen 
Seminare sind durch Vereinbarung v. 29. 12. 92 
auch den Kandidaten von S.-Altenburg, S.-Ko- 
burg-Gotha, Anhalt, Schwarzb.-Rudolstadt, Lippe- 
Detmold, Lübeck und Bremen zugänglich gemacht. 
In Bayern sind die „Mittelschulseminare“ 
nach Fächern scharf unterschieden; es bestehen 
solche für Altphilologie (seit 1897), für Deutsch, 
Geschichte und Erdkunde (seit 1902), für Mathe- 
matik und Physik (seit 1904), für neuere Sprachen 
(seit 1908) und für Zeichnen (seit 1910). Hessen 
hat 2 Gymnasial-, 2 Realgymnasial- und 1 Ober- 
realschul-Seminar. 
2. Dem Seminarjahr folgt in Preußen und an- 
deren Staaten das Probejahr, das an allen 
Anstalten außer den mit einem Seminar verbunde- 
nen abgeleistet werden kann. Nach erfolgreich ge- 
leistetem Probejahr erhält der Kandidat das 
Zeugnis der Anstellungsfähigkeit und wird dann 
auf Ansuchen in die Kandidatenliste der Provinz 
ausgenommen, für deren Reihenfolge das Datum 
des Anstellungsfähigkeitszeugnisses, bezw. inner- 
halb gleicher Daten das Lebensalter maßgebend 
ist. Bayern schließt die sog. Dreier, d. h. Kandi- 
daten mit nur genügendem Prüfungszeugnis, 
von den Oberklassen und damit von höheren 
Gehaltsbezügen aus. 
V. Der freien Fortbildung der Ober- 
lehrer dienen seit längerer Zeit schon natur- 
wissenschaftliche, neusprachliche, kunstwissenschaft- 
liche und hygienische, neuerdings auch staats- 
bürgerliche Ferienkurse; eine Dezentralisation 
der Fortbildung ist mit Recht gefordert, aber bis 
jebt noch nicht in die zweckmäßige Form gekleidet 
worden. 
Der wissenschaftlichen Fortbildung und Be- 
tätigung der Lehrer dient auch der in Preußen 
durch Min E v. 5. 12. 93 und 31. 10. 97 geregelte 
Leihverkehr mit den Universitäts- und anderen 
Bibliotheken (JI. Ueber das Lehrerbibliotheks- 
wesen vgl. W. Stoewer, Katalog einer Lehrer- 
Bibl. für Höh. Lehranstalten (# Berlin 1911).
	        
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